Grossbritanniens Premierminister hat die Parlamentswahlen auf den 4. Juli vorgezogen. Dabei droht seinen konservativen Tories eine verheerende Niederlage. Was treibt Rishi Sunak an? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Zeitung "Financial Times" nennt den Schritt "verwunderlich". Andere Kommentatoren finden ihn "mutig". Zuletzt war bereits darüber spekuliert worden. Trotzdem hat der britische Premierminister
Grossbritannien wählt bereits in einigen Wochen, am 4. Juli, ein neues Parlament. Regulär hätte die Wahl des Unterhauses erst im Januar 2025 angestanden.
Wie kam es zu der vorgezogenen Wahl?
Im Vereinigten Königreich hat der Premierminister sehr weitreichende Befugnisse. Dazu gehört: Er kann Wahltermine ansetzen – wenn der
Warum sorgt der Schritt für Verwunderung?
Eigentlich ist es für die Konservativen eine denkbar schlechte Zeit für Neuwahlen. Einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge würden sich derzeit nur 20 Prozent der Britinnen und Briten für die Tories entscheiden. 41 Prozent würden dagegen den oppositionellen Sozialdemokraten der Labour-Partei ihre Stimme geben. Wegen des britischen Wahlsystems könnte Labour damit auf eine deutliche Mehrheit im Londoner Unterhaus hoffen.
Die Lage der Konservativen ist desolat: Zuletzt verloren sie bei Kommunalwahlen in England Hunderte Sitze und einen wichtigen Bürgermeisterposten sowie bei einer Nachwahl zum Parlament einen Wahlkreis in Nordwestengland. Auch die rechtspopulistische Partei Reform UK, die frühere Brexit-Partei, setzt die Tories zunehmend unter Druck.
Warum sind die britischen Konservativen so unbeliebt?
Die Tories regieren in Grossbritannien seit Mai 2010, also seit 14 Jahren. Seitdem hat das Königreich viel erlebt – vor allem den Brexit, also den Austritt aus der Europäischen Union. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Zuletzt gab die Regierungspartei ein zerstrittenes und nervöses Bild ab. Zudem reibt sie sich in Debatten über die Migrationspolitik selbst auf.
Sunak ist bereits der dritte Regierungschef seit der vorigen Wahl 2019, nach Boris Johnson und Liz Truss. Die Konservativen werden für mehrere Skandale der vergangenen Jahre verantwortlich gemacht, darunter die "Partygate"-Affäre um verbotene Feiern in der Downing Street während der Corona-Pandemie. Mehrere konservative Abgeordnete wurden wegen Fehlverhaltens, darunter sexuelle Übergriffe, aus der Fraktion ausgeschlossen.
Wie reagiert die Opposition?
Die anderen Parteien hoffen, von der Unbeliebtheit der Tories zu profitieren. Labour-Chef Keir Starmer sagte, es sei Zeit für einen Wechsel. Nichts scheine mehr zu funktionieren im Land. "Der öffentliche Dienst bricht zusammen, Krankenwagen kommen nicht, Familien werden durch höhere Hypothekenzinsen belastet, asoziales Verhalten auf unseren Einkaufsstrassen. Die Liste geht weiter und weiter."
Der neue schottische Regierungschef John Swinney von der Unabhängigkeitspartei SNP sagte: "Dies ist der Moment, um die Tories rauszuwerfen."
Warum geht Sunak – trotz allem – diesen Schritt?
Der Premier selbst spricht davon, klare Verhältnisse schaffen zu wollen. "Diese unsicheren Zeiten erfordern einen klaren Plan und mutiges Handeln, um die Weichen für eine sichere Zukunft zu stellen", sagte der 44-Jährige.
Auch wenn die Umfragedaten für seine Partei sehr schlecht sind: Womöglich sieht Sunak doch einen ganz leichten Aufwärtstrend. Oder anders ausgedrückt: Vielleicht würde die Wahl im nächsten Winter noch schlechter ausgehen, wenn er länger warten würde.
"Britische Premierminister rufen in der Regel vorgezogene Neuwahlen aus, um ihre Gewinnchancen zu erhöhen", sagte der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster der Deutschen Presse-Agentur. "Rishi Sunak hofft, dass eine vorgezogene Wahl das Ausmass seiner Niederlage abmildern wird."
Die wirtschaftliche Lage in Grossbritannien hat sich zuletzt ein bisschen aufgehellt. Das Statistikamt ONS teilte mit, die Verbraucherpreise hätten sich im April auf Jahressicht um 2,3 Prozent erhöht, nach 3,2 Prozent im Vormonat. Bei Sunaks Amtsantritt lag die Inflation bei mehr als 10 Prozent.
Und dann ist da noch das britische Dauerthema Migration. Die Konservativen versuchen seit langem, sich mit einer harten Flüchtlingspolitik zu profilieren. Menschen, die auf irregulären Wegen einreisen, können kein Recht auf Asyl in Grossbritannien mehr geltend machen. Sie sollen stattdessen direkt ins ostafrikanische Ruanda gebracht werden und dort ihr Glück versuchen.
Welche Folgen dieser Schritt hat, ist aber noch unklar. Obwohl bereits 240 Millionen Pfund (gut 280 Millionen Euro) an Ruanda geflossen sind, konnte bisher mit Ausnahme einer freiwilligen Ausreise kein einziger Migrant dorthin abgeschoben werden. Auch vor der Parlamentswahl am 4. Juli wird kein Abschiebeflug im Rahmen des Asylpakts mit Ruanda abheben. Das bestätigte Sunak am Donnerstag in einem Interview des Radiosenders LBC. (fab/dpa)
Verwendete Quellen
- ipsos.com: UK Opinion Polls
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