• Zu Hochzeiten der Pandemie hat Matteo Renzis Partei Italia Viva die Koalition in Rom verlassen.
  • Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn Italien braucht nichts dringender als eine handlungsfähige Regierung, um das Land durch die Krise zu führen.
  • Ausserdem muss sie EU-Hilfsgelder beantragen, um überfällige Reformen anzugehen und endlich die Weichen für die Zukunft zu stellen.

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Zu Hochzeiten der Coronakrise hat eine Partei die Regierungskoalition in Rom verlassen. Ein schlechterer Zeitpunkt ist kaum denkbar. Denn Italien braucht nichts dringender als eine handlungsfähige Regierung, um EU-Hilfsgelder beantragen, überfällige Reformen anzugehen und endlich die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Am frühen Mittwochabend kündigte die Kleinst-Partei Italia Viva (Iv) um ihren Chef Matteo Renzi die Regierungszusammenarbeit auf und zog ihre beiden Ministerinnen aus der Koalition ab. Vorausgegangen war ein wochenlanger Streit um die Verteilung der EU-Fonds, die Italien als Folge der Coronakrise erhalten wird.

Renzi, der einst - damals noch als Mitglied der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) - Ministerpräsident Italiens gewesen war, warf den Koalitionspartnern vor, in diesen Krisenzeiten Entscheidungen auf undemokratischen Wegen durchzusetzen zu wollen und keinen ganzheitlichen Plan für die Zukunft des Landes zu haben. Als direkten Grund für den Bruch nannte er die Weigerung der Koalition, alle zur Verfügung stehenden EU-Kredite zur Sanierung des italienischen Gesundheitssystems zu nutzen, dessen Mängel gerade in der ersten Corona-Welle überdeutlich geworden waren.

Je nach Position gilt Renzis Kritik als valide oder aber als abgekarteter Machtpoker, bei dem er es von Anfang an nur auf bessere Ämter für seine Partei abgesehen habe. Fakt ist, dass Iv, die in Umfragen auf rund nur drei Prozent Wählerzustimmung kommt, dank des Streits über Wochen in den Schlagzeilen war und sich so unverhältnismässig viel Aufmerksamkeit sichern konnte.

Italien steht 2021 vor grossen Herausforderungen

Doch nun, nach Wochen des Streits, steht Italien ohne mehrheitsfähige Regierung da. Ein denkbar schlechter Ausgangspunkt, um die grossen Herausforderungen anzugehen, die in diesem Jahr anstehen - und die auch ohne Regierungskrise schwer genug zu meistern gewesen wären.

Da ist einerseits die andauernde Pandemie, die das Land in Atem hält: Die Ansteckungszahlen in Italien haben sich nach einem harten Lockdown über die Feiertage zwar kurz erholt, steigen seit Mitte Januar aber wieder an. Die Corona-Todeszahlen bewegen sich im Wochenschnitt mit 8,4 Toten pro Tag auf eine Million Einwohner seit Wochen auf einem besorgniserregend hohen Niveau.

Auch die Wirtschaft liegt am Boden. Italien ging im Frühjahr 2020 als erstes Land Europas in den härtesten Lockdown und legte seine Wirtschaft für Wochen komplett lahm. Die weitreichenden negativen Auswirkungen, lassen sich noch nicht komplett abschätzen, weil derzeit ein Kündigungsstopp die Arbeitnehmer schützt. Staatshilfen sind derzeit für grosse Teile der Bevölkerung in wichtigen Branchen wie dem Tourismus und der Gastronomie die einzige Einkommensquelle.

Italien droht eine verlorene Generation

Ein grosses Problem sind auch die Schulschliessungen. In keinem anderen Land mussten die Schüler wegen der Pandemie so lange zuhause bleiben. Und auch derzeit schafft die Regierung es nicht, eine geordnete Rückkehr aus den Weihnachtsferien in die Klassenräume zu organisieren.

Dabei belegen Zahlen von Anfang des Jahres, dass schon jetzt viele Schüler wegen des Coronavirus die Schule abgebrochen haben: Rund ein Drittel der Schüler zwischen 14 und 18 Jahren gab bei einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation "Save the Children" an, mindestens ein Klassenkamerad habe die Schule seit dem Ausbruch von Corona vorzeitig verlassen.

Doch neben dem akuten Krisenmanagement ist es vor allem die Weichenlegung für die Zukunft, für die Italien dringend eine handlungsfähige Regierung braucht. Denn bis Mitte Februar muss Rom der europäischen Kommission den Verwendungsplan für die EU-Gelder vorlegen, die dem Land aus dem Corona-Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" zustehen.

209 Milliarden von der EU für dringende Reformen

Als das Land, das von der ersten Welle des Coronavirus als erstes und mit am härtesten getroffen wurde, erhält Italien mit 209 Milliarden Euro den grössten Teil des Rekord-Finanzierungsprogramms der EU. Die Milliarden aus Zuschüssen und Krediten sollen dazu dienen, das Land grüner und digitaler zu machen.

Gleichzeitig muss Rom die Milliarden zu nutzen, um sein langsames Justizwesen und seine überkomplizierte Bürokratie grundlegend zu reformieren. Diese Bereiche lähmen das Land seit Jahrzehnten und hindern die Wirtschaft daran, wieder Fahrt aufzunehmen. Die Schwierigkeit wird dabei sein, die Reformen durchzuführen ohne dabei die jetzt extrem hohe Staatsverschuldung ausser Kontrolle geraten zu lassen.

Dabei reicht es bei Weitem nicht, den Zustand von vor der Corona-Krise wiederherzustellen. Denn Italien hat es nie geschafft, seine Wirtschaftsleistung zurück auf das Niveau zu bringen, auf dem es vor der Euro-Krise 2008 gewesen war. Die Gelder von "Next Generation EU" sind vielmehr Italiens Chance, einen regelrechten Sprung nach vorne zu machen - aber nur, wenn es der Regierung gelingt, sie sinnvoll einzusetzen.

Regierungskrise darf Beantragung der EU-Gelder nicht verzögern

Der erste Schritt ist zwar gemacht, denn vor seinem Rückzug ermöglichte Renzis Partei durch eine Enthaltung, dass die Koalition sich auf den Verwendungsplan für die Gelder einigen konnte. Doch nun muss es eine stabile Regierung geben, die über diesen Plan im Parlament abstimmt und ihn anschliessend in Brüssel verteidigt.

Wie diese stabile Regierung zustande kommen soll, ist bisher unklar. Die übriggebliebenen Koalitionspartner - die populistische Fünf-Sterne-Partei und die sozialdemokratische PD - werden nun versuchen, eine alternative Mehrheit im Parlament herzustellen.

Denn aktuellen Umfragen zufolge würden sie bei Neuwahlen nicht nur empfindliche Stimmenverluste hinnehmen müssen, sondern auch gegen die rechten Oppositionsparteien verlieren, die von Lega-Chef Matteo Salvini angeführt werden.

Eine dritte Möglichkeit wäre, dass eine Expertenregierung zumindest zeitweise die Regierungsgeschäfte übernimmt, um Italien durch diese schwierigen Zeiten zu lenken. Dazu war es zuletzt nach der Eurokrise 2011 gekommen, als Mario Monti die Regierung von Silvio Berlusconi übernommen hatte.

Verwendete Quellen:

  • Our World in Data: Coronavirus
  • Save the Children: Scuola e Covid
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