In Recep Tayyip Erdogan haben die Türken einen Mann mit autokratischen Zügen zu ihrem Präsidenten gewählt. Angesichts des mitunter fragwürdigen Machtgebahrens von Erdogan stellt sich die Frage: Kann das Land so noch EU-Mitglied werden? Jetzt erst recht, sagt der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Ekrem Eddy Güzeldere.

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Herr Güzeldere, einige Beobachter sehen den frisch gewählten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als Bedrohung für die Demokratie. Sollte die Türkei jetzt noch EU-Mitglied werden?

Ekrem Eddy Güzeldere: Die EU sollte an den Beitrittsverhandlungen festhalten. Sie sind die einzige Möglichkeit, noch auf innenpolitische Veränderungen in der Türkei wie mehr Pressefreiheit oder eine unabhängige Justiz Einfluss zu nehmen. Die Verhandlungen sind ein Anker der Demokratisierung. Gerade für die Rechte von Minderheiten wie den Kurden sind sie extrem wichtig. Ausserdem ist eine an Europa gebundene Türkei eher im Interesse der EU als eine, die versucht, mit wenig demokratischen Ländern wie Russland oder China Allianzen zu schmieden.

Erdogan zeigt selbst zunehmend autokratische Züge. Es wird befürchtet, dass er das politische System der Türkei zu seinen Gunsten umbauen könnte.

Um die Verfassung ändern zu können, braucht Recep Erdogan eine Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament. Es sieht jedoch nicht so aus, als würde seine Partei AKP dieses Ergebnis bei den nächsten Wahlen erreichen können. Ohne Verfassungsänderung hat er kaum die Möglichkeit, wirklich die Tagespolitik zu bestimmen.

Es stimmt allerdings, dass unter Erdogan in den vergangenen drei, vier Jahren ein Rückschritt zu beobachten war. Er ist sehr autoritär geworden. Umso wichtiger ist, dass die EU an den Beitrittsverhandlungen festhält.

Will Erdogan den Beitritt denn überhaupt noch?

Es ist seit Jahrzehnten das Ziel der türkischen Politik, sich den westlichen Standards und Demokratien anzunähern. Eine Regierung, die es schafft, tatsächlich einen Beitrittsvertrag zu unterzeichnen, würde in die Geschichte eingehen. Auch unter den arabischen Nachbarn würde ein EU-Mitglied Türkei an Prestige gewinnen.

Davon abgesehen hätte es enorme Vorteile für die Bevölkerung, wenn sich die Türkei an EU-Standards anpassen müsste, vom Umweltschutz über Demonstrationsfreiheit bis zum Verhalten der Polizei.

Viele Kritiker eines Beitritts bezweifeln eben gerade, dass die Türkei eine solche Anpassung bewältigen kann.

Sicher wird das in einigen Punkten nicht leicht, das wird Zeit brauchen. Andere Länder, bei denen es schwierig war, haben es aber auch geschafft. Eine Anpassung ist nicht unmöglich und in einigen Feldern wie dem Strafrecht oder den Rechten von Minderheiten ist es bereits gelungen.

Wie stehen überhaupt die Chancen auf einen Beitritt?

Die Verhandlungen liegen momentan praktisch auf Eis. Zum einen, weil einige Länder wie Zypern und Frankreich etliche Kapitel in den Verhandlungen blockieren. Zum anderen auch, weil die Reformbestrebungen der türkischen Regierung seit 2007/2008 deutlich abgenommen haben. Dadurch ist das Ganze zu einem sehr zähen Prozess geworden. Solange es mit demselben Personal weitergeht, werden die Verhandlungen zunächst auch nicht wieder in Fahrt kommen. Ich glaube aber, dass mit der nächsten Parlamentswahl in der Türkei durchaus Bewegung in das politische System und damit auch in den Beitrittsprozess kommen könnte.

Ekrem Eddy Güzeldere, 40, hat Politikwissenschaften in Berlin, Paris und Madrid studiert und arbeitet heute als politischer Analyst für verschiedene Organisationen und Think Tanks in Istanbul.
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