• Das Stahlwerk Asowstal war der Stolz der ukrainischen Hafenstadt Mariupol.
  • Nachdem die russische Armee und ihre Verbündeten es eingenommen haben, sind nur noch Trümmer übrig.
  • Jetzt wurden erstmals Journalisten durch die Ruinen geführt.

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Vom Symbol des ukrainischen Widerstands sind nur noch Trümmer und Berge von Metallschrott übrig. Auf dem Industriegelände des Asowstahl-Konzerns in Mariupol, wo sich über Wochen hinweg Soldaten und Zivilisten verschanzten, patrouilliert jetzt die russische Armee mit ihren separatistischen Verbündeten. Nun führen sie erstmals Journalisten durch die Ruinen.

Die in der Sowjetzeit gebaute Fabrik war vor dem Krieg der Stolz der Hafenstadt am Asowschen Meer, mehr als 12.000 Menschen arbeiteten dort. Immer wieder sind Explosionen zu hören, wenn Minen gesprengt werden. Ein beissender Gestank liegt in der frühsommerlichen Luft - vermutlich der Geruch verwesender Leichen.

Kilometerlanges Netz von Tunneln und Bunkern

Während das Stahlwerk oberirdisch einem Trümmerfeld gleicht, hat das unterirdische Labyrinth die Gefechte überstanden. Das kilometerlange Netz von Tunneln und Bunkern auf mehreren Ebenen wurde während des Kalten Krieges gebaut, um die Arbeiter bei einem möglichen Atomschlag zu schützen. Während der russischen Angriffe diente es Zivilisten und der ukrainischen Armee wochenlang als Zufluchtsort, als die Stadt selbst bereits zerstört war und von der russischen Armee kontrolliert wurde.

Die Zivilisten wurden nach und nach in Sicherheit gebracht, und als die Lage immer aussichtsloser wurde, ergaben sich Mitte Mai auch die letzten ukrainischen Soldaten. Die Ukraine brauche ihre "Helden" lebendig, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Viele von ihnen befinden sich nun allerdings in russischer Gefangenschaft.

Kämpfer des Asow-Regiments hatten sich hier wochenlang verschanzt

In einem der dunklen Räume unter der Erde liegen Kleidung und Patronenhülsen auf dem Boden und den Metallbetten verstreut. Auf den Tischen stehen Tassen und Teller, dazwischen liegen Fotos von Soldaten. In einer improvisierten Krankenstation sind Medikamente und Mullbinden gelagert.

Hier hätten sich Kämpfer des nationalistischen Asow-Regiments aufgehalten, sagen die Organisatoren der Pressetour. Bei dem Regiment handelt es sich um eine ehemalige paramilitärische Einheit, die in die ukrainischen Streitkräfte integriert wurde.
Moskau spricht von einer Neonazi-Organisation. An den Wänden einer Treppe hinunter in die Tunnel sind Graffiti zu erkennen, die der Schwarzen Sonne, einem Nazi-Symbol, ähneln. Wer sie gezeichnet hat, ist unklar.

Es wird vermutet, dass rund 2000 ukrainische Soldaten aus dem Asow-Werk in der Ostukraine von Separatisten festgehalten werden. Russland will ihnen den Prozess machen.

Ein dreimonatiger Kampf

"Die Luftwaffe hat eine grosse Rolle gespielt. Ich denke, dass sich die Soldaten deshalb ergeben haben", sagt Ruslan bei der Führung. Der 34-Jährige stammt aus Transnistrien in Moldau, kämpft seit 2014 an der Seite der Separatisten und war auch an der Eroberung Mariupols beteiligt. "Sie waren trainiert, sie fühlten sich hier wohl. Für uns war es schwierig, weil es unbekanntes Terrain war, und sie hatten alles in Reichweite. In jedem Raum gab es Verstecke für Waffen und Munition", berichtet er, während er auf einem umgedrehten Eimer sitzt.

"Es war bequem, sich dort zu verstecken und sich zu verteidigen", sagt Andrej, Separatist aus der Region Donezk in der Ostukraine. Der 43-Jährige verdeckt sein Gesicht mit einem Schal und trägt eine Kappe mit dem Buchstaben Z, dem Symbol der russischen Invasion.

Andrej schätzt, dass 70 Prozent der Soldaten im Stahlwerk "Einheimische" gewesen seien, die ihre Familien dorthin in Sicherheit brachten. Damit widerspricht er der russischen Darstellung, wonach es sich bei der Mehrheit um "nationalistische" Kämpfer aus anderen Regionen gehandelt habe.

Der Kampf um Mariupol dauerte drei Monate. Hunderttausende flohen aus der Stadt, vermutlich kamen tausende Zivilisten ums Leben. Die verwüsteten Strassen sind leer, nur ab und zu sind Ansammlungen von Menschen zu sehen, die sich mit den nötigsten Lebensmitteln eindecken. (afp/fab)

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