Die russische Wirtschaft hat die westlichen Sanktionen lange Zeit gut weggesteckt. Nun zeichnen sich Risse ab: Die Inflation und der Wertverlust des Rubels verändern die Lage im Land spürbar. Wie lange hält die russische Wirtschaft noch durch? Aus Sicht von Ökonom Michael Rochlitz hängt das vor allem von einem Faktor ab.

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Die russische Wirtschaft steht zunehmend unter Druck: In den letzten Tagen und Wochen ist die russische Währung abgestürzt und hat den niedrigsten Stand seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 erreicht. Gleichzeitig liegt das Niveau des Leitzinses inzwischen bei über 20 Prozent, die Preise für Russinnen und Russen in den Supermärkten steigen immer weiter.

Hand in Hand mit dem Währungsverfall geht die Inflation in Russland. Die staatliche Behörde Rosstat gibt die Preissteigerung offiziell mit 8,8 Prozent an – laut dem unabhängigen Marktforschungsinstitut Romir sind die Preise für Güter des täglichen Bedarfs um etwa 22 Prozent gestiegen.

Importe werden immer teurer

"Russlands Wirtschaft war in den ersten zwei Jahren des Kriegs erstaunlich resilient", blickt Wirtschaftsexperte Michael Rochlitz zurück. Die Zentralbank habe dem damaligen Währungsverfall des Rubels kompetent entgegengesteuert, ausserdem habe Russland es relativ schnell geschafft, seine Exporte mit Rohstoffen umzuleiten und sein Öl und Gas anderswo zu verkaufen.

Ausserdem seien viele russische Firmen eingesprungen, als zahlreiche Unternehmen das Land verliessen. "Wer damals meinte, es kommt direkt zu einem Crash, hatte zu hohe Erwartungen", so der Experte.

Nun aber brächten gleich mehrere Faktoren die russische Wirtschaft ins Straucheln: "Der Wertverfall des Rubels macht es für Russland schwieriger, Dinge zu importieren. Je schwächer der Rubel ist, desto teurer werden Importe aus dem Ausland und desto billiger werden russische Exporte ins Ausland", erklärt Rochlitz.

Wirtschaft läuft heiss

Viele qualifizierte Arbeitskräfte haben das Land verlassen oder sind an der Front. Dadurch herrscht zwar fast Vollbeschäftigung und die Gehälter sind, zumindest bei kriegsrelevanten Firmen, in den letzten Jahren gestiegen – aber eben auch die Inflation. Denn die gestiegenen Löhne steigern wiederum die Nachfrage nach Gütern.

"Die Wirtschaft läuft dadurch derzeit ein bisschen heiss", meint Rochlitz. Die Zentralbank versuche dem Anstieg der Inflation mit hohen Zinsen gegenzusteuern – das mache es aber gerade privaten Firmen immer schwerer, Geld zu investieren.

Noch boome die Wirtschaft in einigen Sektoren, sei aber auch sehr fragil. "Ab Ende 2022 hat der russische Staat massiv investiert, es gab einen grossen Investitionsschub in den Rüstungssektor", erinnert Rochlitz.

Zentralbank kommt an Grenzen

Seit Putin 2012 als Präsident zurückgekommen ist und Elwira Nabiullina als Zentralbankchefin eingesetzt hat, habe die Zentralbank immer eine sehr konservative Politik gefahren. "Man hat immer eher weniger Geld in die Wirtschaft gepumpt, als möglich gewesen wäre. Dadurch hat Russland Reserven aufgebaut – diese konnten dann verwendet werden, um ab 2022 zu investieren", so der Experte.

"Wir erleben zum ersten Mal, dass der Versuch der Zentralbank, die Situation zu managen, immer fragiler wird", meint Rochlitz. Die Zielsetzung der Zentralbank, die gesamte Geldnehmung im Land durch die hohen Zinsen zu senken, laufe den hohen staatlichen Ausgaben entgegen. "Der russische Staat pumpt weiterhin Geld in die Wirtschaft. Die Zentralbank versucht das zu kontrollieren. Langfristig ist das problematisch", sagt der Experte.

Neue Sanktionen verhängt

Die Zentralbank habe in der jetzigen Situation keinen grossen Handlungsspielraum. "Es fehlt ihr an weiteren ausländischen Währungsreserven, um den Rubel aufzukaufen", sagt Rochlitz. Die Dollar und Euro, die Russland von den westlichen Staaten vormals für sein Öl und Gas bekommen hat, bekommt es heute nicht mehr – sondern stattdessen indische Rupien.

Denn die Isolation von den Weltmärkten schreitet durch neue Sanktionen weiter voran. Die jüngsten westlichen Sanktionen nehmen vor allem die Gazprombank in den Blick. Diese wickelt den Gashandel für Gazprom ab und ist in den gesamten russischen Aussenhandel involviert.

Auch die VTB Shanghai, die für Russland einen Zugang zum chinesischen Markt bietet, ist von den Sanktionen betroffen.

China und Indien als Schlüsselfaktoren

"Auch, wenn die Wirtschaft in manchen Sektoren noch boomt, ist sie sehr fragil. Russlands Stabilität hängt vor allem davon ab, dass Länder wie China oder Indien weiter die russischen Rohstoffe einkaufen", sagt Rochlitz.

Weil die Rohstoffe durch den schwachen Rubel nun noch einmal günstiger geworden sind, könne man die Abnehmerländer nur schwer davon abbringen. Durch die Sanktionen zahle Russland bei allen möglichen Gütern obendrauf. Man könne Hochtechnologie-Güter oder Ersatzteile für Flugzeuge zwar über Umwege noch beschaffen, aber zu einem teureren Preis. Das betrifft auch Güter wie Fahrzeuge. Hier können die Chinesen die Preise diktieren.

"China nimmt zwar weiterhin gerne Öl und Gas ab, hält sich aber auch zurück. Rhetorisch gibt es eine starke Unterstützung von China für Russland, aber militärisch sehen wir das nicht", beobachtet Rochlitz. Auch mit Krediten an russische Firmen würden sich chinesische Banken zurückhalten. "Das ist einer der Gründe, warum Putin sich Richtung Nordkorea wenden musste, um beispielsweise Munition einzukaufen", sagt Rochlitz.

Für China sei Russland kein besonders grosser Absatzmarkt. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten seien für China viel wichtiger. "Daran denkt Peking eben auch, bevor man jetzt Russland ohne Wenn und Aber unterstützt", meint er.

Protestpotenzial im Land

Abhängen wird die Stabilität des Landes auch davon, wie sehr die Menschen in Russland diese "Krise" zu spüren bekommen. Das Versprechen, der Krieg koste die russischen Bürger nichts, ist längst nicht mehr haltbar.

"Bis jetzt hat der Krieg den Menschen in Russland wirtschaftlich eher genutzt als geschadet. Durch die starke Nachfrage an Arbeitskräften sind die Gehälter schneller gewachsen als die Inflation und die Menschen hatten in den letzten zwei Jahren mehr Geld zur Verfügung als zuvor", sagt Rochlitz.

Das scheine sich nun zu ändern. "Die Hypotheken sind bereits deutlich gestiegen. Sie sind nicht mehr bei acht Prozent, sondern zwischen 20 und 30 Prozent. Es ist plötzlich viel riskanter und viel teurer, Wohnraum zu finanzieren", beschreibt Rochlitz.

2025 als Schlüsseljahr

Mögliche langfristige Auswirkungen dieser Entwicklung seien schwierig vorherzusagen. "Es gibt mittlerweile in Russland eine komplette Überwachung aller Medien. Es ist für Menschen schwierig, sich zu koordinieren und Proteste zu organisieren. Es gibt keine politische Opposition mehr im Land. Aber, wenn sich die wirtschaftliche Lage wirklich spürbar verschlechtert, kann alles Mögliche passieren", sagt Rochlitz.

Bereits 2020 habe Putin einen Gouverneur in der Region Chabarowsk im Osten Russlands festnehmen lassen, weil er ihm zu populär wurde. Damals gab es unerwartet monatelang Proteste. "Das hat der Staat so nicht vorhergesehen. Deswegen ist das Potenzial für Proteste immer da", meint der Experte.

Das Jahr 2025 werde ein Schlüsseljahr sein. Die Sanktionen, die eher langfristig wirken, könnten dann verstärkt greifen. "Es hängt aber auch vom politischen Willen im Westen ab – gerade, wenn Trump nun wieder an die Macht kommt", so Rochlitz. Denn dieser könnte Putin und seiner Wirtschaft eine Verschnaufpause verschaffen.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. Michael Rochlitz ist Ökonom und lehrt an der University of Oxford. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Wirtschaft von Russland, Osteuropa und Eurasien.
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