Die Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden ist so spannend wie nie: Erstmals seit 1971 steht mehr als ein Kandidat zur Auswahl. Nicht nur CDU-Anhänger warten gespannt auf den Ausgang der Wahl: Wer neuer Chef der Christdemokraten wird, beeinflusst auch die Zukunft der anderen Parteien.

Eine Analyse

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Obwohl sich die drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz – Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn – in ihren Positionen auf den ersten Blick nicht allzu sehr unterscheiden, hat die Wahl erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Weg der CDU - und auch auf die Zukunft der übrigen Bundesparteien.

Welcher Kandidat wäre der CSU am liebsten?

Das Verhältnis zwischen weiten Teilen der CSU und Angela Merkel ist seit Jahren schwer belastet. Man könnte fast sagen: Egal, wer neuer CDU-Vorsitzender wird – es kann eigentlich nur besser werden.

Wie in der Schwesterpartei gibt es auch in der CSU nicht "den" einen Wunschkandidaten für die Merkel-Nachfolge. Für jeden der drei Bewerber finden sich unter den Christsozialen Befürworter und Kritiker.

Zwar pflegt Jens Spahn seit Jahren eine enge Freundschaft zum bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, allerdings glaubt auch in Bayern kaum jemand an einen Sieg des 38-Jährigen.

Friedrich Merz steht dem CSU-Kurs in der Innen- und Asylpolitik näher als die anderen Kandidaten. Der seit Langem schwelende Streit in diesem Gebiet zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminister Horst Seehofer wäre mit ihm wohl vom Tisch. Gegen Merz spricht allerdings seine Fokussierung auf die Interessen des Wirtschaftsflügels.

Mit Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze hätte die Union - wie bei Merkel - den Vorteil, dass sie gesellschaftlich ein breiteres Publikum anspricht und damit in Wahlen die aussichtsreichere Kanzlerkandidatin wäre.

Es sei jedoch zweitrangig, ob Merz oder AKK die CDU künftig anführen wird, sagt ein hoher CSU-Funktionär im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Unter beiden Bewerbern werde sich die CDU, so die Erwartungen, auf ein konservativeres Profil besinnen.

"Beide orientieren sich mehr an den Werten, die auch die CSU hochhält", heisst es aus der Parteispitze. Es werde in jedem Fall wieder mehr inhaltliche Übereinstimmung geben.

Wen wünscht sich die SPD?

"Das ist die Angelegenheit der CDU-Delegierten", sagte Andrea Nahles auf die Frage, wen sie sich auf dem CDU-Vorsitz wünsche. "Ich mische mich da als SPD-Vorsitzende nicht ein."

Das ist klug, schliesslich haben die Sozialdemokraten mit definitiven Festlegungen dieser Art unter Martin Schulz zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht.

Gleichwohl haben die Sozialdemokraten natürlich eine Präferenz – immerhin könnte der Ausgang der CDU-internen Wahl über den Fortbestand der grossen Koalition entscheiden.

Im linken Lager der SPD, in dem man lieber gestern als heute aus der GroKo aussteigen möchte, dürfte Friedrich Merz hoch im Kurs stehen. Bei einem Sieg des 63-Jährigen wäre die Kanzlerschaft von Angela Merkel wahrscheinlich schon bald beendet: Es würde auf Neuwahlen hinauslaufen, denn mit einer Merz-CDU würde die SPD wohl kaum koalieren.

Ausserdem könnte sich die SPD durch einen CDU-Chef mit scharfem, konservativem Auftreten besser profilieren und inhaltlich aufrichten, so die Hoffnung.

GroKo-Befürworter in der Partei drücken wahrscheinlich eher Annegret Kramp-Karrenbauer die Daumen. Sie gilt als Merkel-ähnlich, was die Chancen auf einen Fortbestand der Koalition deutlich erhöht. Und auch wenn AKK das Regierungsamt eines Tages übernimmt, könnten sich damit wohl mehr Sozialdemokraten arrangieren als mit einem Kanzler Merz.

Wen wünschen sich die Grünen?

Die Grünen lassen an ihrem Willen zur Macht keinen Zweifel. Hätte ihnen die FDP keinen Strich durch die Rechnung gemacht, wären Özdemir, Habeck und Göring-Eckardt heute vermutlich Teil des Kabinetts Merkel IV.

Doch so gestaltungswillig die Grünen sind: Eine Koalition mit einer Merz-CDU ist schwer vorstellbar. Dabei hat sich der 63-Jährige zuletzt sogar lobend über die Partei geäussert. Er halte die Grünen von heute für "sehr bürgerlich, sehr offen, sehr liberal und sicherlich auch partnerfähig".

Das mag zwar stimmen, doch ob Merz auch nach seiner Wahl noch so modern daherkommt, darf zumindest bezweifelt werden. Das Image des konservativen und neoliberalen Hardliners konnte Merz in den vergangenen Wochen nicht ablegen – und mit solch einem Friedrich Merz ist ein Regierungsbündnis für die Grünen undenkbar.

Daher dürften sich die Grünen – hätten sie denn eine Wahl – für Annegret Kramp-Karrenbauer entscheiden. Die Generalsekretärin vertritt einen ähnlichen Kurs wie Kanzlerin Angela Merkel. Damit liesse sich aus Grünen-Sicht sicherlich arbeiten.

Wer ist Favorit der FDP?

Die FDP ist so etwas wie der natürliche Juniorpartner einer Merz-CDU. In Sachen Wirtschaftspolitik dürften sich die Freien Demokraten und der konservative Blackrock-Aufsichtsrat sehr nahestehen. Der Rentenvorschlag von Merz, die Altersvorsorge über Aktien steuerlich zu begünstigen, ist ganz nach dem Geschmack der FDP.

Genau darin liegt für die Partei jedoch eine Gefahr: Käme es zu Neuwahlen, so könnte ein Wirtschaftspolitiker wie Merz viele FDP-Wähler abwerben. Die Partei hat es gerade erst zurück in den Bundestag geschafft – das möchte daher wohl niemand riskieren.

Eine Kramp-Karrenbauer wäre aber wohl auch nicht die Wunschkandidatin der FDP. In einem Podcast-Interview sagte Christian Lindner kürzlich, dass AKK gesellschaftspolitisch sehr konservative Ansichten vertrete, in Wirtschaftsfragen jedoch weit links stehe. "Ich würde sie nicht wählen", so Lindners Urteil.

Die erste Wahl für den CDU-Vorsitz wäre aus FDP-Sicht daher wohl Jens Spahn. Er ist mit Christian Lindner befreundet und sogar der Vermieter des FDP-Chefs. Spahn gilt jedoch als Aussenseiter im Rennen um den CDU-Vorsitz. Doch vielleicht ist das ein Modell für die Zukunft – sowohl Spahn (38) als auch Lindner (39) haben noch Zeit.

Wen würde die AfD bevorzugen?

Die Wahl von Friedrich Merz zum neuen CDU-Parteivorsitzenden wäre aus Sicht der AfD ein Albtraum. Generell ist der Rückzug von Angela Merkel für die Rechtspopulisten ein Problem – die Kanzlerin stellt für die AfD "geradezu eine Lebensversicherung" dar, wie Co-Parteichef Alexander Gauland im Juni im ZDF-Interview "Berlin direkt" sagte.

Mit dem Slogan "Merkel muss weg" konnte die AfD viele frühere CDU-Wähler auf ihre Seite ziehen, die mit dem mittigen (Flüchtlings-)Kurs der Kanzlerin nicht einverstanden sind. Annegret Kramp-Karrenbauer – weiblich und Merkel-ähnlich – könnte vielleicht zu einem neuen Feindbild stilisiert werden. Mit Friedrich Merz und Jens Spahn hätte es die Partei hingegen schwerer.

Auch in der AfD gehen viele davon aus, dass die CDU unter Friedrich Merz nach rechts rücken wird. Zudem gilt der 63-Jährige nach wie vor als Gegenspieler der Kanzlerin; das dürfte so manchen abtrünnigen Konservativen mit der Partei versöhnen und zurück in den Schoss der Christdemokraten führen - so zumindest die Angst der AfD.

Genau das ist auch das erklärte Ziel des Friedrich Merz: Er traut es sich nach eigener Aussage zu, die AfD "zu halbieren". Ob er den Beweis antreten kann, entscheiden an diesem Freitag 1.001 Delegierte auf dem Parteitag in Hamburg.

Verwendete Quellen:

  • ZDF heute: "Die AfD und ihre Furcht vor Merkels Scheitern"
  • dpa
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