Ein Video soll beweisen, dass die Bilder getöteter Zivilisten in der ukrainischen Stadt Butscha inszeniert seien. Die Leichen sollen sich angeblich bewegen. Doch der vermeintliche Beweis zeigt etwas anderes.
Triggerwarnung: In diesem Beitrag wird Bild- und Videomaterial verlinkt, das die Folgen von Gewalt zeigt.
Aus der ukrainischen Stadt Butscha gingen nach dem Abzug von Russlands Truppen erschreckende Bilder um die Welt. Medienberichte zeigten getötete Zivilisten in der Stadt bei Kiew. Auf Twitter und Telegram wurden jedoch Beiträge verbreitet, die in Zweifel ziehen sollen, ob diese Bilder echt sind. So kursiert etwa die Behauptung, in einem Video sehe man, dass sich die Leichen in Butscha bewegten.
Eine tote Person soll ihren Arm heben, eine andere sogar aufstehen oder sich aufsetzen. Diese Behauptung verbreitete auch das russische Verteidigungsministerium. Sie soll suggerieren, die Bilder von Opfern in Butscha seien inszeniert und die Leichen nicht echt.
Wir haben uns das Video genauer angeschaut: Darin ist keine Bewegung der Leichen zu erkennen.
Der sich bewegende Arm ist nur ein Wassertropfen oder ein Fleck auf der Windschutzscheibe
Im kursierenden Video ist der Name des ukrainischen Fernsehsenders Espreso TV eingeblendet. Die Aufnahmen sind auch auf dem YouTube-Kanal des Senders zu finden, wo sie am 2. April 2022 hochgeladen wurden.
Das Video ist aus der Perspektive eines Beifahrers eines fahrenden Autos aufgenommen und zeigt eine Strasse, auf der mehrere tote Menschen liegen. Laut Espreso TV stammt das Video vom Rechtsanwalt Ilya Novikov. Auf seinem Twitter-Profil ist das Video in besserer Qualität zu finden.
Bei Minute 0:09 ist die erste Leiche zu sehen, auf die sich eine der kursierenden Behauptungen bezieht: Ein Körper liegt am rechten Strassenrand. Als das Auto sich ihm nähert, zieht sich ein heller Punkt entlang des Körpers von unten nach oben. Wenn man die Aufnahme verlangsamt, ist deutlich zu erkennen, dass der Punkt sich nicht an dem Körper befindet, sondern auf der Windschutzscheibe des Wagens.
Es handelt sich dabei also nicht um eine sich bewegende Hand, sondern möglicherweise um einen Regentropfen oder Schmutz auf der Windschutzscheibe des Autos. In der Version mit hoher Auflösung ist etwa auch zu sehen, dass der helle Punkt sich nicht nur über die dunkle Jacke der Leiche bewegt, sondern auch darüber hinaus. Ähnliche solcher Punkte sind im Video etwa auch auf dem vorausfahrenden Auto zu sehen.
Das Rechercheteam von Aurora Intel Network hat zudem auf Twitter gezeigt, wie sich der Punkt noch deutlicher erkennen lässt. Durch einen Filter kehrte das Team die Farben des Videos um.
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um Russlands Krieg gegen die Ukraine im Live-Ticker
Die vermeintlich aufstehende Leiche ist eine optische Täuschung
Ab Minute 0:45 ist die zweite Leiche zu sehen, die sich angeblich bewegt. Im Seitenspiegel ist der schwarze Umriss eines Körpers zu erkennen. Bei der Bewegung handelt es sich jedoch um eine Verzerrung des Spiegels, wie auch die verzerrten Gebäude neben der Leiche beweisen. Das ist deutlich im Ausschnitt des Videos zu sehen, den ein BBC-Journalist auf Twitter veröffentlichte.
Dieser verzerrende Effekt tritt bei manchen Aussenspiegeln auf und wird auf Seiten mit Tipps für die Führerscheinprüfung erklärt.
Beide Leichen sind darüber hinaus in derselben Position auf Aufnahmen von der Strasse vom 3. April zu sehen, wie die BBC in einer Recherche zeigt.
Dass die Fotos tatsächlich in Butscha entstanden sind, lässt sich durch einen Vergleich mit Aufnahmen von Google Maps belegen. Markante Merkmale wie die Form der Häuser, ein Steinzaun und ein schief gewachsener Baum stimmen überein. Im Video ist die Yablunska-Strasse in Butscha zu sehen.
Faktenchecker der Associated Press und der Deutschen Presse-Agentur haben das Video ebenfalls überprüft und kamen zum Schluss, dass darin keine Bewegungen der Leichen zu sehen sind. In einer Recherche anhand von Satellitenbildern hat die "New York Times" zudem belegt, dass mehrere Leichen wochenlang auf der Strasse in Butscha lagen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.