- Marine Le Pen scheint ein Imagewechsel ihrer Partei gelungen zu sein.
- Am Aufstieg des RN tragen auch Emmanuel Macron und Éric Zemmour Mitschuld.
- Die aktuellen Machtverhältnisse in Frankreich bergen Risiken und Chancen.
Mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit und ein paar simplen Tricks des Storytelling gelang
Neues Image für den Rassemblement National
Während Emmanuel Macron zu seinem Amtsantritt 2017 ankündigte, den RN "bekämpfen" zu wollen, leitete Marine Le Pen Massnahmen zur "Entdiabolisierung" ihrer Partei ein. Die Namensänderung von "Front National" in "Rassemblement National" markierte die Distanzierung von Jean-Marie Le Pen, dem Gründer der Partei und Vater der heutigen Vorsitzenden, der in der Vergangenheit unter anderem auch wegen Holocaust-Leugnung für Aufregung sorgte.
Ausserdem fährt "Marine", wie sie sich jetzt bevorzugt präsentiert, seit dem diesjährigen Wahlkampf eine neue Strategie. Anstatt angriffslustig ihre Steckenpferde "Euro-Ausstieg", "Migrationsstopp" und "Nationalpräferenz" zu verteidigen, spricht sie vornehmlich über die Kaufkraft und die wirtschaftliche Unabhängigkeit Frankreichs. Damit traf sie bei der durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine verunsicherten Bevölkerung ins Schwarze.
Emmanuel Macron und Éric Zemmour tragen Mitschuld
Das Resultat der Wahlen wird vor allem von der neuen Allianz der linken Parteien "Nupes" (137 Abgeordnete) kritisiert, die auf die Mehrheit hoffte, um eine Kohabitation zu erreichen. Schuld am Aufstieg der RN-Abgeordneten sei Emmanuel Macron, der mit seinem Regierungsstil für den Zusammenbruch der Parteien der Mitte sorgte und damit vielen Menschen den RN näher brachte.
Jean-Luc Mélenchon, der Vorsitzende der linkspopulistischen Partei "La France Insoumise", der den Posten des Premierministers verlangte, sieht das Resultat dennoch als Teilerfolg. "Wir haben das politische Ziel erreicht, das wir uns gesetzt hatten: In weniger als einem Monat denjenigen zu Fall zu bringen, der mit so viel Arroganz dem ganzen Land den Arm verdrehte, um gewählt zu werden, ohne dass wir wussten, wofür."
Doch neben dem Kalkül Macrons und den PR-Massnahmen des RN gibt es noch eine dritte Schlüsselfigur, die zur aktuellen Situation beigetragen hat. "In diesem Prozess der ‘Normalisierung’ hat Éric Zemmour eine wesentliche Rolle gespielt, nämlich die des Erben von Jean-Marie Le Pen" erklärt Luc Rouban, Direktor des Forschungsinstituts CNRS und Wissenschaftler im Zentrum für Politikforschung der Universität Sciences Po in einer Debatte mit dem Sender Radio France. "Indem er die Debatte auf die Frage nach Identität und französische Kultur fokussierte, hat er Marine Le Pen ermöglicht, sich auf einem viel sozialeren und wirtschaftlicheren Terrain zu entfalten."
Warnung und Chance für die Demokratie
Steht also nach der erfolgreichen Entdiabolisierung nun die Normalisierung und gar die Institutionalisierung den RN an? Jacob Ross, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Frankreich-Programm der DGAP, verfolgt die innenpolitischen Debatten und Herausforderungen. "Insbesondere die Frage, ob es dem RN gelingt, eine ‘konstruktive Opposition’ zu sein, finde ich sehr spannend – auch schon mit Blick auf die kommenden Wahlen, 2027. Das hängt einerseits von der Fraktionsdisziplin und der Bereitschaft der Abgeordneten ab, tatsächlich parlamentarische Arbeit zu leisten und nicht nur zu polemisieren", analysiert Ross.
Marine Le Pen lässt bisher wenig Zweifel an ihren Ambitionen für die Zukunft. "Wir werden alles einfordern, was uns zusteht", so Le Pen nach dem Wahlerfolg. "Unsere Fraktion wird keine Kompromisse eingehen, was die Mittel angeht, die ihr zugestanden werden, um die Franzosen verteidigen zu können."
Die aktuellen Machtverhältnisse seien laut Ross eine Warnung für die Demokratie, können aber auch eine mit Risiken verbundene Chance sein. "Wenn die Regierungsparteien und die anderen Oppositionskräfte es geschickt anstellen, können sie den RN vielleicht entlarven, als eine Partei ohne konstruktive und realistische eigene Vorschläge. Wenn das nicht gelingt, dann wird die ‘Normalisierung des RN’ Fahrt aufnehmen und für die kommende Wahl steigen erneut die Chancen für eine rechtsextreme Präsidentin."
Verwendete Quellen:
- ifop.com: Élection 2022
- radiofrance.fr: Le RN a-t-il achevé sa normalisation ?
- Gespräch mit Jacob Ross
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