Das Foto eines toten Flüchtlingsjungen geht um die Welt. Das syrische Kleinkind liegt mit dem Kopf nach unten an dem Strand der türkischen Stadt Bodrum, ertrunken auf der Fahrt über das Mittelmeer nach Kos. Die Welt reagiert entsetzt auf das neue Ausmass des Flüchtlingsdramas.
Deutsche und internationale Medien berichten bestürzt über das Bild des toten Jungen.
"Bild.de" schreibt zu jenem besagten Bild anklagende Worte an Politik und Bevölkerung und appelliert an die Gefühle der Leser: "Bilder wie dieses sind schändlich alltäglich geworden. Wir ertragen sie nicht mehr, aber wir wollen, wir müssen sie zeigen, denn sie dokumentieren das historische Versagen unserer Zivilisation in dieser Flüchtlingskrise. Europa, dieser unermesslich reiche Kontinent, macht sich schuldig, wenn wir weiter zulassen, dass Kinder an unseren Küsten ertrinken."
"Auf den ersten Blick wirkt er fast friedlich"
Was auf dem Foto zu sehen ist, zeigt die "Süddeutsche Zeitung" nicht, sondern beschreibt es eindrücklich: "Auf den ersten Blick wirkt er fast friedlich in seinem roten T-Shirt, seiner blauen Hose und den Kinderschuhen, als würde er schlafen - doch tatsächlich ist die Kraft aus dem Körper gewichen, die Hände wie ausgerenkt, die Augen sind geschlossen, das Gesicht ist leer. Der Junge ist beim Fluchtversuch nach Kos gestorben. Er (hat) versucht, per Boot auf die griechische Insel zu kommen. Nach Europa, in Sicherheit, in ein Leben ohne Krieg und Angst."
"Spiegel Online" zitiert den Vater des ertrunkenen Jungen: "Das Boot sei auf der Fahrt von Bodrum zur griechischen Insel Kos bei hohem Wellengang gekentert, sagte Abdullah Kurdi. 'Ich half meinen beiden Söhnen und meiner Frau und versuchte mehr als eine Stunde lang, mich am gekenterten Boot festzuhalten. Meine Söhne lebten da noch. Mein erster Sohn starb in den Wellen, ich musste ihn loslassen, um den anderen zu retten.' Weinend fügte der Vater hinzu, dass trotz seiner Bemühungen auch der andere Sohn gestorben sei. Als er sich dann um seine Ehefrau habe kümmern wollen, habe er sie tot vorgefunden. 'Danach war ich drei Stunden im Wasser, bis die Küstenwache ankam und mich rettete.'"
"Das Foto muss eine Veränderung bringen"
"Was, wenn nicht dieses aussergewöhnlich wirksame Bild eines an den Strand gespülten syrischen Kindes, wird die europäische Haltung gegenüber Flüchtlingen ändern?" fragt die britische Tageszeitung "The Independent" und ruft damit Politiker auf, sich in der Flüchtlingskrise anders zu verhalten.
Auch die spanische Zeitung "El Periódico" fordert Reaktionen: "Das Foto muss eine Veränderung bringen, muss der Wendepunkt in einer Tragödie sein, die bereits für unzählige schreckliche Bilder gesorgt hat." Das Portal vergleicht das dramatische Foto mit Bildern von Opfern anderer Krisen. Dieses sei "ähnlich zu dem Bild des nackten, 9-jährigen Mädchens auf der Flucht vor Napalmangriffen als Symbol für den Vietnamkrieg" ein Begriff für die Flüchtlingskrise. Dieses Bild zeige den "Untergang Europas".
Das Schweizer Portal "Blick.ch" ruft ebenfalls zu Veränderungen auf: "Wir alle können dazu beitragen, dass es solche Bilder nicht mehr gibt"
Das italienische Medium "La Repubblica" nennt das Foto "ein Foto, um die Welt zum Schweigen zu bringen" und betont den schrecklichen Hintergrund: Das Bild sei "eine unnatürliche Vorstellung, denn Kinder sollten an Stränden spielen" und dort nicht ertrunken angespült werden.
"Herzergreifende Bilder"
"Das gesamte Ausmass der menschlichen Tragödie an den europäischen Küsten kommt zu uns nach Hause" schreibt der britische "The Guardian" über das Foto des toten Flüchtlingsjungen und drückt damit aus, dass das Elend an den Flüchtlingsbrennpunkten für uns immer greifbarer wird.
Die türkische Tageszeitung "Hürriyet" schreibt, dass "diese Bilder (...) im Gedächtnis" bleiben.
Die US-amerikanische "Washington Post" nennt diese "herzergreifenden Bilder" das "Symbol der grössten Tragödie der Flüchtlingskrise im Mittelmeer". Auf den ersten Blick erkenne man nicht, dass das Kind tot ist: "Sein Körper ist so ruhig und puppenhaft, dass er schlafen könnte."
Dürfen Medien solche Bilder zeigen?
Mit der Frage, ob man das Foto der Kinderleiche so prominent veröffentlichen dürfe, befasst sich die "Süddeutsche Zeitung": "Muss man Ihnen als Leserin oder Leser das Bild eines toten Kindes zum Frühstück zumuten, damit unmenschliche Aspekte der Asylpolitik in Ihren persönlichen Diskurs rücken?"
Diese "brutalen Bilder (...) müssen gesehen werden" fordert dagegen die "New York Times".
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