- Chinas Einwohner protestieren immer stärker gegen die harten Lockdowns.
- Am Wochenende kam es zu Demonstrationen im ganzen Land.
- Auch in den sozialen Medien wird Kritik an der strikten Null-Covid-Politik der Regierung laut: "Wir müssen uns eingestehen, wir lagen falsch", heisst es dort unter anderem.
Die chinesische Führung unter Präsident
Der regierenden Kommunistischen Partei ist das durchaus bewusst. Die kurz nach dem 20. Parteitag Ende Oktober verabschiedeten 20 Massnahmen zur Optimierung der Corona-Prävention sollen zwar zuallererst dafür sorgen, dass die einheimische Wirtschaft nicht noch stärker abrutscht. Doch sie können auch als Versuch interpretiert werden, der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung zu begegnen.
Wirtschaftliche Stagnation auch im dritten Pandemiejahr
Die Unzufriedenheit ist in den letzten Wochen gewachsen, weil sich die Probleme häufen. Die aktuelle heftige Covid-19-Welle betrifft mittlerweile das ganze Land. Ob Tibet, dessen Hauptstadt Lhasa unter nur geringer medialer Beachtung schon über drei Monate im Lockdown ist, die südchinesische Metropole Guangzhou, ebenfalls seit Wochen fast vollständig im Lockdown, oder seit gut zwei Wochen auch die Hauptstadt Peking: Landesweit dürfen Millionen von Bürgern ihre Häuser nicht verlassen.
Während diese Ausgangssperren in den ersten zwei Jahren der Pandemie noch weitgehend stillschweigend hingenommen wurden, mehrt sich nun der Frust über die Einfallslosigkeit der kommunistischen Regierung. Während ihnen im Fernseher volle Stadien aus Katar präsentiert werden, haben viele Einwohner in China abermals damit zu kämpfen, an ausreichend Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs zu kommen.
Wut auf der Strasse und im Netz
Die Wut entlud sich am Wochenende in landesweiten Protesten. Hunderte Menschen gingen am Sonntag unter anderem in Peking und Shanghai auf die Strasse. Dabei wurden auch Rufe nach einem Rücktritt von Präsident Xi Jinping laut.
Auch in den sozialen Medien gibt es inzwischen Widerspruch: "Wir müssen uns eingestehen, wir lagen falsch", schreibt ein Nutzer auf "Toutiao", einem sozialen Netzwerk in China. Selbstredend wurde dieser kritische Beitrag kurz nach Erscheinen gelöscht.
Den Kommentarspalten ist zum überwiegenden Teil Zustimmung zu entnehmen, ein Nutzer schreibt: "Es ist, als ob wir an einer Wegkreuzung stehen und wir müssen schnellstmöglich die richtige Entscheidung treffen."
In einem anderen, ebenfalls sofort gelöschten Beitrag auf "NetEase" wendet sich ein Arzt mit reichlich Erfahrung in der Behandlung von Covid-Patienten fast mit flehenden Worten an die Regierung: "Aber bitte lassen Sie uns die Hoffnung sehen, bitte lassen Sie uns mit Würde und Qualität in dieser Welt leben und nicht gänzlich von der Pandemieprävention und -bekämpfung in Geiselhaft genommen werden."
Tragische Brandkatastrophen und neue Proteste im Foxconn-Werk
Darüber hinaus haben sich in kurzer Abfolge Ende November sowohl im zentralchinesischen Anyang (Provinz Henan) als auch in der Hauptstadt der Uiguren-Provinz Xinjiang tragische Brandunfälle ereignet, bei denen 38 beziehungsweise 10 Menschen ums Leben kamen. Im Fall von Urumchi, Xinjiang, beklagen etliche Internetnutzer, dass die coronabedingte Abriegelung des Hochhauses die Lösch- und Rettungsarbeiten behindert und somit zumindest einen Teil zur Tragödie beigetragen habe.
Da in China Wohnanlagen bei Covid-19-Fällen häufig mit Zäunen weiträumig abgeriegelt werden, hätten die Rettungskräfte Schwierigkeiten gehabt, schnellstmöglich durchzukommen. Überdies sei den Bewohnern selbst in dieser Notlage verboten worden, das Gebäude zu verlassen. Die Behörden hatten dem widersprochen und mitgeteilt, die Bewohner hätten das Haus sehr wohl verlassen dürfen. In den sozialen Medien wurde daraufhin ein Hastag zu einem viralen Slogan: "Der Weg stand ihnen offen, doch sie sind nicht gelaufen."
Bereits im September war in der südwestchinesischen Provinz Sichuan deutlich geworden, welche Folgen Chinas Anti-Covid-Massnahmen im Falle von natürlichen Katastrophen haben können. Damals konnten die Bewohner eines ebenfalls abgeriegelten Wohngebäudes in Chengdu ihre Anlagen nicht verlassen, obwohl das im Umkreis der Provinzhauptstadt zentrierte Erdbeben auch in dem Wohnkomplex noch zu spüren war.
Auch das grösste Werk des Apple-Zulieferers Foxconn im ostchinesischen Zhengzhou (ebenfalls Provinz Henan) befindet sich bereits seit Anfang des Monats im Lockdown – und damit auch Tausende von Arbeitern, die teilweise unter prekären Bedingungen weiter ihre Arbeit verrichten. Ihre Empörung über die schlechte Behandlung entlud sich in der vergangenen Woche, als mehrere Hundert Angestellte die Absperrungen niederrissen und sich bei ihrem Marsch durch die Strassen von Zhengzhou mit Sicherheitskräften anlegten. Wie die BBC unter Berufung auf Augenzeugen berichtete, kam es zu Gewalt seitens der Polizeikräfte.
Kein Umdenken in Sicht
Obwohl die Unzufriedenheit der Bevölkerung immer offensichtlicher wird und auch die wirtschaftliche Entwicklung weit weg von den im März anvisierten 5,5 Prozent Wachstum ist, gibt es weiterhin keine konkreten Anzeichen für einen Kurswechsel. Bei einer Pressekonferenz am Montag sagte ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums: "Wir glauben, mit der Führung der Kommunistischen Partei Chinas und der Unterstützung des chinesischen Volkes wird unser Kampf gegen Covid-19 erfolgreich sein."
Nach dem 20. Parteitag ist Partei- und Staatschef Xi Jinpings Position so gefestigt wie nie. Sein designierter neuer Premierminister heisst Li Qiang – jener Politiker, der als Parteichef den zweimonatigen Komplett-Lockdown in Shanghai zu verantworten hatte.
Verwendete Quellen:
- Posts in den sozialen Netzwerken Toutiao und NetEase
- afp
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.