Die USA haben den iranischen Offizier Qasem Soleimani bei einer Militäroperation im Irak gezielt getötet. Noch sind die langfristigen Folgen im Iran nicht absehbar. Ein Blick in die Geschichte zeigt aber: Nicht immer erreichen solche sogenannten Enthauptungsschläge das gewünschte Resultat. Politikwissenschaftlerin Anna-Katharina Ferl spricht im Interview über verworfene Pläne, alternative Strategien und schwer abschätzbare Gefahren.

Ein Interview

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Die USA haben den iranischen Offizier Qasem Soleimani unter Einsatz einer Drohne mit einem Enthauptungsschlag gezielt getötet. Was versteht man überhaupt unter dieser Militäroperation?

Anna-Katharina Ferl: Zwar wird der Begriff "Enthauptungsschlag" in der Wissenschaft kaum verwendet, darunter fasst man jedoch das gezielte Ausschalten von Führungspersonen von Gruppen oder Staaten auf unterschiedliche Art und Weise zusammen. Der Kopf der Organisation wird dabei aus dem Spiel genommen – entweder durch eine gezielte Tötung oder eine Festnahme.

Warum wählen Militärstrategen und Befehlshaber diese Option?

Die häufigste Begründung lautet: Wenn der Kopf der Gruppe nicht mehr da ist, bekommt die Struktur der Organisation Risse und die Moral in der Gruppe lässt nach.

Besonders, wenn es sich um eine charismatische und beliebte Führungsperson handelt, hofft man, so die Auflösung der Gruppe voranzutreiben – weil die zentrale Führungsperson fehlt.

Ebenso werden Enthauptungsschläge damit gerechtfertigt, dass durch sie grössere Verluste in der Bevölkerung vermieden werden können. Grössere Gewaltanwendungen müssten dann, so die Befürworter, nicht mehr vorkommen, weil die Gruppe oder der Staat nicht mehr handlungsfähig ist.

... und stimmt das, oder lehrt uns die Geschichte etwas anderes?

Die Frage, wie sinnvoll ein Enthauptungsschlag jeweils war, ist sehr fallabhängig. Die Bewertung hängt davon ab, was überhaupt das ausgegebene Ziel war. Ging es darum, einen Regimewechsel herbeizuführen oder eine Gruppe zu zerschlagen? Es ist daher ratsam, zunächst zu unterscheiden, ob es eine staatliche Führungsperson trifft, oder den Kopf einer nicht-staatlichen Organisation.

Staaten sind in der Regel sehr viel widerstandsfähiger, sie sind nicht so sehr auf die eine starke Führungsperson angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. Nicht-staatliche Gruppen, etwa Rebellengruppen, sind häufiger auf symbolträchtige Anführer bezogen.

In Studien hat man nachgewiesen, dass ein Enthauptungsschlag dann erfolgreich sein kann, wenn eine Gruppe erst relativ kurz besteht. Ist sie aber bereits etabliert, ist der Erfolg unwahrscheinlicher.

Welche historischen Beispiele gibt es für Enthauptungsschläge?

Ein Beispiel aus dem 20. Jahrhundert, das oft angeführt wird, ist die Tötung des japanischen Generals Isoroku Yamamoto durch die USA im Zweiten Weltkrieg. Yamamoto wurde für den Angriff auf Pearl Harbour verantwortlich gemacht. Allerdings fand hier ein Kriegsgeschehen zwischen beiden Seiten statt.

Es gibt ausserdem eine Reihe von versuchten oder geplanten Enthauptungsschlägen im 20. Jahrhundert. Es gab kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf Seiten britischer Militärs Bestrebungen, einen direkten Tötungsversuch gegen Adolf Hitler zu unternehmen, um den drohenden Krieg abzuwenden. Von der britischen Regierung wurde das abgelehnt und als unsportlich bezeichnet.

In den 80er Jahren haben die USA eine libysche Militärkaserne mit dem Ziel, das damalige Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi zu töten, angegriffen. Ein anderes Beispiel ist der Vorschlag Grossbritanniens Anfang der 90er Jahre, im Zuge des ersten Irakkrieges ein gezieltes Attentat auf Saddam Hussein durchzuführen. Das wurde von den USA vehement abgelehnt.

Wie sieht es mit Enthauptungsschläge auf nicht staatliche Akteure aus?

Auch dort gibt es Beispiele: Die Tötung des irakischen Terroristen Abu Musab al Zarqawi 2006, das Ausschalten des Al-Qaida-Anführers Osama Bin Laden im Jahr 2011 oder des IS-Anführers Abu Bakr Al-Baghdadi Ende 2019.

In den 50er, 70er und 80er Jahren wurden von der CIA ausserdem eine Reihe verdeckter Operationen durchgeführt, die sich vor allem in Lateinamerika abgespielt haben. Ausserdem gab es gezielte Angriffe Israels auf eine Reihe von prominenten Führungspersonen – etwa den Hamas-Gründer und langjährigen geistigen Führer Ahmad Yasin während der zweiten Intifada (palästinensischer Aufstand gegen Israel, Anm. d. Red.) Anfang der 2000er Jahre. Man könnte aber auch gezielte Tötungsversuche gegen die Köpfe organisierten Verbrechens dazu zählen.

Militäraktion gegen Soleimani wirke destabilisierend

Wie sinnvoll war das Vorgehen im aktuellen Fall bei der Tötung des iranischen Offiziers Soleimani?

Ich halte den Enthauptungsschlag in diesem Fall eher für problematisch. Die Militäraktion wird dauerhaft nicht zu mehr Sicherheit in der Region führen, sondern den Konflikt zwischen der USA und dem Iran anheizen und die Beziehung der beiden Länder verschlechtern.

Ein taktisches oder strategisches Ziel wurde nicht erreicht. Soleimani war ein charismatischer und versierter Stratege, der dem Iran sehr wichtig war, der Enthauptungsschlag hat den Iran aber nicht militärisch geschwächt. Er kann nun eher darauf aufbauen, sich Sympathien erhoffen und den Führungsanspruch in der Region eher rechtfertigen.

In Anbetracht dieser historischen Beispiele: Welche weiteren negativen Konsequenzen können sich nach Enthauptungsschlägen ergeben?

Zuerst: Die Abschätzung der Folgen von Enthauptungsschlägen ist immer sehr schwierig. In der kurzfristigen Betrachtung folgt in Reaktion auf einen Enthauptungsschlag meistens ein Anstieg von Gewalt – das kann kontraproduktiv sein.

Man muss die Folgen aber vor allem auf lange Sicht betrachten: Im Falle der Tötung von Osama Bin Laden wurde das primäre Ziel - die Organisation zu schwächen - auf den ersten Blick erreicht. Al-Qaida hatte seine charismatische Führungsperson verloren und es schien so, als müsse sich die Terrorgruppe danach erst einmal wieder "sammeln". Al-Qaida war im Anschluss des Todes von Bin Laden relativ lange nicht mehr in der Öffentlichkeit präsent und verübte viel weniger Anschläge.

Allerdings hat sich Al-Qaida ab dann von einer zentral-ausgerichteten Organisation zu einer fragmentierten Struktur entwickelt. Es haben sich regionale Ableger gegründet, wodurch die Landschaft heute schwer überblickbar ist.

... das heisst: nur weil man den Kopf einer Organisation ausschaltet, ist sie dadurch nicht sofort verschwunden. Ähnlich motivierte Mitglieder könnten nachrücken?

Genau, die Mitglieder sind natürlich noch da. Hilfreich ist die Metapher der Schlange und der Hydra. Schlägt man einer Schlange den Kopf ab, stirbt sie. Schlägt man aber der Hydra den Kopf ab, lebt sie weiter und es bilden sich zwei weitere Köpfe. In vielen Fällen leben die Organisationen also weiter und fragmentieren sich dabei so stark, dass sich neue Herausforderungen ergeben.

Gerade wenn es sich um eine starke, zum Beispiel religiöse, Führungsperson gehandelt hat, ist die Gefahr gross, dass sie zum Märtyrer wird. Mit dem Märtyrertum wird noch mehr Gewalt gerechtfertigt und es werden noch mehr Rekruten angeworben. Man darf aber auch nicht vergessen, Enthauptungsschläge in ihrem Gesamtkontext zu betrachten.

Dazu gehört, zu fragen: Wie stark wurde die jeweilige Gruppe sowieso schon bekämpft? Als Al-Baghdadi 2019 getötet wurde, war der IS in sich schon geschwächt und in seiner Struktur angegriffen, dass der Tod Al-Baghdadis für das Weiterleben der Organisation nicht sonderlich ausschlaggebend war.

Alternativen: Sanktionen und Waffenlieferungen stoppen

Welche Alternativen gibt es zur Strategie, den Boss aus dem Spiel zu nehmen?

Wenn es ein strafrechtliches Verfahren gibt, dann ist eine Festnahme auf jeden Fall eine Möglichkeit. Damit man die Gewalt und Verbrechen langfristig aufarbeiten kann, ist eine Anklage und Verfolgung vor dem internationalen Strafgerichtshof die bessere Möglichkeit.

Um eine Gruppe oder einen Staat dazu zu bewegen, was man möchte, wären auch Sanktionen eine Massnahme. Dabei kann man Konten von Machthabern einfrieren oder Warenlieferungen, wie etwa Waffenlieferungen, stoppen. Das sind alles unblutige Massnahmen, die in einem zwischenstaatlichen Kontext effektiver sein können als Enthauptungsschläge.

In welchen Fällen hat sich eine solche Alternative als sinnvoller erwiesen?

Wir wissen nicht, welche Konsequenzen ein alternativer Enthauptungsschlag gehabt hätte – aber der Irak ist dennoch ein gutes Beispiel. Als die Überlegung, Saddam Hussein zu töten, abgelehnt wurde, wurden Wareneinfuhren, aber auch Regierungspersonen direkt mit Sanktionen belegt.

Das hat das Regime stark geschwächt und dazu geführt, dass die Bevölkerung sehr viel weniger hinter dem Regime stand. Sanktionen können dann erfolgsversprechend sein, wenn sie Führungspersonen direkt, wie damals Saddam Hussein, aber auch Personen, die mit diesen in Verbindung stehen, treffen.

Dürfte aktuell ein Staat einen Enthauptungsschlag gegen Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un in Erwägung ziehen?

Ich glaube nicht. Direkte Angriffe auf staatliche Führungspersonen sind in der internationalen Gemeinschaft immer noch verpönt und schwer zu rechtfertigen. Im Falle von Kim Jong Un hat Nordkorea ausserdem bereits ein Atomprogramm auf die Beine gestellt. Die Gegenschläge könnten die Situation so eskalieren lassen, dass es zu einem Kriegsausbruch kommen könnte.

Es gab aber wohl tatsächlich in Südkorea bereits Überlegungen und zum Teil konkrete Pläne gegen Kim Jong Un, aber auch seine Vorgänger mit einem gezielten Enthauptungsschlag vorzugehen. Dafür wurde eine eigene militärische Einheit eingerichtet.

Allerdings ist es trotzdem fraglich, ob ein Enthauptungsschlag tatsächlich durchgeführt werden würde oder es sich hierbei eher um einen Einschüchterungsversuch handelt.

Anna-Katharina Ferl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Sie studierte Politik, Wirtschaft und Friedens- und Konfliktforschung in Münster, Vaxjö, Frankfurt, Darmstadt und Aberystwyth. Ferl forscht im Bereich "Internationale Sicherheit". Ihre Schwerpunkte liegen in neuen Waffentechnologien, autonomen Waffensystemen sowie im Bereich Rüstungskontrolle und Normenforschung.
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