- Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am vergangenen Sonntag Geheimdienstchef Iwan Bakanow und Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa suspendiert.
- Mehr als 60 Mitarbeiter von Staatsanwaltschaft und Geheimdienst SBU seien laut Selenskyj in den besetzten Gebieten geblieben und arbeiteten nun für Russland.
- 28 Geheimdienstoffiziere sollen nun gehen.
Die gesamte Vorgeschichte ist schon so skurril, dass sie aus einem Hollywoodfilm stammen könnte. Ein Schauspieler und Komiker, der in einer Serie den ukrainischen Präsidenten spielt, wird schliesslich aufgrund seiner hohen Beliebtheit tatsächlich zum Präsidenten gewählt.
Die Wahlkampagne managt sein enger Vertrauter und Schulfreund, der auch schon die Produktionsfirma geleitet hat, die für die beliebte TV-Serie verantwortlich war. Nach gewonnener Wahl wird der Wahlkampfmanager und Produktionsfirmen-Chef schliesslich Chef des Geheimdienstes. Klingt zu verrückt für ein Drehbuch? Tatsächlich ist es aber die Geschichte des nun suspendierten ukrainischen Geheimdienstchefs Iwan Bakanow.
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Und diese Behörde ist nicht irgendeine unter vielen: Der ukrainische Geheimdienst ist mit geschätzten 27.000 Mitarbeitern der grösste Europas. An die Spitze dieses gewaltigen Apparats setzte Selenskyj ausgerechnet jemanden, der noch nie etwas mit dem Thema Kriminalität oder Geheimdienstarbeit zu tun gehabt hatte.
Vetternwirtschaft und Korruption beim Geheimdienst
Bakanow kommt aus dem Kulturbereich. Seine Ausbildung soll er im Bereich Tourismuswirtschaft gemacht haben. Später leitete er eine Kabarett-Gruppe, aus der besagte Produktionsfirma hervorging, die Selenskyjs TV-Serie produzierte und ihm somit zur Präsidentschaft verhalf. Für den Erfolg des ukrainischen Präsidenten ist er damit unzweifelhaft mitverantwortlich, aber ist er auch geeignet dafür, eine so wichtige Behörde zu leiten? Schon bei Bakanows Ernennung gab es Zweifel. Die Opposition sah keine Eignung für ein so hohes Amt. Kritik wurde laut, Selenskyj würde Vetternwirtschaft betreiben und seine treuen Unterstützer entlohnen. Der Präsident stellte sich schützend vor seinen Vertrauten.
Und das ging auch lange gut. 2019 war der Geheimdienst noch mit anderen Themen beschäftigt. Bakanow wollte den aufgeblasenen Beamtenapparat reformieren, der noch aus Zeiten der Sowjetunion stammte. Strukturreformen waren aber bald kein Thema mehr, als im vergangenen Winter russische Truppen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen wurden und schliesslich Anfang dieses Jahres in die Ukraine vorstiessen. Seither kamen vielmehr die Probleme und das Versagen des SBU zum Vorschein. Bereits kurz vor dem Angriff der russischen Armee setzte sich der Leiter der Inneren Sicherheit des SBU, Andrij Naumow, in Richtung Serbien ab. Dort wurde er dann Anfang Juni mit einer grossen Menge Bargeld festgenommen.
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Verräter in den eigenen Reihen?
Ähnliches wird aus Cherson berichtet. Dort sollen SBU-Funktionäre, Polizei und Staatsanwaltschaft die Stadt bereits verlassen haben, bevor die russischen Truppen vor Ort waren. Erstaunlicherweise kannten die Angreifer die Positionen der Minenfelder. Strategisch wichtige Brücken waren nicht gesprengt worden, weshalb die russische Armee dort schneller vorankam als erwartet. Lange wird bereits darüber spekuliert, ob es sich dabei um Verrat handeln könnte. Auch der Gebietschef des SBU in Charkiw war Ende Mai in Ungnade gefallen. Ihm wurde von Selenskyj vorgeworfen, er habe "nicht für die Verteidigung der Stadt gearbeitet."
Für die Suspendierung von Bakanow könnte nun die Verhaftung von Oleh Kulinitsch, dem SBU-Chef der Krim, am vergangenen Samstag den letzten Anstoss gegeben haben. Kulinitsch war ebenso wie der geflüchtete Naumow vom Geheimdienstchef zum SBU geholt worden. Ebenso wie zahlreiche andere SBU-Verantwortliche soll Kulinitsch in den besetzten Gebieten für den russischen FSB gearbeitet haben. Solcher Verrat ist für Ex-SBU-Chef Bakanow nicht dokumentiert. Er soll weiter loyal gegenüber der Regierung in Kiew gewesen sein.
Allerdings wird dem ehemaligen Leiter der Behörde die hohe Anzahl an Verrätern angelastet, ebenso wie Generalstaatsanwältin Wenediktowa. Möglicherweise war der ehemalige Wahlkampfmanager wirklich ungeeignet für den Posten, so wie es seine Kritiker ihm vorwarfen. Selenskyj scheint daraus gelernt zu haben: Auf Bakanow soll nun sein Stellvertreter Wassyl Maljuk folgen. Dieser ist ausgebildeter Geheimdienstler und hat eine klassische Beamtenlaufbahn hinter sich.
Verwendete Quellen:
- Spiegel.de: Selenskyj kündigt Entlassung von Dutzenden Geheimdienstoffizieren an
- Faz.net: Verrat im ukrainischen Geheimdienst?
- SZ.de: Selenskijs strategischer Fehler
- FR.de: Schulfreund von Selenskyj: Ukrainischer Geheimdienstchef begeht "Verrat"
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