"Die Erde schwitzt, das Eis schmilzt" - mit diesem etwas zu kindgerechten Titel wollte Frank Plasberg in seiner jüngsten Ausgabe von "Hart, aber fair" den Klimawandel greifbar machen und mit dem Zusatz "Wie radikal müssen wir uns ändern?" gleich nach dem Weg fragen, wie wir Menschen noch den Kopf aus der selbst geknüpften Schlinge ziehen wollen. Heraus kam eine spannende Sendung, die dank Frank Plasberg aber ihr eigentliches Ziel völlig verfehlte.

Christian Vock
Eine Kritik

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"Können wir so weitermachen wie bisher oder müssen wir unser Leben radikal verändern?" Angesichts dieser Einstiegsfrage von Frank Plasberg konnte einem angst und bange werden, auf welchem Niveau es in den kommenden 75 Minuten von "Hart, aber fair" zugehen würde.

Der Umstand, dass wir ganz sicher nicht so weitermachen können, möchten wir unseren Kindern auch noch ein gutes Leben ermöglichen, dürfte eigentlich nicht erst seit den Fridays-for-Future-Protesten klar sein. Die gute Nachricht: Ganz so schlimm wurde die Diskussion dann doch nicht, im Gegenteil.

Mit diesen Gästen diskutierte Frank Plasberg

Darüber wurde diskutiert

Folgen des Klimawandels:

Markus Lanz machte mit seinen Reise-Bildern eines verhungernden Eisbären und schmelzender Regionen die Folgen des Klimawandels greifbar: "Ich kann sehen, wie das Eis dort einfach verschwindet."

E-Autos:

Hier eröffnete Frank Plasberg mit einer Zahl, die Angst machen kann: 100 Millionen Fahrzeuge von VW würden auf der Welt herumfahren und dabei ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursachen.

Herbert Diess kennt die Zahl und sagte, er sei sich der Verantwortung bewusst: "Wir sind wichtig, unsere Entscheidungen haben Gewicht. Wir sind jetzt verpflichtet, nach vorne zu denken." Und damit begann die Geschichte der neuen E-Mobilitätsoffensive von VW, auf die Frank Plasberg den ganzen Abend über immer wieder zurückkam.

Den richtigen Weg:

Jetzt wurde es sachlich bis hoch emotional. Für Herbert Diess ist zum Beispiel geht es beim E-Auto nicht nur um die Technik, es sei vielmehr "eine Systemfrage": "Der Wandel in die Elektromobilität ist nicht nur, andere Autos zu bauen." Es brauche zum Beispiel auch eine völlig andere Infrastruktur.

Für Svenja Schulze muss die Politik die Rahmenbedingungen für eine Transformation schaffen: "Heute ist es für Menschen schwierig, individuell CO2 zu vermeiden. Das muss Politik einfacher machen."

Ulf Poschardt will ebenfalls einen Transformationsprozess, man müsse aber die Menschen mitnehmen. "Die Panikmache", mit der er selbst aufgewachsen sei, helfe dabei aber nicht.

Verbote:

Vor allem Ulf Poschardt und Markus Lanz plädierten gegen Verbote. Dabei unterschlugen sie aber, dass es zum einen bisher ohne Verbote nicht sonderlich gut gelungen ist, den Klimawandel zu bremsen und zum anderen, dass ein Leben ohne Verbote ohnehin nicht funktioniert. Verbote zu verbieten, klingt also nicht nur paradox, es ist es auch.

Der Schlagabtausch des Abends

Es war schwierig, die Position von Ulf Poschardt an diesem Abend richtig einzuschätzen. Da gab es auf der einen Seite den Poschardt, der möglichst auf nichts verzichten oder etwas verboten bekommen möchte und bei dem diejenigen, die nicht beim Transformationsprozess mitmachen, auf keinen Fall kritisiert werden dürften.

Als Poschardt zum Beispiel davon sprach, dass E-Autos "keine Seele" hätten, fuhr ihm Luisa Neubauer in die Parade: "Wenn man Ihnen zuhört, Herr Poschardt, hat man das Gefühl, sie haben überhaupt kein Verständnis dafür, was eine Klimakrise ist. Offensichtlich ist, das wir ein CO2-Budget haben. Das gibt uns ganz klare Grenzen, was wir machen können. Innerhalb von diesem Budget heisst es jetzt, kreativ zu werden, das Beste draus zu machen."

Für Poschardts Bedenken, man müsse mit Verzichtsforderungen vorsichtig sein, hatte Neubauer ebenfalls klare Worte: "Wissen Sie, was nicht hilft: Wenn man 20 Jahre lang das Narrativ bedient, dass Klimaschutz Menschen was wegnehmen würde. Und jetzt sich zu fragen, warum die Menschen nicht mehr für Klimaschutz zu begeistern sind – Entschuldigung, aber dafür ist es ein bisschen zu spät, da hätte man mal früher aufpassen müssen."

Dann gab es aber auch den Poschardt, der plötzlich doch mitgestalten will und das grosse Ganze sieht. Vielleicht wäre Poschardts Standpunkt klarer geworden, hätte er über die, die Anderes vorleben und sich engagieren, etwas weniger despektierlich gesprochen.

Diese herablassende Art Poschardts fiel irgendwann sogar Markus Lanz auf: "Wenn wir die Debatte so an der Oberfläche führen, wir brauchen irgendwie die Seele und dann werden ständig Veganer beleidigt. Kann man alles machen, aber ich finde, das führt halt zu nichts."

Das fehlte der Diskussion

Zahlen und Fakten oder wie es Neubauer ausdrückte: "Schade, dass hier kein Klimaforscher sitzt." Der hätte der Runde und den Zuschauern dann nämlich einmal ohne Gerede von "Seelen" erklären können, wie radikal wir unser Leben tatsächlich ändern müssen.

Kurzum: Was bedeutet es in der Praxis, wenn wir wirklich die verabredeten Klimaziele von Paris einhalten wollen – und zwar für jeden von uns? Diese Zahlen gibt es und hätte man sie wenigstens einmal in der Runde erwähnt, hätte sich die Diskussion über die Notwendigkeit von Verboten sehr schnell erledigt.

So schlug sich Plasberg

Sehr schlecht. Plasberg wollte ja eigentlich herausfinden, wie radikal wir unser Leben ändern müssen. Von den bereits erwähnten fehlenden Fakten abgesehen, gaben nahezu alle Gäste Plasberg die Gelegenheit, den Blick aufs grosse Ganze zu richten und sich nicht mit dem Elektroauto zu verzetteln.

Ständig wurde der Moderator auf den nötigen Systemwechsel, den grossen Transformationsprozess und die Mehrdimensionalität hingewiesen, sogar in den eingeblendeten Tweets der Zuschauer. Aber Plasberg verpasste jede Gelegenheit und so hatte man irgendwann das Gefühl, dass er der Dimension der ganzen Diskussion nicht gewachsen war.

Fazit

Der Diskussion fehlte eine Menge, aber es war auch eine Menge da. Ein grosses Defizit bei der Frage nach der Radikalität war unter anderem der Umstand, dass sich die Sendung sehr auf den Klimawandel fokussierte. Der Eisbär ist schliesslich nicht nur deshalb bedroht, weil ihm, um im Plasbergsches Bild zu bleiben, das Eis zu dünn wird, sondern weil ihm zum Beispiel durch intensive Jagd auf Robben die Nahrungsgrundlage entzogen wird.

Hätte Plasberg auch mit nur einem Wort all die grossen Probleme, vom Verlust der Artenvielfalt bis zur Vermüllung der Meere, auch nur mit einem Satz und den dazugehörigen Fakten erwähnt, wäre die Dimension der aktuellen Lage besser zu verstehen gewesen. Dann wäre Plasberg vielleicht auch nicht um die Antwort auf seine eigentliche Frage, wie radikal wir uns ändern müssen, herumgekommen.

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