Der Westen ist alarmiert: Der Konflikt zwischen Moskau und Kiew weitet sich aus. Beide Präsidenten - Wladimir Putin wie Petro Poroschenko - haben Gründe zu zündeln.

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Im Osten nichts Neues? Der fast vergessene Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist mit Vehemenz zurück - an einer neuen Front auf dem Meer, mit neuer Gewalt und mit möglichen Auswirkungen bis zu Nato und EU in Brüssel.

Auf dem Schwarzen Meer vor der Küste der Halbinsel Krim spielten sich am Sonntag Jagdszenen ab. Zwei kleine Patrouillenboote vom Typ Gjursa der ukrainischen Marine und ein Schlepper versuchten, durch die Meerenge von Kertsch ins Asowsche Meer einzulaufen.

Doch erst rammte ein Schiff der russischen Küstenwache den Schlepper, später schossen die Russen, brachten die drei Schiffe auf und nahmen die ukrainischen Matrosen in Gewahrsam.

Zwar haben Russland und die Ukraine einander einmal freie Schifffahrt in dem flachen Asowschen Meer versprochen. Doch seit Moskau die Krim annektiert und durch eine Brücke erschlossen hat, verteidigt es die wichtige Meerenge von Kertsch als sein alleiniges Hoheitsgebiet.

Lage sorgt für grosse Besorgnis

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko versicherte sich in der brenzligen Lage seiner Drähte nach Westen. Er sprach am Montag mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Auch der russische Präsident Putin hat mit Merkel telefoniert und seine "ernste Sorge" über die Lage ausgedrückt, wie die russische Agentur Tass berichtete. Er sieht die Situation als "provokative Aktionen" der ukrainischen Seite.

Bereits zuvor warnte Russland die westlichen Länder davor, sich auf die Seite Kiews zu schlagen. Stattdessen hoffe Putin, dass Berlin die ukrainische Regierung "beeinflussen" könne, um diese von "künftigen unüberlegten Handlungen" abzuhalten. Merkel betonte ihrerseits "die Notwendigkeit von Deeskalation und Dialog", wie Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte.

Auch bei der EU und bei der Nato sorgt das Aufschaukeln für Besorgnis. Beide wollen die Ukraine so gut wie möglich mit friedlichen Mitteln bei der Abwehr russischer Feindseligkeiten und Provokationen unterstützen. Nur mussten sie in der Vergangenheit immer wieder feststellen, dass auch die Kiewer Seite nicht auf Entspannung setzt.

Mögliche Motive für eine Zuspitzung haben beide Staatschefs - Poroschenko wie Putin.

Verfahrene Lage zwischen Russland und der Ukraine

Die Ukraine hat die Krim 2014 verloren. Russland verleibte sich die Halbinsel ein nach einem international nicht anerkannten Referendum. Aus Moskauer Sicht wurde der historische Fehler korrigiert, dass der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow die Krim 1954 von Russland der Ukraine übertragen hat.

Im Osten der Ukraine führt Russland ebenfalls seit 2014 verdeckt Krieg. Seine Militärmacht versteckt sich hinter den separatistischen Kämpfern der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Mehr als 10.000 Menschen sind im Kohlerevier Donbass bislang getötet worden.

Weder Separatisten noch die Ukraine halten sich an die eigentlich geltende Waffenruhe. Eine Friedenslösung, ausgehandelt unter deutscher und französischer Vermittlung, steckt fest.

In den letzten Monaten hat die Ukraine unerwartete Erfolge erzielt - auf ganz anderem Gebiet. Das Oberhaupt der weltweiten Orthodoxie, der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der in Istanbul sitzt, will der Ukraine eine eigene, von Russland unabhängige Kirche geben.

Für Moskau und seine orthodoxe Kirche wäre der Verlust von Millionen Gläubigen in der Ukraine ein schwerer Schlag. Die Eskalation auf dem Schwarzen Meer könnte auch damit zusammenhängen.

Welche Motive könnte Poroschenko haben?

Das offensichtlichere Motiv hat Poroschenko. In Kiew wurde die Aktion sofort mit der für März erwarteten Präsidentenwahl verbunden. Der Amtsinhaber liegt in Umfragen abgeschlagen hinter der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko.

Selbst um den Einzug in eine Stichwahl müsste er bangen. Deshalb die Eskalation gegen Russland? Armee und Kirche sind zwei Schwerpunkte in seinem Vorwahlkampf.

Erst Mitte November hatte Poroschenkos Armeefreund Igor Kononenko in einem Interview spitzfindig angemerkt: "Unsere 'Kniffe' haben Sie noch gar nicht gesehen." Der Oppositionspolitiker Juri Boiko, selbst möglicher Kandidat, hält es für ausgemacht, dass es um Sabotage der Präsidentenwahl geht. "Denn der amtierende Präsident des Landes begreift, dass die Umfragewerte ihm nicht erlauben zu gewinnen", sagte er dem TV-Sender 112.

Die russische Zeitung "Moskowski Komsomolez" kommentiert die Situation wie folgt: "Um sein politisches Kapital in Form des Präsidentenstuhls zu erhalten, ist Poroschenko zu vielem bereit - auch zu einem lokalen militärischen Zusammenstoss mit Russland." Demnach verfolge der ukrainische Präsident "gleich mehrere Ziele. Es stellt auf die Probe, wie entschlossen Moskau ist, seine Interessen auch mit Gewalt zu verteidigen. Die Lage wird absichtlich verschärft, um sich beim Westen in Erinnerung zu bringen und eine neue Welle an Sanktionen gegen Russland hervorzurufen. Doch vor allem geht es allein um einen Vorwahlkrieg, mit dem Poroschenko seinen Status an der Spitze der Ukraine sichern will."

Vom Parlament liess sich Poroschenko für 30 Tage das Recht geben, in den Grenzregionen zu Russland nach dem Kriegsrecht zu regieren. Einem Vorwurf nahm er aber die Spitze: Er wolle mit dem Kriegsrecht eine Verschiebung der Wahl erreichen. Auch die Abgeordneten schoben dem einen Riegel vor und legten die Wahl für den 31. März 2019 fest.

Welche Strategie verfolgt Putin?

Die Ausweitung auf eine dritte Front im Asowschen Meer hat sich seit Monaten abgezeichnet. Für Putin geht es um mehr als nur den Ärger über die ukrainische Kirche.

Ein Abriegeln des Binnenmeeres würde die Ukraine wirtschaftlich treffen. Die Häfen Mariupol und Berdjansk, nach Umschlagsmenge die Nummern fünf und acht in der Ukraine, wären blockiert.

"Putin versucht mit ein paar Schüssen, aus dem offenen Asowschen Meer ein Meer zu machen, das nur ihm gehört", kommentierte der oppositionelle Wirtschaftsexperte und Politiker Wladimir Milow.

Auch der Kremlchef ist nach seiner triumphalen Wiederwahl vom März innenpolitisch unerwartet unter Druck geraten. Die russische Bevölkerung nimmt ihm eine Rentenreform nachhaltig übel. Deshalb ein Ablenkungsmanöver? Die Heimholung der Krim hat seiner Popularität schon 2014 geholfen.

Die "New York Times" fordert eine harte Linie gegenüber Moskau: "Vor allem darf man nicht zulassen, dass Russland mit dieser andauernden Einschüchterung der Ukraine durchkommt. Während es langsam aber sicher seine Kontrolle über die Krim verfestigt, setzt es darauf, dass der Westen weder den Mut noch die Ausdauer hat, immer weitere Strafen zu verhängen oder weitere militärische Unterstützung für die Ukraine zur Verfügung zu stellen. Aber ein direkter Angriff auf ukrainische Schiffe darf nicht straflos bleiben", kommentiert die Zeitung und fordert "weitergehende Wirtschaftssanktionen", das Verbot für ihre Schiffe in russische Häfen im Schwarzen oder im Asowschen Meer einzulaufen oder ihre militärische Unterstützung für die Ukraine zu verstärken.

Nato und EU setzen auf Ausgleich

Danach sieht es im Moment aber nicht aus. Nato und EU setzen vielmehr auf einen Ausgleich. Bei einem für Montag einberufenen Sondertreffen von Nato- und EU-Botschaftern in Brüssel sollte es zunächst darum gehen, einen Überblick über die jüngsten Ereignisse zu bekommen.

"Das, was wir bislang haben, beruht vor allem auf den Darstellungen der Ukraine", erklärte ein EU-Diplomat. Vor einer eindeutigen Bewertung oder gar Konsequenzen müsse eine Stellungnahme aus Moskau abgewartet werden.

Hoffnungen auf militärische Unterstützung darf sich die Ukraine nicht machen. Sie ist kein Nato-Mitglied und gehört nicht zur EU. Niemand wolle die Regierung in Kiew ermuntern, den Konflikt mit Russland weiter eskalieren zu lassen, heisst es in Brüssel. Und niemand wolle in einen bewaffneten Konflikt mit Russland hineingezogen werden.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat demnach auch beide Seiten aufgerufen, den Konflikt zu entschärfen.

"Die festgesetzten Schiffe und Matrosen sind freizusetzen", sagte sie bei der Eröffnung der Berliner Sicherheitskonferenz am Dienstag an die Adresse Russlands gerichtet. Zudem müsse Russland die freie Durchfahrt durch die Wasserstrassen sicherstellen "und es darf nicht unverhältnismässig handeln."

Und die Ukraine? Die müsse Belege zum genauen Hergang auch vorlegen", sagte sie bei dem Treffen europäischer Militärs und Verteidigungsexperten weiter. (cai/dpa)

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