Mit seiner Forderung nach einer Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann offenbart der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein vordemokratisches Rechtsverständnis. Es ist nicht das erste Mal, dass er versucht, Journalisten systematisch einzuschüchtern. Neu ist, dass es jetzt auch Medien-Schaffende ausserhalb der türkischen Grenzen trifft.
Der Zeitpunkt hätte für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht ungünstiger sein können. Ausgerechnet vor den Kommunalwahlen im Frühjahr 2014 wurden Millionen türkische Bürger Abend für Abend Zeugen eines ganz besonderen Schauspiels.
Fast täglich luden Unbekannte auf YouTube Videos hoch, die Telefonmitschnitte von Gesprächen ihres Präsidenten zeigten. Auf den Mitschnitten war Erdogan in scheinbar unbeobachteten Momenten zu hören, mal im Gespräch mit seinem Sohn, mal mit wichtigen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft - und immer sehr am eigenen Vorteil interessiert.
Die Aufzeichnungen liessen den türkischen Premier "als raffgierigen, macht-besessenen Politiker dastehen, der Millionensummen anhäuft und mit Eifer Fehden gegen seine Gegner führt", schrieb "Spiegel online" damals.
Das Wort Korruption fiel mehrfach im Zusammenhang mit den abgehörten Telefonaten, die ein Bild des türkischen Staatsoberhauptes zeigten, das diesem ganz und gar nicht genehm war.
"Twitter werden wir mit der Wurzel ausreissen"
Mit seiner Reaktion entkräftete der Präsident dann allerdings nicht seine Kritiker, sondern bestätigte das in vielen Medien gezeichnete Bild eines selbstherrlichen Staatsoberhauptes, das nicht davor zurückschreckt demokratische Grundwerte wie die Pressefreiheit anzutasten, wenn ihm das nützt.
Erdogan blockierte kurzerhand den Nachrichten-Dienst Twitter, der vor allem von seinen politischen Gegnern intensiv zum Aufbau einer Gegen-Öffentlichkeit genutzt wird.
"Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreissen. Was dazu die internationale Gemeinschaft sagt, interessiert mich überhaupt nicht", zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu den Regierungschef. Erdogan liess schon damals überhaupt keinen Zweifel daran, wie er Pressefreiheit interpretiert.
Auch YouTube wurde nur wenig später Opfer des Kontrollwillens des Präsidenten, nach dem Motto, wenn es keine Plattform dafür mehr gibt, dann werden auch keine Mitschnitte von mir mehr im Internet auftauchen.
"Es wird ganz deutlich, dass Erdogan versucht, seine Gegner und Gegnerinnen mundtot zu machen", sagte Ska Keller, Europaparlamentarier von Bündnis 90/Die Grünen, schon damals in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Sein Vorgehen zeige vor allem die Allmacht des türkischen Staatsoberhaupts, "er kann eben Kommunikationsplattformen sperren, ohne dass er sich darum scheren muss, was die Öffentlichkeit, was der Rechtsstaat dazu sagt".
Allein die Möglichkeit des Präsidenten, so in die türkische Medienlandschaft einzugreifen, offenbare auch ein strukturelles Problem.
Bis zu 2.000 Anklagen wegen "Präsidentenbeleidigung"
Ein Problem, welches in der vergangenen Zeit immer wieder in ähnlichen Fällen zum Ausdruck kam und viel mit dem umstrittenen Paragrafen 299 zu tun hat, der unter dem Schlagwort "Präsidentenbeleidigung" Erdogan die Möglichkeit eröffnet, in allen möglichen Situationen eine persönliche Befindlichkeit zum Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen zu machen.
Und Erdogan ist nicht bestrebt, seine leidenschaftliche Verfolgung missliebiger Kritiker in irgendeiner Form zu zügeln. In der Türkei sind aktuell bis zu 2.000 Anklagen wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung nach Paragraf 299 anhängig.
Damit ist Präsidentenbeleidigung aktuell der häufigste politische Straftatbestand in der Türkei. Und es trifft bei weitem nicht nur Journalisten und Kolumnisten, sondern auch Blogger und Facebook-Teenager.
Niemand darf sich in Sicherheit wähnen – schon Bagatellen können zur Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen und privaten Existenz führen.
Wie im Fall des Journalisten Onur Erem. Der hatte in einem Artikel wahrheitsgemäss geschrieben, dass Google bei der Eingabe des Suchbegriffs Erdogan automatisch die Wörter "Dieb" und "Mörder" assoziiert.
Ein nachvollziehbares Faktum war das, welches lediglich die Mechanismen der Suchmaschine vorführt, den Nutzern eben jene Begriffe vorzuschlagen, die häufig von Usern im Zusammenhang mit einem Suchbegriff verwendet werden. Dem Journalist droht trotzdem eine Verurteilung wegen Präsidentenbeleidigung und damit bis zu vier Jahre Haft.
40 Tage Isolationshaft
Im Gefängnis sassen auch von Ende November 2015 bis Februar 2016 die beiden Journalisten Can Dündar und Erdem Gül, der Chefredakteur und der Hauptstadt-Büroleiter der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet".
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Spionage, Verbreitung von Staatsgeheimnissen und Unterstützung einer terroristischen Organisation vor, hat aber für diese Anschuldigungen nach einem Bericht der Organisation "Reporter ohne Grenzen" bis heute keine Belege vorgelegt.
Die Zeitung hatte im vergangenen Jahr Bilder veröffentlicht, die die Durchsuchung nach Syrien fahrender Lastwagen durch örtliche Polizei zeigen sollen.
Dabei kam es offenbar zu einer Konfrontation zwischen Polizisten und Geheimdienstagenten. "Cumhuriyet" zufolge beweisen die Aufnahmen, dass die Türkei Waffen an islamistische Extremisten liefert.
Für ihre Recherche droht den Journalisten eine lebenslange Haft - unter scharfen Haft-Bedingungen. Schon in der Untersuchungshaft wurden die Journalisten laut "Reporter ohne Grenzen" 40 Tage in Isolationshaft gehalten.
Allerdings: Die Inhaftierung ohne Beweise war in diesem Fall sogar für das türkischen Verfassungsgericht zu viel.
Im Februar entschied es, dass gegen die Persönlichkeitsrechte der Journalisten verstossen worden sei und ordnete die sofortige Haftentlassung an. Der Prozess wird allerdings trotzdem fortgeführt - und die Einschüchterung bleibt.
Eindeutiges Signal der Einschüchterung
Bei einer Anhörung Anfang April zeigten sich beide Journalisten nach einem dpa-Bericht schon "erleichtert darüber, dass sie nicht erneut verhaftet worden seien". Es kann davon ausgegangen werden, dass ihr Beispiel, egal wie der Prozess endet, als ein eindeutiges Signal von vielen Journalisten verstanden wird, die kritisch über die Regierung Erdogan berichten.
Wer künftig Ärger vermeiden will, Familie hat und nicht über Monate im Gefängnis verschwinden will, sollte eine missliebige Berichterstattung lieber einstellen. Es gehört zur Zeit viel Courage dazu, in der Türkei eine Regierungs-kritische Haltung öffentlich einzunehmen und zu verteidigen.
Es spricht vieles dafür, dass Erdogan dieses System der Einschüchterung mit dem Fall Böhmermann auch ausserhalb der Türkei etablieren will. Und es erzählt mehr über sein Rechtsverständnis als ihm lieb sein kann, wenn er tatsächlich glaubt, in Deutschland sei eine Verurteilung des Satirikers wahrscheinlich.
Denn die Einschüchterung funktioniert nur mittels einer staatsnahen Justiz, die bereit ist, politische Repressalien in eine konkrete Rechtsprechung zu verwandeln. Und dafür gibt es in Deutschland zum Glück keinerlei Anzeichen.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anklage erhoben wird. Und ich kann und will mir nicht vorstellen, dass
Der ZDF-Satiriker habe mit seinem provokanten "Schmähkritik"-Gedicht eine Debatte darüber ausgelöst, was Satire darf. Genau so eine Diskussion dürfe man in Erdogans Türkei nicht führen. "Ich bin glücklich in einem Land zu leben, in dem das möglich ist."
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