• Erst zeigt sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko in einem Interview verwundert über die Kriegsdauer in der Ukraine, dann macht die Nachricht von einer Entschuldigung Putins an Israel die Runde.
  • Sind das Indizien dafür, dass etwas in Russland bröckelt?
  • Politikwissenschaftler Martin Koch ist skeptisch.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfliessen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Eigentlich erfahren Streitigkeiten deutlich mehr Aufmerksamkeit, als die anschliessende Entschuldigung. Diesmal war das anders: Denn nicht irgendjemand soll Abbitte geleistet haben – sondern Kreml-Chef Wladimir Putin höchstpersönlich. Ein Mann, den Spielregeln sonst nur interessieren, wenn sie in seinem Interesse sind.

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Konkret geht es um die antisemitischen Äusserungen, die sein Aussenminister Sergej Lawrow zuvor getätigt hatte. Viele Juden in der Ukraine seien Antisemiten, auch Hitler habe "jüdisches Blut" gehabt, hatte Lawrow behauptet. Israel reagierte empört, bestellte den russischen Botschafter ein und forderte eine Entschuldigung.

Telefonat mit Putin

Laut Israel soll es diese inzwischen gegeben haben. Das teilte zumindest das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett nach einem Telefonat mit Kreml-Chef Putin mit. Bennett habe die Entschuldigung angenommen und "für die Klarstellung der Einstellung des Präsidenten zum jüdischen Volk und zum Holocaust-Gedenken gedankt", hiess es.

Der Kreml liess das zunächst unbestätigt. Aus Moskau hiess es lediglich, der russische Präsident habe in dem Telefonat die freundschaftlichen Beziehungen der beiden Länder betont. Ein Dementi der Entschuldigung gab es allerdings auch nicht.

Lukaschenko zweifelt an Erfolg

So ungewöhnlich eine Entschuldigung Putins bereits klingt, sie ist nicht der einzige Vorfall, der für Aufsehen sorgt: Denn fast zeitgleich fuhr ihm der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko in die Parade und zweifelte an Russlands Erfolgen im Ukraine-Krieg.

In einem Interview räumte der enge Putin-Verbündete ein, dass der Einmarsch aus Russlands Sicht offenbar nicht nach Plan verlaufe. "Um ehrlich zu sein, dachte ich nicht, dass sich die Operation derart hinzieht", so Lukaschenko im Interview mit der Nachrichtenagentur AP. "Ich bin mit dem Problem aber nicht genug vertraut, um zu sagen, ob alles nach Plan läuft, wie die Russen sagen", ergänzte er.

Leise Kritik an Putin

Der Affront Richtung Moskau beinhaltete noch mehr: Lukaschenko bezeichnete einen Atomschlag als "inakzeptabel" und forderte mit ungewöhnlich deutlichen Worten ein Ende der Kämpfe. "Wir akzeptieren kategorisch keinen Krieg. Wir haben alles getan und tun alles, damit es keinen Krieg gibt", so Lukaschenko. In Putins Worten hingegen handelt es sich nur um eine "Spezialoperation".

Er habe Verhandlungen initiiert, behauptete Lukaschenko weiter, fragte aber: "Weshalb ist die Ukraine, auf deren Territorium der Krieg tatsächlich stattfindet – Militäraktionen, Menschen sterben – warum ist die Ukraine nicht an diesen Verhandlungen interessiert?" Im Kreml dürfte man sein Interview mit Unmut zur Kenntnis genommen haben. Moskau kann nicht auf uneingeschränkte Zustimmung aus Belarus setzen.

Und das, obwohl russische Truppen Ende Februar auch von belarussischem Territorium aus in die Ukraine einmarschierten und Lukaschenko die Ukraine und die USA als verantwortlich für den Krieg zeichnet. Bröckelt da etwas in Moskau oder wie erklären sich diese seltsamen Vorfälle?

Experte ist skeptisch

Politikwissenschaftler Martin Koch ist skeptisch. "Ich halte es nicht für gesetzt, dass es wirklich eine klare Entschuldigung von Putin gegeben hat", sagt er. Vom Kreml sei nur das Telefonat bestätigt worden, mit keiner Silbe sei aber von einer Entschuldigung die Rede gewesen. "Ein echtes "mea culpa" von Russland wage ich zu bezweifeln", sagt der Experte.

Trotzdem ist er sich sicher: "Es ist im Interesse von Russland und Israel, dass der Zwist schnell beigelegt ist". In der Tat brauchen beide Länder einander: Putin will Israel nicht erzürnen, weil dessen Gewicht im Nahen Osten nicht unbedeutend ist. Israel verfügt über eine der modernsten Armeen der Welt. Gleichzeitig ist Russland für die Sicherheit Israels gerade mit Blick auf den Erzfeind Iran ein wichtiger strategischer Partner.

"Ein Bröckeln in Russland kann man durch diesen Vorgang sicher nicht ableiten", stellt Experte Koch klar. Die Einlassungen von Lukaschenko haben allerdings auch ihn verwundert. "Durch sein Interview hat er tatsächlich eine gewisse Distanz aufgebaut und ist von dem bedingungslosen brüderlichen Verteidigen abgerückt", analysiert Koch.

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Was dahinterstecken könnte

Zwar habe der belarussische Machthaber in der Vergangenheit immer wieder klar verteidigt, dass Russland die Ukraine angreifen musste, "aber jetzt hat er der Ukraine auch Respekt gezollt, dass sie den Krieg so lange hinauszögern kann", sagt Koch. Was dahintersteckt, sei schwer zu beurteilen, so der Experte. Putin und seine Verbündeten hatten erst vor wenigen Jahren dafür gesorgt, dass die Proteste in Belarus niedergeschlagen werden konnten. Dafür hatte Putin nun auf Unterstützung von Belarus gehofft.

"Lukaschenko will sich scheinbar nicht zu eng mit Russland verbrüdern, Putin aber auch nicht zu sehr verärgern", sagt Koch. Schliesslich gibt es auch in Belarus viele Menschen, die befürchten, dass Russland das von ihm wirtschaftlich völlig abhängige Land annektieren könnte.

Keine Indizien für Widerstand

Als Putin dem ukrainischen Portal "Nexta" zufolge von einer "dreieinigen" Nation aus Russland, Belarus und der Ukraine sprach, sah sich Lukaschenko genötigt, zu dementieren: Pläne für einen Beitritt zu Russland gebe es nicht. Lukaschenkos Äusserungen nun – sie könnten Putin zumindest ein kleines Stück weit in seine Schranken weisen.

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"Ich sehe aber trotz allem kein Bröckeln innerhalb Russlands, auch nicht innerhalb des Militärs", betont Experte Koch. Auf innenpolitischen Widerstand zu hoffen, sei unrealistisch. "Ich sehe derzeit keine Indizien für einen Widerstand, der Putin gefährlich werden könnte", sagt er. Es gebe keine echte Oppositionsbewegung, keine starke Anti-Kriegsbewegung oder jemanden, der sich klar gegen Putin positioniere. "Die Opposition ist konsequent unterdrückt worden, die Bevölkerung kann sich nicht über alternative Kommunikationskanäle informieren", erinnert er. Aus Sicht der russischen Bevölkerung verlaufe der Krieg erfolgreich.

Über den Experten: PD Dr. Martin Koch ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Theorien der Internationalen Beziehungen, Weltgesellschaftsforschung sowie Politische Soziologie.

Verwendete Quellen:

  • Merkur.de: Putins "Dreieinigkeit": Lukaschenko muss nun sogar Russland-Beitritt dementieren – "Wir sind nicht so dumm". 16.04.2022.
  • AP News: The AP Interview: Belarus admits Russia’s war ‘drags on’. 05.05.2022.
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