Russland hat die Ukraine für die Angriffe auf das Atomkraftwerk in Saporischschja verantwortlich gemacht. Die Ukraine wirft im Gegenzug Russland vor, Falschinformationen zu verbreiten. Bei russischen Angriffen starben in der Region unterdessen drei Menschen.
Nach Angriffen auf das Atomkraftwerk in Saporischschja hat die Ukraine Russland vorgeworfen, Falschinformationen zu verbreiten. Moskau greife das Akw mit Drohnen an "und gibt vor, dass die Bedrohung für die Anlage und die nukleare Sicherheit von der Ukraine ausgeht", erklärte der Leiter des ukrainischen Zentrums für die Bekämpfung von Desinformation, Andrij Kowalenko, am Montag. Derweil meldeten örtlichen Behörden drei Tote und mehrere Verletze bei erneuten russischen Angriffen auf die Region.
Laut der russischen Atombehörde Rosatom hatte es am Sonntag eine "Reihe von Angriffen" auf das Atomkraftwerk im Süden der Ukraine gegeben. Eine Drohne habe die Kantine getroffen und drei Mitarbeiter verletzt. Weitere Drohnen trafen demnach den Frachthafen und das Dach eines der sechs Reaktoren. Nach Angaben aus Moskau handelte es sich dabei um ukrainische Drohnen.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bestätigte den Drohnenangriff, ohne dafür die Ukraine verantwortlich zu machen. Dabei sei einer der Reaktoren beschädigt worden, die nukleare Sicherheit sei allerdings nicht beeinträchtigt worden. Demnach gab es zudem einen Verletzten.
Kowalenko warf Moskau nun vor, "die Bedenken der IAEA zu manipulieren" und "zu versuchen, der Ukraine Nuklearterrorismus vorzuwerfen". Die russischen Anschuldigungen seien Teil einer "Kampagne von Provokationen und Falschinformationen" gegen die Ukraine.
Das AKW Saporischschja ist seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine vor mehr als zwei Jahren von der russischen Armee besetzt. Wiederkehrende Zwischenfälle rund um die Anlage haben die Sorgen vor einem schweren Atomunfall verstärkt.
Russland beschuldigt die Ukraine
Das russische Aussenministerium hat Kiew die volle Verantwortung für Drohnenangriffe auf das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine zugeschrieben. "Mit ihren kriminellen Handlungen macht die Ukraine, unterstützt von den USA und ihren westlichen Satelliten, deutlich, dass sie den Weg des nuklearen Terrors eingeschlagen hat", heisst es in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung des Aussenamtes in Moskau.
"Aufgabe der Weltgemeinschaft und der internationalen Organisationen, allen voran der IAEO, ist es, Kiew die Möglichkeit zu nehmen, Terroranschläge auf Atomanlagen zu verüben", forderte das russische Aussenministerium weiter. Moskaus UN-Botschafter Wassili Nebensja kündigte nach Angaben der Staatsagentur Tass an, den Vorfall bei einer der nächsten Sitzungen des Weltsicherheitsrates zur Sprache bringen zu wollen.
Moskau sah die Verantwortung für den Angriff auf das grösste Atomkraftwerk Europas "in vollem Umfang bei der Führung jener Staaten, die das Kiewer Regime mit Waffen und Geheimdienstinformationen versorgen und ihm finanzielle Mittel zur Verfügung stellen". Russland selbst, dessen Truppen das Kraftwerk seit über zwei Jahren besetzt halten, "tut alles Notwendige, um die Sicherheit des AKW im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und den internationalen rechtlichen Verpflichtungen zu gewährleisten".
Die sechs Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart im Atomkraftwerk Saporischschja wurden heruntergefahren und produzieren keine Energie mehr. Die Reaktoren selbst befinden sich jeweils in einem Betonwürfel mit Betonwänden von einem Meter Dicke. In deren Mitte sind die Reaktoren, deren Sicherheitsbehälter noch einmal eine 20 Zentimeter dicke Stahlschicht haben. Allein für eine Zerstörung der Betonwände wären Experten zufolge mehrere gezielte Treffer mit grosskalibrigen Granaten oder spezieller bunkerbrechender Munition notwendig.
Drei Tote bei neuen Angriffen
Bei russischen Angriffen auf die Region Saporischschja wurden nach Angaben der örtlichen Behörden am Montag drei Menschen getötet. Weitere acht Menschen wurden verletzt, als russische Raketen in einer nicht näher beschriebenen Industrieanlage einschlugen. Wie der örtliche Militärverwalter Iwan Fjodorow weiter auf Telegram mitteilte, wurden 14 Gebäude beschädigt, darunter auch eine Gesundheitseinrichtung.
Innerhalb eines Tages hätten die russischen Streitkräfte acht bewohnte Gebiete in der Region 357 Mal angegriffen, teilte Regionalgouverneur Iwan Federow in Onlinenetzwerken mit. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden. Die Stadt Saporischschja liegt etwa 55 Kilometer nördlich des gleichnamigen Kernkraftwerks, das seit über zwei Jahren von russischen Truppen besetzt ist.
Ukraine: 80 Prozent der Wärmekraftwerke von russischen Luftangriffen getroffen
Russland hat in den vergangenen Wochen den Energiesektor der Ukraine nach Angaben Kiews so massiv angegriffen wie nicht zuvor seit Beginn des Krieges. "Wir können sagen, dass bis zu 80 Prozent der Wärmekraftwerke angegriffen wurden, mehr als die Hälfte der Wasserkraftwerke und eine grosse Anzahl von Relaisstationen" für die Stromübertragung, sagte der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko am Montag vor Journalisten. Es handele sich um "den grössten Angriff auf Ukraines Energiesektor" seit Kriegsbeginn.
Moskau greift seit Ende März nahezu täglich das ukrainische Energieversorgungsnetz an. Die Folge waren unter anderem grosse Stromausfälle in der nordöstlichen Stadt Charkiw.
Vor Russlands Invasion setzte sich die ukrainische Stromversorgung etwa zu gleichen Teilen aus Kohle, Gas und Atomstrom sowie einem kleineren Anteil an Wasser zusammen. Das grösste Atomkraftwerk des Landes in Saporischschja ist seit Kriegsbeginn unter russischer Kontrolle.
Galuschtschenko sagte, "Ausmass und Auswirkungen" der aktuellen Angriffe sei "viel grösser" als frühere Angriffe im Winter 2022/2023. "Wir sehen, dass die Russen die Waffen modifiziert haben", erläuterte der Minister. Moskau setze jetzt explosive Drohnen und Raketen nach iranischem Vorbild ein, die pro Angriff mehr Schaden anrichteten.
Selenskyj mit dringendem Appell an US-Kongress
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte angesichts der schwierigen Lage seiner Armee im Osten des Landes vor einer Niederlage seines Landes. Mit Blick auf ausbleibende US-Militärhilfe wegen der Blockade im Kongress in Washington sagte er am Sonntag: "Wenn der Kongress der Ukraine nicht hilft, wird die Ukraine den Krieg verlieren." Zudem bekräftigte Selenskyj seine Warnung, im Falle einer Niederlage der Ukraine würden andere Staaten von Russland angegriffen werden.
Die USA sind seit der russischen Invasion im Februar 2022 der wichtigste militärische Unterstützer Kiews. Doch seit dem vergangenen Jahr blockieren die Republikaner im Kongress unter dem Druck des früheren US-Präsidenten Donald Trump, der im November erneut zur Wahl antreten will, ein neues Ukraine-Hilfspaket im Wert von 60 Milliarden Dollar (rund 55 Milliarden Euro).
Russischer Aussenminister Lawrow in China
In der Zwischenzeit traf Russlands Aussenminister Sergej Lawrow am Montag zu einem zweitägigen Besuch in China ein. Dort werde er seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi zu einem "intensiven Austausch über drängende Themen" treffen, hiess aus dem Aussenministerium. Als eines der Themen wurde auch die "ukrainische Krise" genannt.
Russland und China haben ihre Beziehungen seit dem Beginn der russischen Offensive in der Ukraine im Februar 2022 vertieft. Peking ist mittlerweile einer der wichtigsten Handelspartner Moskaus. Das Land nimmt eigenen Angaben zufolge eine neutrale Position im Ukraine-Konflikt ein und befürwortet offiziell eine politische Lösung zur Beilegung der Kämpfe. (AFP/dpa/cgo)
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