Aktuell stellt sich für die FDP folgende Gretchenfrage: Können die Liberalen jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, sich aber gleichzeitig von ihr wählen lassen? Die Partei gerät zunehmend unter Druck.

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Nach der von der AfD unterstützen Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen ist bei den Liberalen eine hitzige Diskussion entbrannt. Auch Parteichef Christian Lindner gerät unter Druck. In Berlin demonstrierten am Mittwochabend mehrere hundert Menschen vor den Parteizentralen von FDP und CDU, aufgerufen dazu hatten linke Gruppen. Auch in Hamburg gab es Proteste.

Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff, schlug den Rücktritt Kemmerichs und eine rasche Neuwahl vor. Der rheinland-pfälzische FDP-Chef Volker Wissing twitterte: "Einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD kann und darf es nicht geben. Wenn demokratische Kräfte die Zusammenarbeit ablehnen, braucht Thüringen Neuwahlen." Parteivize Wolfgang Kubicki hingegen feierte das Votum als Erfolg. Kemmerich selbst betonte im MDR: "Neuwahlen sind keine Alternative."

Parteichef Lindner erklärte: "Die FDP verhandelt und kooperiert nicht mit der AfD." An CDU, SPD und Grüne appellierte Lindner, das Gesprächsangebot Kemmerichs anzunehmen. Sollten sich diese "fundamental verweigern, dann wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig".

Er unterstrich auch: "Landesverband und Landtagsfraktion der FDP in Thüringen handeln in eigener Verantwortung." Kemmerich betonte indes, nicht alleine gehandelt zu haben: Das Vorgehen sei mit Lindner besprochen gewesen, sie hätten täglich telefoniert in den letzten Tagen, sagte er abends im MDR.

Politisches Erdbeben in Thüringen

Kemmerich war überraschend zum Regierungschef gewählt worden. Er hatte sich bei der Abstimmung im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang - mit Stimmen aus dem Lager von CDU und AfD - gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durchgesetzt. Landesparteichef der AfD in Thüringen ist der Gründer des rechtsnationalen "Flügels" der AfD, Björn Höcke. Der "Flügel" wird vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft.

Lambsdorff wählte auf Twitter harsche Worte: "Man kann, ja soll in einer demokratischen #Wahl antreten. Aber man lässt sich nicht von @AfD -Faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an. Am besten für @KemmerichThL, #Thüringen und @fdp: Sofortiger #Rücktritt, schnelle #Neuwahlen." Sein Büro bestätigte auf Nachfrage die Echtheit des Tweets.

Auch die Bundestagsabgeordnete Agnes Strack-Zimmermann zeigte sich entgeistert: Sie könne den Wunsch Kemmerichs verstehen, Ministerpräsident zu werden, schrieb sie auf Twitter. "Sich aber von jemandem wie #Höcke wählen zu lassen, ist unter Demokraten inakzeptabel & unerträglich. Es ist daher ein schlechter Tag für mich als Liberale."

Lindners eigener Landesverband bezog ebenfalls deutlich Position. "Es kann keinen liberalen Ministerpräsidenten geben, der von der AfD ins Amt gewählt wird", erklärte der Landesvorsitzende Joachim Stamp. "Auch wenn ich Thomas Kemmerich glaube, dass es keine Absprache mit der AfD gegeben hat, hätte er die Wahl nicht annehmen dürfen." Kemmerich forderte er auf, "mit einem Rücktritt den Weg zu Neuwahlen in Thüringen frei zu machen".

Kubicki: "Grossartiger Erfolg"

FDP-Vize Kubicki dagegen sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist ein grossartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre (Bodo) Ramelow nicht verlockend."

Kubicki sagte weiter: "Jetzt geht es darum, eine vernünftige Politik für Thüringen voranzutreiben. Daran sollten alle demokratischen Kräfte des Landtages mitwirken."

Offenbar mit Blick auf die Wahl Kemmerichs auch durch die AfD sagte der FDP-Politiker: "Was die Verfassung vorsieht, sollte nicht diskreditiert werden." Eine Zusammenarbeit oder Koalition mit der AfD schloss Kubicki aus. "Das gab es vor der Wahl nicht, das gibt es auch jetzt nicht", sagte Kubicki in Strassburg am Rande der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. (dpa/sg)

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