Patrick Schöbel sass über ein halbes Jahr in einem russischen Knast in St. Petersburg. Cannabis-Gummibärchen brachten ihn dort hinein. Jetzt ist er wieder in Deutschland, dafür ist ein Mörder auf freiem Fuss.
Mitte Januar reiste Patrick Schöbel aus Hamburg nach St. Petersburg. Der 38-Jährige wollte dort eine Internetbekanntschaft treffen. Doch dann kam alles ganz anders. Er wurde festgenommen und inhaftiert, über sechs Monate musste Schöbel im Kresty-II-Gefängnis mit tausenden anderen Häftlingen absitzen. Es hätten bis zu sieben Jahre werden können. Doch dann kam wieder alles anders. Plötzlich wurde er entlassen, in einen Flieger gesetzt und stand kurz darauf auf einem Rollfeld Bundeskanzler Scholz gegenüber. Schöbel war Teil des Gefangenenaustauschs mit Russland, bei dem unter anderem der sogenannte "Tiergartenmörder" Wadim Krassikow freigelassen wurde. Jetzt erzählt Schöbel, was ihn durchhalten liess und warum er auch an der ukrainischen Front hätte landen können.
Die Dummheit mit den Cannabis-Gummibärchen
Der "Stern" traf den 38-Jährigen in Hannover, um mit ihm über die Zeit in Russland zu sprechen. Eigentlich hatte sich Schöbel am 15. Januar 2024 auf ein Treffen mit seiner Internetbekanntschaft gefreut, doch ein Flüchtigkeitsfehler kam ihn teuer zu stehen. In seinem Rucksack fanden die Zollbeamten in Russland ein altes Päckchen mit Cannabis-Gummibärchen. Die sechs braunen, mit Cannabisöl überzogenen Süssigkeiten hatte er noch von einem früheren Trip nach Mexiko in der Deckeltasche. Zur Beruhigung. Stattdessen stellten sie den Anfang eines langen Martyriums dar. Schöbels erster Gedanke: "Oh Shit".
Lange ging der gelernte Haustechniker davon aus, er würde schnell wieder ausgewiesen. Vielleicht würden sie ihm noch eine Geldstrafe aufbrummen. Doch als es zum Prozess kommt, spricht der Richter von Drogenhandel und verdonnert ihn zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren. Fünf Minuten dauert die Anhörung vor Gericht. Für Schöbel, der schon im Gerichtssaal in einem Gitterkäfig sitzt, bricht eine Welt zusammen. Untersuchungshaft wird beschlossen und in einem Gefangenentransport geht es für ihn ins Kresty-II-Gefängnis. Kresty-I wurde wegen katastrophaler Bedingungen geschlossen. Schöbel verliert die Hoffnung. "Scheisse, hier komm ich nicht mehr raus", erinnert er sich im "Stern".
Im Gefängnis dann die erste Überraschung. "Die anderen Häftlinge waren unglaublich nett zu mir." Er bekommt eine Zahnbürste und Toilettenpapier von ihnen zugesteckt. "Vom Gefängnis selbst bekommt man gar nichts", erzählt Schöbel. Er schläft auf einer Metallpritsche mit fünf weiteren Insassen in einer Zelle. Vertreibt sich die Zeit mit Lesen. "'Harry Potter' habe ich 35-mal gelesen." Bastelt Brettspiele aus Brot und freundet sich mit einem Mann an, der acht Jahre in Österreich gelebt hat und perfekt Deutsch spricht. Für seine Mitinsassen ist Schöbel nur der "Miscka-Man" – der "Gummibärchen-Mann".
Der Alltag im Knast ist trist. Geweckt werde man mit der Nationalhymne, sagt Schöbel. "Dann gab es Frühstück, eine Art Porridge, mittags Suppe und eine warme Pampe aus Nudeln oder Kartoffeln. Abends Kohl. Das Essen war immer so gekocht, dass man dafür keine Zähne braucht, denn viele hatten keine." Durchhalten lässt ihn nur der Gedanke, seinen geliebten Hund noch einmal zu sehen.
Ukraine-Krieg auch im Knast ein Thema
Auch der Ukraine-Krieg hat den Weg in den Knast gefunden. "Mehrmals kamen Männer vom Militär in das Gefängnis. Sie gingen von Zelle zu Zelle und sagten: 'Hey Jungs, hat jemand Lust, sich verpflichten zu lassen?'" Viele, die nichts mehr zu verlieren haben, nehmen das Angebot an. Drogenjunkies, die kaum noch laufen können, werden "als Kanonenfutter an die Front" geschickt, berichtet der 38-Jährige. Ihm hätten sie das Angebot ebenfalls gemacht. Schöbel lehnt ab. "So verzweifelt war ich dann doch nicht."
Vergangenen Montag geht es für Schöbel schliesslich wieder ins Gericht. Angeblich wäre ein höherer THC-Anteil in den Gummibärchen festgestellt worden. Das Strafmass würde sich noch einmal erhöhen, wird ihm mitgeteilt. Er wird in einen Gefängnisbus gesteckt, sechs Stunden nach Moskau gefahren und landet dort im Lefortowo-Gefängnis. "Das berüchtigte ehemalige Foltergefängnis des KGB", so der Hamburger. Zwei Tage sitzt er dort ein, dann geht es mit einem Reisebus und 15 weiteren Gefangenen zum Flughafen. Schöbel glaubt, in ein Strafgefangenenlager nach Sibirien weiter transportiert zu werden. Aber es kommt anders.
Auf dem Rollfeld spricht der 38-Jährigen einen der vermummten Wachleute an. "Excuse me, can I ask where we are going? Er schaut mich an und sagt: You’re going home." Schöbel traut ihm nicht. Als er dann im Flugzeug auf einem kleinen Bildschirm sieht, dass das Flugzeug nicht nach Osten, Richtung Sibirien fliegt, sondern Ankara auf der Karte auftaucht, wird ihm klar: Es geht tatsächlich nach Hause.
"Das russische System ist beschissen"
Von der türkischen Hauptstadt wird er mit einem Privatjet nach Deutschland gebracht. Mit ihm an Bord ist der in Belarus ursprünglich zum Tode verurteilte Rico Krieger. "Er sah schrecklich elend aus. Er hat dort in Haft wirklich Grauenvolles durchlitten." In Köln/Bonn wartet auf Schöbel schon der deutsche Bundeskanzler. "Er hat mir die Hand gegeben, und ich habe zu ihm gesagt: Moin, Herr Scholz, danke für Ihre Hilfe!"
Inzwischen ist Schöbel bei einer Freundin in Hannover untergekommen. Sie und seinen geliebten Bullterrier Django habe er in all den Monaten am meisten vermisst, sagt er. Sein Fazit über die wohl schrecklichste Zeit seines Lebens fällt jedoch erstaunlich positiv aus. "Die Russen sind unglaublich tolle, herzliche Menschen. Putin vermittelt der Welt gerade ein Bild, das ihnen nicht gerecht wird. Aber das System ist, wie man dort gesagt hat, pisdez. Beschissen."
Verwendete Quelle:
- Stern (hinter einer Bezahlschranke): "Alter, die lassen mich wirklich nach Hause!"
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