Politische Überraschung am Montag: Werner Faymann hat alle seine Funktionen zurückgelegt und seinen Rücktritt als Bundeskanzler und SP-Parteichef bekannt gegeben. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) übernimmt vorübergehend. Wiener Bürgermeister Michael Häupl wird neuer SPÖ-Chef. Was bedeutet der Rücktritt für die SPÖ und wie geht es innenpolitisch weiter?
Bereits am Wochenende gab es Gerüchte aus innerpolitischen Zirkeln, wonach Werner Faymann das SPÖ-Spitzentreffen als Anlass nehmen wolle, seinen Rücktritt von all seinen Funktionen bekannt zu geben. Kurz vor Mittag dann die Bestätigung: Faymann hört auf. Sowohl als Kanzler, als auch als SPÖ-Parteichef.
"Dieses Land braucht einen Kanzler, wo die Partei voll hinter ihm steht. Die Regierung braucht einen Neustart mit Kraft. Wer diesen Rückhalt nicht hat, kann diese Aufgabe nicht leisten", begründete der 56-Jährige seine Entscheidung. Von dieser hat er im Vorfeld nur wenige informiert. Selbst Bundespräsident Heinz Fischer sei erst kurz vor 12 Uhr darüber in Kenntnis gesetzt worden, heisst es.
Auch Parteikollege und St. Pöltens Bürgermeister
Neuwahlen gefordert
"Der Rücktritt von Kanzler Werner Faymann ist eine Chance, Österreich zu verändern und das Machtkartell von SPÖVP zu beenden", freute sich NEOS-Chef Matthias Strolz. Angesichts der Probleme bei Bildung, Standortqualität, Unternehmertum und Föderalismus brauche man "keinen Neustart dieser Regierung, wir brauchen den Start einer neuen Regierung", sprach sich Strolz in einer Aussendung für Neuwahlen aus.
FPÖ-Chef
Häupl interimistisch neuer SPÖ-Chef
Innerparteilich heisst diese Neudekoration Michael Häupl. Damit wird wahr, was Politikexperten schon länger vermuteten: Der Wiener Bürgermeister übernimmt die Funktion des SPÖ-Chef. Zumindest vorübergehend. Denn am Montag wollte sich Häupl noch nicht festlegen, ob er auch im Amt bleiben wird. In einer Woche will man den Nachfolger offiziell wählen. Häupl gilt als einer der letzten grossen Unterstützer Faymanns und bezeichnete ihn mehrmals als "unterschätzten" Kanzler.
Wie überraschend kam Faymanns Rücktritt?
Dass die Rückendeckung für den Ex-Kanzler über die letzten Monate deutlich abnahm, sowohl innerhalb der Partei, als auch unter der Bevölkerung, war nicht zu übersehen. Erst am 1. Mai - bei der grossen Kundgebung in Wien - wurde er von einem Pfeifkonzert und Buhrufen begrüsst. Kritiker und Kontrahenten riefen schon lange davor nach einem Rückzug und kritisierten den unsteten Kurs Faymanns.
Irgendwie hat er es dennoch geschafft im Sattel zu bleiben. So kommt er auf sieben Jahre und neun Monate als SPÖ-Chef und gehört zu den am längsten amtierenden Mitgliedern unter den gegenwärtigen EU-Staats- und Regierungschefs. Auch zählt er zu den dienstältesten derzeitigen Vorsitzenden massgeblicher sozialdemokratischer Parteien in EU-Ländern. Nur Kollegen aus Kroatien, Malta und der Slowakei überflügeln ihn.
Kein kampfloser Rückzug
Man kann Faymann also wirklich nicht vorwerfen, kampflos gegangen zu sein. Doch das Kämpfen hat der Wiener bereits in seiner Funktion als langjähriger Wohnbau-Stadtrat gelernt. Insgesamt 12 Jahre konnte er sich so in der Wiener Stadtregierung und ein Jahrzehnt in der Bundesregierung halten. Eine beachtliche Leistung, bedenkt man, dass Faymann kein Charismatiker und auch kein grosser Redner ist. Zudem wurde ihm vor allem in seiner Funktion als Kanzler übertriebener Wankelmut vorgeworfen. Dieser war es letztendlich auch, begleitet von vielen kleinen Faktoren, der ihn zum Stolpern brachte.
Die Asylkrise als Stolperstein
Der grösste Stolperstein war dabei die Asylkrise, in der Faymann zunächst durch Schweigen von sich aufmerksam machte. Danach glänzte er durch die Anbiederung an Angela Merkel. Zunächst voller Euphorie für ihre Willkommenspolitik, schwenkte Faymann wenig später um 180 Grad und trat als vehementer Gegner der deutschen Vorgehensweise auf. Damit machte er sich zwar wiederum Freunde in der Bevölkerung, allerdings Feinde in der sozialistischen Bewegung.
Doch Kritik habe den Familienvater noch nie interessiert, heisst es aus SPÖ-Kreisen. Seinen Weg nach oben habe sich Faymann vor allem durch Sturheit und seine Eigenschaft, nirgendwo anzuecken erkämpft. Faymann sei ein Taktiker, der sich der mehrheitsfähigen Meinung anschliesse. Nur die Gewerkschaft, die rannte bei ihm stets offene Türen ein. Von Medien wurde er schon oft als "Überlebenskünstler" bezeichnet.
Bundespräsidentenwahl als Krisenindikator
Eine geeignete Führungsperson sieht allerdings anders aus. Doch Faymann verkörperte mit seinem "situationselastischen" Verhalten - ein Begriff den sein Parteikollege Gerald Klug einst kreierte – die Grundproblematik der SPÖ: Während man sich über Jahrzehnte dem Machterhalt und dem Postenschacher widmete, wurde die Aufbauarbeit geradezu vernachlässigt. Lange wollte niemand wahrhaben, dass die ehemalige Grosspartei zu einer kleinen politischen Gruppierung wurde, die von dem politischen Vermögen ihrer Vorfahren lebt.
Realisiert wurde das wohl viel zu spät, am 24. April bei der Bundespräsidentenwahl, als SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer mit mageren 11,3 Prozent das schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten bei einer Präsidentenwahl in der 2. Republik ablieferte. Was Aussenstehende bis dahin schon lange predigten, nämlich, dass sich die SPÖ verjüngen und neu aufstellen müsse, sahen dann auch die Altvorderen langsam ein. Zunächst noch gegen Personalrochaden argumentierend, waren die erwähnte 1. Mai-Feier und interne Querelen endgültig Grund genug, um Werner Faymann den Rücktritt nahe zu legen.
Kern als neuer Kanzler?
Doch wie sieht es bundespolitisch aus? Wer wird Faymann in der Kanzlerschaft folgen? Interimistisch hat Wirtschaftsminister
Ex-Kanzler will nach Brüssel
Um die persönliche und berufliche Zukunft von Faymann muss man sich indessen keine grossen Sorgen machen. Laut einem Interview mit der Tageszeitung "Österreich" am Montag, sagte der Kanzler er wolle sich der EU-Politik in Brüssel widmen. Aus der österreichischen Politik hingegen ziehe er sich vollkommen zurück. "In Wien wird es mich nicht mehr geben, zumindest politisch", so seine Aussage laut "Österreich".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.