• Trotz zahlreicher Beweise leugnet Russland offiziell seit Jahren, dass sich russische Soldaten in den von Kiew abtrünnigen Gebieten in der Ostukraine aufhalten.
  • Ein Urteil eines Bezirksgerichts offenbart nun erstaunliche Details: In dem Text wird offen die Lieferung von Proviant an russisches Militär geschildert, das in den beiden selbsternannten Volksrepubliken stationiert ist.
  • Der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin dementiert prompt und spricht von "Fehlern".

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Wenn der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Urteil eines Bezirksgerichts Stellung nimmt, muss etwas Besonderes vorgefallen sein.

Tatsächlich beinhaltet der Richterspruch des lokalen Gerichts in der südrussischen Stadt Rostow am Don erstaunliche Details mit internationaler Tragweite. Richter Leonard Scholochow verhandelte Mitte November einen Korruptionsfall aus dem Jahr 2019, angeklagt war der Vize-Regionalleiter einer Firma für Militärverpflegung. In dem mittlerweile von der Webseite des Gerichts gelöschten Urteil (hier archiviert) ist zu lesen, dass der Verurteilte unter anderem verantwortlich war "für den Versand von Lebensmitteln an Garnisonen russischer Streitkräfte, die auf dem Territorium der DNR und der LNR stationiert sind".

Ein Satz mit Sprengkraft, denn DNR und LNR sind die offiziellen Abkürzungen für die Donezker und Luhansker Volksrepubliken. In den zwei abtrünnigen Gebieten in der Ostukraine hatten pro-russische Separatisten im April 2014 staatsähnliche Gebilde proklamiert. Doch in dem Urteilstext steckt noch mehr. Das Gericht schreibt von "Wehrdienstleistenden der Russischen Föderation, die sich im Bereitschaftsdienst in der DNR und der LNR aufhalten".

Ein Urteil, das der offiziellen Kreml-Linie widerspricht

Das ist bemerkenswert, denn Russland hat offiziell – und trotz zahlreicher Beweise – die Stationierung eigener Soldaten bisher nicht zugegeben und weist seit Jahren alle Vorwürfe zu russischen Truppen im Donbass zurück. "Die Minsker Vereinbarungen besagen nicht, dass Russland eine Konfliktpartei ist. Wir haben dem nie zugestimmt und werden dem auch nicht zustimmen, wir sind es nicht", erklärte Putin erst kürzlich laut russischer Nachrichtenagentur Tass. Die in der belarussischen Hauptstadt geschlossenen Abkommen sollten den Konflikt in der Ostukraine befrieden – wurden jedoch nie vollständig umgesetzt.

Unabhängige Medien berichten seit Jahren, dass russische Soldaten in den Separatistengebieten Dienst tun. Die russische Zeitung "Nowaja Gaseta" hatte etwa in der Vergangenheit auch Bilder von Särgen gezeigt – mit Leichen, die nach Russland überführt worden waren.

Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach am Donnerstag mit Blick auf das Urteil aus Rostow am Don prompt von einem "Fehler jener, die den Text geschrieben haben". Es könne nur ein Fehler sein, "weil das nicht möglich ist. Es gibt überhaupt keine Streitkräfte der Russischen Föderation auf dem Gebiet der selbsternannten Republiken", bemerkte Peskow.

Ukraine spricht von "Geständnis" Russlands

In der Ukraine erklärte dagegen Aussenministeriumssprecher Oleh Nikolenko: "Diesmal hat die Russische Föderation einen juristischen Präzedenzfall geschaffen, der klar ihren Status als Seite eines internationalen bewaffneten Konflikts festhält."

In der Ostukraine bekämpfen sich seit 2014 pro-russische Milizen und die ukrainische Armee, nachdem Moskau die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hatte. Die Ukraine betrachtet die Einheiten der Aufständischen seit Langem als Teil der russischen Armee. Nikolenko bezeichnete deshalb das Urteil laut BBC als "Geständnis", das Russland "unterzeichnet" habe.

Nummernschilder mussten an der Grenze abgeschraubt werden

In dem Rostower Urteil aus dem November ging es um Korruption im Zusammenhang mit Proviant-Lieferungen in die beiden Regionen in der Ostukraine. Der Verurteilte habe aus Sicht des Gerichts wegen seiner Bestechlichkeit die Lebensmittelversorgung russischer Militärangehöriger in den Donezker und Luhansker Volksrepubliken "bedroht".

Laut Urteil habe ein Konvoi von 70 Lkw die Gebiete alle vierzehn Tage angesteuert. Das Gesamtvolumen: "mehr als 1.300 Tonnen", heisst es in dem Richterspruch. Daraus geht auch hervor, dass vor allem Mehl, Konserven und frisches Gemüse geliefert wurden. "Der Gesamtwert der Lebensmittel pro Sendung betrug mehr als 130 Millionen Rubel [umgerechnet etwa 1,6 Millionen Euro]."

In dem Urteil wird auch ein Zeuge zitiert, der schilderte, dass die Fahrer "unter Einsatz ihres eigenen Lebens an der Grenze ihre Nummernschilder entfernen, ihre Papiere abgeben und sich bewacht von der 'empfangenden' Partei zum Entladeort" begeben mussten.

Die Erklärung von Kremlsprecher Peskow laut Nachrichtenagentur Interfax: In die beiden Regionen würden ständig humanitäre Hilfsgüter geliefert. "Das wissen Sie doch", sagte er vor Journalisten. US-Militärexperte Michael Kofman schätzt laut BBC, dass ein wesentlicher Teil der in dem Urteil aufgeführten Lieferungen für die Zivilbevölkerung bestimmt war.

Anhaltender Krieg in der Ostukraine

Die BBC hat ausgerechnet, dass die gelieferten Lebensmittel theoretisch für bis zu 58.000 Soldaten reichen würden. Ukrainische und westliche Militärexperten schätzen, dass sich derzeit etwa 3.000 russische Soldaten und Militärausbilder im Donbass aufhalten. Dazu kämen aus Sicht von Kofman, der das Russland-Programm des von der US-Regierung geförderten Forschungs- und Entwicklungszentrums Center for Naval Analyses leitet, etwa 12.000 bewaffnete Separatisten.

In dem Krieg in der Ostukraine kamen UN-Schätzungen zufolge bereits mehr als 13.000 Menschen ums Leben. Zuletzt hatten sich die Spannungen zwischen Russland und dem Westen im Ukraine-Konflikt deutlich verschärft. Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine gibt es Befürchtungen, Moskau könnte das Nachbarland angreifen. Moskau weist dies zurück und wirft der Ukraine seinerseits Provokationen vor.

Mit Material von dpa und AFP.

Klitschko warnt vor Angriff Russlands: "Ich bin bereit zu kämpfen"

Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, hat vor einer russischen Invasion gewarnt. "Wir bereiten uns in der ganzen Ukraine darauf vor, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Kriegsbefehl geben könnte", erklärte Klitschko in einem Gastbeitrag in der "Bild"-Zeitung (Dienstag). "Als Soldat habe ich einst geschworen, das Land zu verteidigen, und bin auch jetzt bereit, für mein Mutterland zu kämpfen." Er organisiere als Bürgermeister den Zivilschutz der Hauptstadt. Seine Behörden hätten bereits die Rekrutierung und Ausbildung von Reservisten der Territorialen Verteidigungsbrigade intensiviert. Vorschaubild: picture alliance
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