Beim ZDF-Sommerinterview dominierte ein Thema: Der Streit der Kanzlerin mit Horst Seehofer. Sind die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels wirkungsgleich mit den Plänen Seehofers? Ja, sagt die Kanzlerin. Aber stimmt das? Diese und eine weitere Aussage Merkels im Faktencheck.
Wirklich substantiell Neues über den Streit in der Union hat
Trotzdem hat die Bundeskanzlerin die eine oder andere Aussage getroffen, die auch nach den Neuigkeiten von der CSU-Sitzung noch Relevanz haben dürften.
Allen voran natürlich die Einschätzung der Frage, ob die Beschlüsse des Gipfels in Brüssel wirkungsgleich mit den Forderungen
Horst Seehofer möchte bereits in einem anderen EU-Land registrierte Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, so dass für diese in der Folge nicht mehr Deutschland zuständig ist.
Sind die Brüsseler Beschlüsse wirkungsgleich?
Angela Merkel äussert sich im Sommerinterview mit Bettina Schausten diesbezüglich eindeutig: "Ja, in der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung, die CSU muss das natürlich für sich entscheiden."
Für Horst Seehofer sind sie das nicht. Dass die Einschätzung hier unterschiedlich ausfällt, liegt an der jeweiligen Sichtweise.
Eine objektive Antwort darauf ist schwer, denn noch sind die Einigungen in Brüssel noch nicht umgesetzt.
Man habe "politisch darüber Einverständnis erzielt", erklärt Angela Merkel im Sommerinterview. Gemeint sind bilaterale Rücknahmeabkommen. Merkel nannte 14 Länder, die dazu bereit seien, Italien als eines der Länder, in denen mit am meisten Flüchtlinge ankommen, ist nicht dabei.
Unabhängig davon, dass nicht alle Länder an Bord sind, zeigt der Begriff des "politischen Einverständnisses": Was in Brüssel beschlossen wurde, kann überhaupt nicht wirkungsgleich mit direkten Zurückweisungen an den Grenzen sein. Vielmehr müssen diese politischen Einverständniserklärungen erst noch detailliert ausgehandelt werden. Merkel nannte dafür einen Zeitraum bis Ende Juli.
Trotzdem kann Horst Seehofer natürlich eine Einschätzung vornehmen, ob die Absichten, die beim Gipfel erklärt wurden, in eine für ihn zufriedenstellende Richtung gehen.
Das tun sie nicht. Seehofers Kollege und CSU-Vorstandsmitglied Hans Michelbach hingegen sprach noch am Freitag von einem positiven Signal in der europäischen Asylpolitik: "Man muss erfreut feststellen, dass es ein Weg einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik in die richtige Richtung ist", sagte er im "Morgenmagazin" im Ersten.
Schreibt die Union eine Erfolgsgeschichte für Deutschland?
Trotz der aktuellen Uneinigkeit möchte Angela Merkel keinen Bruch der Fraktionsgemeinschaft.
Im Sommerinterview sagte die Bundeskanzlerin dazu: "Wir sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland. Wir sind gemeinsam sehr stark."
Nun gehört es zum üblichen Politiker-Jargon, sich und die eigene Politik positiv darzustellen.
Aber nehmen wir hier die Kanzlerin ruhig einmal beim Wort, immerhin regieren die beiden Unionsparteien mit wechselnden Koalitionspartnern Deutschland seit nunmehr 13 Jahren. Ist diese Regierungsarbeit wirklich eine Erfolgsgeschichte?
Sieht man sich die nackten Zahlen einmal an, wirkt der Streit in der Asylpolitik etwas merkwürdig. Deutschland geht es nämlich in vielen Bereichen besser denn je. Die Zahl der Erwerbstätigen und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt weiter, die Nachfrage nach neue Mitarbeitern bewegt sich laut Agentur für Arbeit "auf anhaltend hohem Niveau", die Arbeitslosigkeit ist auf dem tiefsten Stand seit 1990. In Rankings der Länder mit der höchsten Lebensqualität schneidet Deutschland regelmässig sehr gut ab.
Merkels These mit der Erfolgsgeschichte ist so gesehen nicht unbedingt falsch, auch wenn man im Zweifel nicht immer nachweisen kann, welcher Erfolg auf welche Entscheidung zurückgeht. Aber: Erfolg ist nicht nur wirtschaftlicher Erfolg.
Betrachtet man andere Bereiche, sieht die Erfolgsgeschichte schon nicht mehr so rosig aus. Bestes Beispiel: die Klimapolitik. Es ist nicht lange her, da musste die Bundesregierung eingestehen, dass Deutschland die Klimaziele bis 2020 nicht erreichen wird. Ähnliche Versäumnisse gab es beispielsweise bei der Pflege, weshalb Gesundheitsminister Spahn nun ein Sofortprogramm startete.
Andere Risiken und Probleme drängen ebenfalls: Digitalisierung, bezahlbarer Wohnraum, eine Agrarwende, Altersarmut oder Rückgang der Artenvielfalt.
Hier hat die Union in den vergangenen 13 Jahren offenbar zu wenig gemacht, daraus müsste die aktuelle Bundesregierung erst noch eine Erfolgsgeschichte schreiben.
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