Donald Trump und Wladimir Putin haben erneut miteinander telefoniert und über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gesprochen. Der US-Präsident und der Kremlchef haben sich auf eine 30-tägige Angriffspause auf ukrainische Energieinfrastruktur geeinigt – auf mehr aber nicht.
Ein wirkliches Entgegenkommen ist das aus Sicht von Sicherheitsexperte Lucian Bumeder nicht. Er sagt: "Die Sorge ist nicht, dass es jetzt nicht zu einem Waffenstillstand kommt."
Keine Waffenruhe im Ukrainekrieg, wohl aber eine Pause von gegenseitigen Angriffen auf Energieinfrastruktur für 30 Tage – ist das das wichtigste Ergebnis des Telefonats von
Lucian Bumeder: Symbolisch schon, ja. Im Kriegsgeschehen hat das aber keine grossen Auswirkungen. Es zeigt jedoch, dass Trump und Putin immerhin irgendeine Art von Arbeitsebene gefunden haben. Es wurden auch Schritte wie Verhandlungen über sichere Schifffahrt im Schwarzen Meer, gemeinsame Eishockey-Spiele zwischen Russland und den USA sowie das Einsetzen von Expertengruppen angekündigt. Das gibt ein bisschen Raum, um mehr Details vorsichtig zu diskutieren – ohne, dass sich die Staatsführer selbst in substanzielle Verhandlungen begeben und damit ein Reputationsrisiko eingehen müssen.
In der Ukraine sterben täglich Menschen und Putin und Trump sprechen über Eishockey. Wie muss das in Kiew ankommen?
Absurd, wie so vieles der bisherigen Trump-Politik, auch wenn die Idee von Putin ausging. Aber das ist eine Idee am Rande, die später aufgegriffen werden kann oder nicht.
Wie gross war das Entgegenkommen der Russen durch die Bereitschaft zu einer Angriffspause auf Energieinfrastruktur?
Das hat den Kreml keine Überwindung gekostet. Russland hat auch früher schon Raketen eine Zeit lang aufgespart und dann als konzentrierte Salve eingesetzt. So ein Abkommen ist letzten Sommer schon beinahe zustande gekommen. Das war ein Entgegenkommen, das man Trump geben musste, weil für ihn irgendeine Art von Einigung relevant war. Er hat mit grossem Drama Selenskyj in die Position gezwungen, dass er offen für einen Waffenstellstand ist. Da musste jetzt irgendein formales Ergebnis erzielt werden.
Putin hatte zuletzt bereits auf den Vorschlag einer Waffenruhe zurückhaltend reagiert. Schindet er gerade Zeit?
Russland ist gerade militärisch noch am Vorrücken. Aber das Vorrücken ist sehr begrenzt, die Verhandlungsposition wird sich nicht dramatisch verändern. Aber daher war klar, dass es jetzt nicht zu einem vollständigen Waffenstillstand kommt. Es bleibt trotzdem dabei: Die wichtigsten Ziele erreicht Putin nicht militärisch in der Ukraine – auch nicht in den nächsten Monaten.
Sondern?
Sondern in Verhandlungen mit Trump. Deshalb hat Putin eigentlich auch keinen Grund, endlos Zeit zu schinden.
Trump hat vorab geäussert, viele Elemente eines endgültigen Deals seien schon vereinbart. Aber viel sei auch noch offen. Was sind denn diese offenen Punkte?
Es sind noch sehr viele Punkte offen, vor allem die wichtigsten. Dabei geht es um die Frage der Anerkennung der Territorien von beiden Seiten. Es geht um die Frage des Ausmasses westlicher militärischer Unterstützung für die Ukraine und damit der zukünftigen Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine. Und es geht natürlich um die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und gegebenenfalls eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im Energiebereich, die Putin gerne hätte. Bei all diesen Punkten ist Europa essenziell beteiligt.
Trump ist zuletzt dafür kritisiert worden, dass er fast ausschliesslich von der Ukraine Zugeständnisse fordert. Hat sich daran jetzt was geändert?
Öffentlich nicht. Ob in den Verhandlungen selbst andere Forderungen gestellt wurden, lässt sich nicht sagen. Das wird irgendwann durchdringen, wenn die Verhandlungen fortschreiten. Bisher war der Modus eher, auf bilateraler Ebene zu illustrieren, was für Möglichkeiten der Zusammenarbeit es gibt – von einer Anerkennung der Krim durch die USA über eine Zusammenarbeit beim Nuklearprogramm Irans oder neue Wirtschaftskooperationen in der Arktis.
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Experte: Donald Trump hat "russische Narrative übernommen"
Macht sich Trump gerade zum Erfüllungsgehilfen des Kremlchefs?
Er hat auf jeden Fall russische Narrative übernommen und dadurch enorme Zweifel innerhalb der westlichen Allianz geweckt. Andererseits war das Resultat davon, dass europäische Verteidigungsausgaben massiv angestiegen sind – und das wollte Putin sicher nicht. Und Trump hat zumindest jetzt der russischen Kernforderung nach einem Ende der Waffenlieferung an die Ukraine nicht nachgegeben. Viel wird davon abhängen, wie die weiteren Verhandlungen verlaufen und wen Trump für ein mögliches Scheitern verantwortlich macht.
Was ist denn zu erwarten, wie es jetzt weitergeht – warten wir jetzt auf ein drittes Telefonat?
Trump ist ein ungeduldiger Mensch. Zeitlich ist ein nächster grosser Schritt innerhalb des nächsten Monats zu erwarten – vermutlich mit Fotogelegenheiten. Ein Deal im Bereich des Schwarzen Meeres scheint möglich. Möglich ist auch irgendeine Art symbolisches Treffen zwischen den Präsidenten ohne substanzielle Diskussionen, etwa im Rahmen einer internationalen Veranstaltung.
Europa hat zuletzt immer wieder am Katzentisch gesessen. Kann es vor dem Hintergrund dieses jetzigen Telefonats daran noch etwas ändern?
Die wichtigsten Entscheidungen sind gefallen, unter anderem heute im Bundestag. Europa ist nun in der Lage, sehr viel mehr Geld für Verteidigung auszugeben und wird das nach dem Verhalten Trumps im letzten Monat auch tun. Das wird sich in europäischen Armeen manifestieren, allerdings erst in einigen Jahren. Es zeigt sich aber auch bereits jetzt in der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit und Rüstungsindustrie.
Was heisst das konkret?
Es wird ein Vielfaches an Drohnen und Munition in der Ukraine oder in Europa produziert, als es zu Beginn des Krieges der Fall war. Das trägt sehr stark dazu bei, dass die Ukraine sich aktuell immer noch erfolgreich gegen Russland verteidigen kann.
Ist ein Beitritt der Ukraine zur NATO noch realistisch?
Die Ukraine fordern weiterhin perspektivisch einen Beitritt zur NATO. Wie realistisch ist das noch?
Das ist nicht mehr realistisch und das war es auch schon länger nicht mehr. Die Ukraine hält an dieser Position fest, weil es ihre Verhandlungsposition stärkt. Zumindest symbolisch könnte sie es irgendwann in Verhandlungen gegenüber Russland einbringen oder gegenüber der EU für moralischen Druck einsetzen.
Trump und Putin wollen auch über Territorien und Grenzverläufe verhandeln. Aber die wichtigste Frage für die Ukraine bleibt offen: Wie werden diese Grenzen geschützt?
Ja, das ist einer der sehr schwierigen Punkte, die in den Verhandlungen noch gar nicht adressiert wurden. Selbst eine unilaterale Anerkennung der USA von gewissen Gebieten – worüber sich der Kreml stark freuen würde – würde nicht direkt zur Beilegung des Kriegs oder des darüberhinausgehenden Konflikts beitragen. Die grosse Sorge der Ukraine ist nicht, dass es jetzt nicht zu einem Waffenstillstand kommt. Die grössere Sorge ist, dass es zu einem Waffenstillstand kommt, der dann gebrochen wird, wenn die Ukraine ihre Verteidigung ein Stück weit demobilisiert hat – und dann mit neuer russischer militärischer Stärke und weniger Aufmerksamkeit und Unterstützung aus Europa und USA.
Wie verhindert man das?
Einerseits durch strukturelle Unterstützung für Ukraine, sowohl im Sinne des Wiederaufbaus als auch im weiteren Aufbau von Militär- und Rüstungsindustrie. Andererseits durch direkte militärische Sanktionsmechanismen, die in eine Einigung, die jetzt getroffen wird, mit eingebaut werden.
Es heisst immer wieder: Der Angriff auf die Ukraine dürfe sich für Putin nicht lohnen, damit sein Modell keine Schule macht. Welches Fazit dürfte Putin da derzeit ziehen?
Ob sich der Angriff in seiner Kosten-Nutzen-Kalkulation gelohnt hat, wird sich erst noch abzeichnen. Denn es kommt darauf an, wie er im Anschluss die Machtbeziehung zwischen Europa und Russland wahrnimmt. Kommt es schlussendlich durch den Riss mit den USA zu einer grossen und effektiven Aufrüstung in Europa und einer stärker geeinten strategischen Position, wird Putin das nicht als Erfolg werten. Seine Bewertung dürfte auch stark von der wirtschaftlichen Reintegration abhängen.
Über den Experten
- Lucian Bumeder arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert und forscht zu konventioneller und nuklearer Rüstungskontrolle in Europa sowie zu russischer Aussen- und Sicherheitspolitik.