Die Staats- und Regierungschefs der EU haben Ursula von der Leyen (CDU) als Kommissionspräsidentin nominiert - und damit keinen der Spitzenkandidaten. Das bringt ihnen in der internationalen Presse deutliche Kritik ein. Es gibt aber auch lobende Stimmen.

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Nicht Manfred Weber, nicht Frans Timmermanns - nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs der EU wird nicht etwa einer der Spitzenkandidaten der Parteifamilien Präsident der EU-Kommission. Stattdessen setzen sie auf die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die bislang mit Europapolitik nichts am Hut hatte.

Ein Affront gegenüber den Wählern oder ein gelungener Kompromiss? Die internationale Presse beurteilt die Entscheidung sehr unterschiedlich.

Die internationalen Pressestimmen

"De Standaard" (Belgien): "Wie eine schlechte Imitation eines Thrillers"

"Keiner der Spitzenkandidaten, die von ihren Parteien als europäische Gallionsfiguren aufgestellt wurden, überlebte das zynische Kräftemessen, das die Verteilung der Spitzenjobs in Europa darstellt. [...] Stattdessen kam in der letzten Minute die Ersatzspielerin von Angela Merkel, Ursula von der Leyen, von der Bank. Es wirkte wie eine schlechte Imitation eines Agatha-Christie-Thrillers, in dem sich auf der letzten Seite eine bisher unbekannte böse Zwillingsschwester als Täter erweist."

"Die Presse" (Österreich): "Demokratiepolitisch äusserst bedenklich"

"Es ist in der EU leichter vorstellbar, dass eine wichtige Personalentscheidung am Europaparlament vorbei getroffen wird als über die Köpfe von Emmanuel Macron und Angela Merkel hinweg. Diese Erkenntnis der vergangenen Tage ist demokratiepolitisch äusserst bedenklich."

"El Periódico" (Spanien): "Vergrössert das demokratische Defizit"

"Man kann nicht die Tatsache übersehen, dass keiner der wichtigsten Spitzenkandidaten Kommissionschef wird. Das vergrössert das demokratische Defizit der EU, die Distanz zwischen der Stimmabgabe der Bürger und der Führung der Union. Ein weiteres Mal wird klar, dass die EU ein Club von Staaten ist und dass es diese sind, die die Entscheidungen von grosser Tragweite treffen."

"De Volkskrant" (Niederlande): "Alle Spitzenkandidaten haben verloren"

"Am Ende haben alle Spitzenkandidaten verloren (nicht nur Timmermans). Das System, bei dem der Wähler mit seiner Stimme beeinflussen kann, wer Kommissionspräsident wird, scheint begraben worden zu sein. Unter die Erde gebracht von Regierungschefs, die überhaupt nicht angetan waren von dem, was sie als Machtübernahme des Parlaments betrachteten."

"Lidove noviny" (Tschechien): "Eine gute Nachricht"

"Die Tatsache, dass sie sich am Ende trotz aller vorhergehenden Streitigkeiten doch noch geeinigt haben, ist eine gute Nachricht für die Gemeinschaft. [...] In allen bisherigen politischen Ämtern, die sie in Deutschland vertrat, zeichnete sich Ursula von der Leyen durch eine hohe soziale Intelligenz aus. Wir werden nun nicht länger Zeugen der Gönnerhaftigkeit eines Jean-Claude Juncker sein, der die Premiers abwechselnd geküsst, an der Wange getätschelt oder halb im Scherz als Diktator begrüsst hat."

"Kommersant" (Russland): "Im letzten Moment Krise vermieden"

"Die Europäische Union hat im letzten Moment eine neue Krise vermieden, die entstanden wäre, wenn der Gipfel in Brüssel gescheitert wäre.[...] Die Deutsche Ursula von der Leyen und der Spanier Josep Borrell - sie sollen Kommissionspräsidentin und EU-Aussenbeauftragter werden - haben wiederholt scharfe Bemerkungen gegen Moskau gemacht. Und sie werden sicherlich darauf bestehen, das Sanktionsregime aufrechtzuerhalten."

"Libération" (Frankreich ): "Fortschritte in Richtung Parität"

"Zwei Frauen in zwei Schlüsselpositionen: Die Europäische Union hat zweifellos gerade gepunktet, indem sie bei der Aufteilung der kontinentalen Zuständigkeiten spektakuläre Fortschritte in Richtung Parität gemacht hat."

"Rzeczpospolita" (Polen): "Für Merkel ein Traum"

"Als unwahr erwies sich eine These, die am Dienstag von vielen europäischen Medien verbreitetet wurde. Und zwar, dass das Fiasko des Pakets mit (Frans) Timmermans ein Beweis für Angela Merkels politisches Ende ist. Das nun vereinbarte Szenario ist für Merkel ein Traum, mit dem sie ohne die mit Timmermans verbundene Krise nie hätte rechnen können." (dpa/mcf)

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