Silvio Berlusconi geht es an den Kragen: Erstmals wurde der viermalige italienische Ministerpräsident und Skandalpolitiker offiziell verurteilt. Vier Jahre Haft lautet das Urteil des Kassationsgerichts in Rom. Doch Berlusconi muss weder ins Gefängnis, noch muss er sich endgültig aus der italienischen Politik zurückziehen. Also doch nur ein halber Sieg der Berlusconi-Gegner? So kommentieren Zeitungen das Urteil gegen den "Cavaliere".
Silvio Berlusconi wäre nicht Silvio Berlusconi, das Stehaufmännchen der italienischen Politik, der Phönix unter den europäischen Staatsmännern, wenn er das Urteil in letzter Instanz einfach so hinnehmen würde. So dauerte es nur wenige Stunden bis der 76-Jährige seine endgültige Verurteilung scharf und medienwirksam via Videobotschaft kommentierte: "Niemand kann die Gewaltattacke verstehen, die mir mit einer Reihe von Prozessen und Anklagen beschert wurde", beschwert sich der nun offiziell als Steuerbetrüger gebrandmarkte Ex-Ministerpräsident von Italien.
Und er hat auch schon einen Schuldigen ausgemacht: die italienische Justiz: Ein Teil der Richter in Italien sei "verantwortungslos", die Prozesse gegen ihn eine "wirkliche und wahre juristische Verbissenheit", die ihresgleichen suche, sagte er. Auch Berlusconis Anwälte fanden nach der Urteilsverkündung deftige Worte. Das Urteil gegen ihren Mandanten könne "nur Bestürzung" zurücklassen. Es habe triftige Gründe für einen vollständigen Freispruch gegeben. Und dann kündigten sie an, weiterzukämpfen: "Wir werden jeder Möglichkeit folgen, auch auf europäischer Ebene, um sicherzustellen, dass dieses ungerechte Urteil grundlegend geändert wird."
Berlusconi und der doppelte Boden
Auch Berlusconi selbst denkt gar nicht ans Aufhören. Stattdessen werde er seinen "Kampf für die Freiheit" fortsetzen und seine Partei "Forza Italia", mit der er vor fast 20 Jahren in die Politik eingestiegen war, wiederbeleben. Dann klagte der gerade Verurteilte noch einmal an: "So belohnt Italien die Opfer und das Engagement seiner besten Bürger."
Und eine Rückkehr von Berlusconi in die italienische Politik ist zumindest aus rechtlicher Sicht nicht ausgeschlossen: Denn trotz der Verurteilung muss Berlusconi nicht ins Gefängnis. Drei der vier Jahre werden ihm nach einem Gesetz von 2006 aus Altersgründen erlassen. Den Rest kann er in Sozialstunden ableisten - oder im Hausarrest in seiner Luxusvilla. Da gibt es eindeutig schlimmere Strafen.
Nach dem aktuellen Urteil muss das in erster Instanz ebenfalls verhängte Ämterverbot zudem neu verhandelt werden. Ein anderes Berufungsgericht, diesmal in Mailand, muss darüber nun noch einmal entscheiden. Hätte das Kassationsgericht die fünfjährige Ämtersperre aus erster Instanz bestätigt, wäre das wohl endgültig das Ende des 76-jährigen Politikers gewesen. Doch auch diesmal steht der Houdini der italienischen Politik damit auf einem doppelten Boden. Also doch nur ein halber Sieg der italienischen Justiz über den ehemaligen Ministerpräsidenten?
Pressestimmen zum Urteil gegen Silvio Berlusconi
"Mit seiner Verurteilung ist Berlusconi endgültig ein Mann der Vergangenheit - hat er noch einen Funken Anstand im Leib, wird er sich aus der Politik zurückziehen", kommentiert die "Süddeutsche Zeitung" und kritisiert die Uneindeutigkeit des Urteils: "Berlusconi war ein Meister in der Steuerung dieser Fassadenrepublik. Nicht wenige sagen: Der Mann hat sich seine eigene Republik gebaut, in der er unbehelligt seinen privaten Interessen nachgehen konnte, die er als die Interessen des Staates deklarierte. Gemessen am Grad der Selbstbereicherung, der Rechtsbeugung, des politischen Missbrauchs und der Chuzpe befriedigt das Urteil gegen Berlusconi das Bedürfnis nach Gerechtigkeit nur unzureichend. Selbst als verurteilter Straftäter scheint der Mann noch immer ein Stück über dem Recht zu stehen."
Auch "FAZ.net" glaubt nicht an das endgültige politische Aus von Berlusconi: "Silvio Berlusconi ist erstmals rechtskräftig verurteilt worden, nach Dutzenden Prozessen. Jahrelang bissen sich Ermittler am viermaligen Regierungschef Italiens die Zähne aus: Untersuchungen wegen Meineids, Förderung der Prostitution oder Bestechung, von denen viele verjährten oder ihn Anwälte oder massgeschneiderte Gesetz schützten. Nun hat es ihn doch noch wegen Steuerhinterziehung erwischt: eine Haftstrafe von vier Jahren. Aber der "Cavaliere" kommt mit einem blauen Auge davon."
"Spiegel Online" fragt sich, wie in Italien auf das urteil reagiert wird: "In Italien beginnt unterdessen erst noch die Diskussion über die Substanz des Gerichtsurteils gegen Berlusconi. Dabei gibt es in Italien einen tiefen Riss in der Beurteilung der Justiz: Die Berlusconi-Anhänger zeigen sich weiter davon überzeugt, dass ihr Parteiführer von politisierten Staatsanwälten und Richtern verfolgt werde. Die Berlusconi-Gegner sagen, die Justiz und ihre Urteile müssten auf jeden Fall respektiert werden."
Welche Folgen hat das Urteil für die italienische Politik?
Die "TAZ" überlegt, welche Folgen das urteil gegen Berlusconi für die italienische Politik hat: "So bescheiden die Folgen des Urteils also für Berlusconi sind, so gravierend sind sie womöglich für das Land. Denn die Regierung wird unweigerlich in schwere Turbulenzen geraten. Zwar will Berlusconi selbst die Koalition nicht aufkündigen, die den Ministerpräsidenten Enrico Letta trägt. Aber seine Partei wird in den nächsten Tagen eine heftige Kampagne gegen die Justiz entfesseln. Damit könnte schnell die Schmerzgrenze für den Koalitionspartner, Lettas gemässigt linke Partito Democratico, erreicht sein."
Die "Badischen Neuesten Nachrichten" aus Karlsruhe macht sich ebenfalls Gedanken über die Folgen des Urteils auf die Grosse Koalition: "Berlusconi wurde in letzter Instanz verurteilt. Jetzt ist er ganz offiziell ein Steuerhinterzieher und somit ein Krimineller. Daran ist nun nicht mehr zu rütteln. Die italienischen Sozialdemokraten von Regierungschef Enrico Letta befinden sich also in einer Grossen Koalition mit einem rechtskräftig als Kriminellen Verurteilten."
Die "Saarbrücker Zeitung" hält das Urteil für salomonisch: "Mit diesem abgemilderten Urteil ist zumindest fürs Erste auch die Gefahr gebannt, dass die Regierungskoalition auseinanderbricht. Es ist eine Kompromiss-Entscheidung der Richter, und sie ist möglicherweise dem enormen politischen Druck geschuldet, der auf dem Verfahren lastete. Denn ein Sturz der Regierung und ein Rückfall ins politische Chaos hätte schlimme Folgen für Italien und Europa. (...) Für Berlusconi selbst spielt es dagegen letztlich gar keine Rolle, ob er weiter im Parlament sitzt oder ob er unter Hausarrest gestellt wird. Er bleibt auch nach diesem Urteil der grosse Anführer der Rechtskonservativen, und seine Anhänger werden ihn erneut zum Opfer einer politisierten linken Justiz stilisieren."
Internationale Pressestimmen zum Urteil gegen Berlusconi
Die französische Tageszeitung "Libération" fragt sich, ob das urteil auch das politische Aus für Berlusconi ist: "Der König des Bunga Bunga hat versprochen, Führer des rechten Lagers zu bleiben. Italien und vor allem die Linke werden eine politische Antwort auf den früheren Ministerpräsidenten finden müssen, der sein Land seit 20 Jahren beherrscht. Die Richter haben ihre Arbeit gemacht. Jetzt ist es an den Politikern, ihre zu machen."
Die konservative französische Tageszeitung "Le Figaro" glaubt an eine Rückkehr Berlusconis: "Die Verurteilung ist ein Rückschlag, eine Niederlage. Dennoch wird die Zukunft der italienischen Politik nicht ohne denjenigen fortgeschrieben werden können, den man dort Caiman nennt. Seine Partei Volk der Freiheit ist einer der Pfeiler der Regierungskoalition. Sie stellt fünf Minister, deren Rücktritt eine neue Krise auslösen würde. Alles hängt jetzt von den Befehlen ab, die der Cavaliere in den nächsten Tagen geben wird. Es ist er, der weiter die Fäden in der Hand hält. Ob man es will oder nicht, der Mann ist ein Phänomen. Er bleibt beliebt in seinem Land, selbst wenn sein Stern in den vergangenen Jahren etwas verblasst ist. Weder seine lautstarken Ausfälle noch die Dummheiten in seinem Intimleben haben seine Legitimität infrage gestellt. Selbst die regelmässige Kritik der europäischen Partner mit Angela Merkel an der Spitze hat seine Glaubwürdigkeit in der Heimat nicht beschädigt."
Die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert, dass die erste definitive Verurteilung Berlusconis längst überfällig war: "Silvio Berlusconi ist ein Krimineller und gehört ins Gefängnis. Was schon seit langem offenkundig war, hat die italienische Justiz jetzt nach vielen Prozessen durch ein Gerichtsurteil in letzter Instanz endlich und endgültig festgestellt. Darin liegt die wesentliche Bedeutung des Richterspruchs in Rom zu einem Steuerbetrug im Medienimperium des Milliardärs und Rechtspopulisten Berlusconi. (...) Und wenn die Regierung Letta nun tatsächlich gestürzt wird, wie Berlusconis Leute angedroht haben? Schade wäre es nicht. Bisher hat die Regierung der grossen Koalition nur bewiesen, dass sie zum Regieren nicht imstande ist."
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