Richard Wolff sitzt als Mitglied einer linken Oppositionspartei in der Regierung der grössten Schweizer Stadt. Seit fünf Jahren ist er Vorsteher eines Departements, das er nie wollte. Wie er trotzdem glücklich wurde.

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Rote Scheinwerfer beleuchten Richard Wolff. Er sitzt auf der Bühne im "Helsinki", einem winzigen Konzertlokal im Zürcher Ausgehquartier, wo sonst Punkbands spielen. Vor ihm drücken sich die Mitglieder der linken Oppositionspartei Alternative Liste (AL).

Manche tragen blau-weisse Fussball-Schals, andere Wollmützen. Richard Wolff antwortet auf die Frage des Moderators: "Ich bin happy. Eigentlich glücklicher denn je." Er klingt selber etwas überrascht.

Dass er einmal so happy sein würde mit diesem Departement, das er erst nicht haben wollte, daran glaubte er selbst am wenigsten, als er 2013 in den Stadtrat eintrat. Als Mitglied der Kleinpartei wurde er überraschend gewählt. Frei war damals das Finanzdepartement. Der Gesamtstadtrat befand jedoch, Daniel Leupi von der Grünen-Partei sei der Richtige für dieses Amt. Und für Richard Wolff blieb das Sicherheitsdepartement übrig. Mit Feuerwehr, Sanität, Verkehr, Einzelrichteramt – und Polizei.

Er mag Bob Marley, die Polizei weniger

Richard Wolff wurde in den 1980er-Jahren politisiert. Damals, als junge Menschen für mehr kulturelle Freiräume und ein autonomes Jugendzentrum in der Stadt Zürich kämpften. Es kam mehrmals zu Krawallen, gegen welche die Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas vorging. Mitten drin Richard Wolff, damals Anfang 20, mit Bart und dunklen Locken. Er mag Bob Marley. Die Polizei weniger.

Wolff studiert Geographie und gründet mit Freunden eine Wohngenossenschaft, wo er mit seiner Lebenspartnerin drei Söhne grosszieht, engagiert sich in Quartiergruppen, für kulturelle Lokale, beim Mieterinnen- und Mieterverband Zürich und im Verkehrsclub der Schweiz (VCS). Er sagt: "Ich hatte meine Ideen, aber parteipolitisch war ich lange nicht fixiert." Erst mit 52 Jahren tritt er der Alternativen Liste bei, die am linken Rand des Stadtzürcher Parteienspektrums politisiert.

Der umtriebige Unbekümmerte wird angefragt, weil man eine Person sucht, die eine Wahl ins städtische Parlament, den Gemeinderat, annehmen würde – eine Nichtwahl aber unbeschadet übersteht. Richard Wolff wird 2010 gewählt.

Seine stärksten Waffen

Am Flughafen Zürich fegt ein Sturm über die Landebahn, drückt Regen ans Fenster der hiesigen Feuerwehr-Hauptwache. Richard Wolff hat an diesem Januartag zur Medienkonferenz geladen, an der auch ein grosses Löschfahrzeug vorgestellt wird. "Wie viele Liter Löschmittel fasst es?", fragt er später einen zuständigen Feuerwehrmann, als er gerade keine Journalistenfrage beantworten muss. Bei den meisten Politikern würde eine solche Frage im Beisein von Journalisten heuchlerisch wirken. Doch bei ihm kommt sie leise, und da ist dieses offene Lächeln, diese Konzentration auf die Antwort des verdutzten Feuerwehrmannes, der dann freudig zu Erklärungen ausholt.

Das Ergründen des Universums, das sich in seinem Departement öffnet; dieser Teil seiner Arbeit, so scheint es, ist Richard Wolff der liebste. In seinem ersten Jahr als Sicherheitsvorsteher ging er auf Streife mit der Bikerpatrouille, besuchte eine Kreiswache, war bei einem Drogenscheinkauf dabei, auf Einsätzen mit den Rettungssanitätern und der Feuerwehr. Wahrscheinlich sind das Fehlen von Dünkel und das Interesse für verschiedene Gebiete und Menschen seine grössten Stärken. Sie helfen ihm auch über die Kluft hinweg, die sich zwischen seiner linken Gesinnung und dem hierarchischen Polizeiwesen öffnet. Meistens zumindest.

Wie Wolff Anklang fand

Kurz nach seinem Amtsantritt nimmt er an einer Podiumsdiskussion teil, an der sich Jugendliche über schikanöse Kontrollen durch die Polizei beklagen. Richard Wolff sagt am Anlass, dass es wohl in der Tat diskriminierende Kontrollen gebe, dass man sich in diesen Fällen wehren und bei der Ombudsstelle melden solle. Damals fühlen sich viele Polizisten in seinem Departement angegriffen, glauben einen Chef zu haben, der ihre Arbeit schlecht findet, einen Bullenhasser.

Heute, fünf Jahre später, hört man aus Stadtpolizeikreisen nur noch neutrale bis gute Worte über Richard Wolff. Und Hanspeter Fehr, Direktor von Schutz & Rettung, ein direkter Untergebener Wolffs, sagt: "Er ist ein sehr guter Chef. Er hat Vertrauen in seine Mitarbeiter. Er führt den Dialog in der Tiefe und entscheidet dann." Er sage das nicht, weil er die gleiche Gesinnung habe – darauf würde man auch nicht kommen, wenn man ihn mit seinem schicken Auto sieht – er gehöre keiner Partei an.

Dass die Leute gern unter Richard Wolff arbeiten, zeigt auch eine Erhebung der Arbeitszufriedenheit in der zentralen Verwaltung. Sie liegt im Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich weit über dem Durchschnitt.

Das Kreuz mit dem Koch-Areal

Vorgeworfen wird Richard Wolff heute hauptsächlich eines: Es geht um das besetzte Koch-Areal im Nordwesten der Stadt. Seit einigen Jahren haben sich dort Hausbesetzer niedergelassen – darunter zeitweise auch Söhne von Richard Wolff. Es kommt mehrmals zu Lärmbelästigungen, die bürgerlichen Politiker sprechen von unhaltbaren Zuständen. Richard Wolff sieht sich trotz familiärer Verstrickungen nicht befangen. Es dauert einige Monate, bis er auf Druck der Öffentlichkeit schliesslich im Herbst des letzten Jahres das Dossier abgibt.

Städtische Politiker sind über diese späte Reaktion empört. Natürlich auch, weil sich damit gut Wahlkampf betreiben lässt. Schliesslich stehen im März lokale Wahlen an. "Da erwarten wir vom Vorsteher des sensiblen Sicherheitsdepartements mehr Fingerspitzengefühl", sagt Karin Weyermann, Fraktionschefin der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) im Stadt-Parlament. Martin Götzl, Fraktionschef der rechtskonservativen SVP, sagt: "Er sah seine Befangenheit erst viel zu spät ein. Das ist unglaubwürdig.”

Wie er die Polizei umbaut

Im "Helsinki" hat sich die Menge aufgelöst, das Dessertbuffet wird aufgebaut. Richard Wolff ist hier schlicht der "Richi", so nennen ihn auch Mitglieder, die ihn nur aus der Ferne kennen. "In dieser Koch-Areal-Sache hat er einfach zu lange geschwiegen", sagt eine Frau mit kurzen, grauen Haaren. "Ich schätze aber seine Offenheit, seine Ehrlichkeit." Auch die jüngeren AL-Mitglieder, die draussen lokalbiertrinkend um rostige Fässer stehen, in denen Feuer lodert, finden: "Das mit dem Koch-Areal war nicht gut." Ansonsten: Richard Wolff sei sehr authentisch und professionell, einfach super, finden sie.

Einen leichten Stand hat Richard Wolff in seiner Partei nicht. Obwohl er die Polizei Stück für Stück verändert, menschlicher und bunter machen möchte. In einem von ihm gross angelegten Reformprojekt werden Polizisten auf Racial Profiling sensibilisiert. Also darauf, dass polizeiliche Kontrollen nicht auf äusserlichen Stereotypen basieren dürfen. Es soll den Respekt gegenüber den Polizisten fördern. Und mehr Frauen ins Korps bringen, ebenso Menschen mit Migrationshintergrund und städtische Bewohner. Vor kurzem ordnete Richard Wolff überdies an, dass die Nationalitäten von straffällig gewordenen Personen nicht mehr automatisch in Polizeimitteilungen erwähnt werden. Denn: "Die Nationalität verdeckt die eigentlichen Ursachen für kriminelle Handlungen wie Armut, tiefes Bildungsniveau oder Drogenkonsum."

Zu wenig Biss?

Manchen in seiner Partei ist dieser Wandel zu zaghaft, für sie hat Wolff zu wenig Biss. AL-Gemeinderätin Manuela Schiller sagt: "Wir müssen schauen, dass wir nicht zu brav werden." Andere finden Wolffs Umbau zu umfassend, denn staatstragend wollen sie mit ihrer Oppositionspartei eigentlich gar nicht sein.

Eine Partei soll ihre Exekutivpolitiker kritisieren können, sagt Richard Wolff. Vor allem eine Partei wie die AL. "Sonst wird sie zaghaft oder zahnlos." Leicht ist das für ihn nicht. Oft steht er mit Anliegen aus dem Stadtrat in seiner Partei alleine da. Als er den Mitgliedern nahe bringen wollte, wie wichtig die Zürcher Ausnüchterungs- und Betreuungsstelle sei, stimmte am Ende nur ein Mitglied von 40 Anwesenden dafür.

Er ist angekommen

"Ich verkrafte das", sagt Richard Wolff in seinem Arbeitszimmer in der Polizeiwache Urania. Ein Raum, in dem alles gross ist: der alte, weisse Kachelofen, der ein Wohnhaus erwärmen könnte, die Tische mit den Aktenstapeln, die hohen Fenster. Wenn draussen die Medien wettern, die Partei oder der Gemeinderat, ist dies der Ort, an dem sich Richard Wolff am sichersten fühlt, umgeben von seinem engsten Team.

Hier sitzt er am Tisch, glattrasiert, feingliedrig im grauen Anzug. Mit dem Blick aus dem Fenster, auf die träge fliessende Limmat. Er lächelt sein offenes Lächeln. Zufrieden. Happy.

Richard Wolff ist angekommen. Und er möchte bleiben. Im März tritt er zur Wiederwahl an. Sein Departement will er unbedingt behalten.  © swissinfo.ch

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