• Putins Angriff auf die Ukraine hat Auswirkungen für Länder rund um den Globus.
  • Von London bis nach Taiwan sind die Folgen weitreichend und teilweise sehr unterschiedlich - ein Überblick.

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Aus der ganzen Welt verfolgen Menschen die Schrecken des Krieges in der Ukraine. Doch hat der Krieg auch Auswirkungen für viele von ihnen. Die Folgen sind so weitreichend wie unüberschaubar. Ein Überblick - von London über Los Angeles bis nach Taiwan.

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Afrikanische Union: Kein Schulterschluss mit dem Westen

Kenia und andere Staaten auf dem afrikanischen Kontinent werden die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs deutlich zu spüren bekommen. Sie beziehen einen Grossteil ihres Weizens, aber auch Mais und anderes Getreide aus Russland und der Ukraine. Nach langen Dürren in der Region sind diese Hauptnahrungsmittel sowieso schon knapp und teuer. Der Krieg könnte die Lage weiter verschärfen.

Auf der anderen Seite steht die Hoffnung einiger Länder, zu neuen Energielieferanten aufzusteigen, etwa für Flüssiggas. Dennoch: Auch wenn die Afrikanische Union den Krieg in der Ukraine verurteilt hat, wird sich der Kontinent nicht komplett dem Westen anschliessen. Moskau versucht seit einigen Jahren, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten auszubauen. Etliche Länder beziehen schon jetzt einen Teil ihrer Waffen aus Russland.

Taiwan: Weckruf von der anderen Seite der Welt

Zwar findet der Ukraine-Krieg am anderen Ende der Welt statt, doch die Menschen in Taiwan verfolgen ihn besonders aufmerksam. Die Frage ist: Könnte Russlands Vorgehen eine Blaupause für einen möglichen chinesischen Angriff sein? Schliesslich behält sich Xi Jinping die Möglichkeit militärischer Gewalt ausdrücklich vor. Chinas Beharren, die Taiwan-Frage sei eine innere Angelegenheit, soll internationalem Eingreifen vorbeugen. Ob die russische Invasion in der Ukraine einen solchen Angriff wahrscheinlicher macht oder gerade nicht, dazu gehen die Meinungen auseinander.

Die Reaktion des Westens macht Hoffnung, dass auch eine Invasion Taiwans – das für die Weltwirtschaft bedeutender ist als die Ukraine – nicht einfach hingenommen würde, wie Beobachter hoffen. Doch der Kampf der Ukrainer zeigt auch, wie wichtig im Ernstfall Entschlossenheit und Opferbereitschaft wären. An der Verteidigungsbereitschaft von Taiwans Armee gibt es Zweifel. Taiwans Bevölkerung ist durch Jahrzehnte chinesischer Drohungen abgestumpft – der Krieg in der Ukraine könnte sie wachrütteln.

Kalifornien: Solidarität mit der Ukraine

Kalifornien unterstützt US-Präsident Joe Bidens Sanktionen gegen Russland. Die Solidarität mit der Ukraine ist im Bundesstaat grösser als der Frust über steigende Benzinpreise und die Angst vor Cyber-Attacken auf Häfen oder Hollywood.

Mehr als 20.000 Hafenarbeiter an der Westküste weigern sich seit Tagen, Containerschiffe, die unter russischer Flagge fahren, zu entladen. Mehr als 112.000 Menschen mit ukrainischem Hintergrund leben in Kalifornien. Die kalifornische Nationalgarde trainiert seit fast drei Jahrzehnten mit ukrainischen Kräften und hat vor Ort Kampfpiloten ausgebildet.

Gouverneur Gavin Newsom wies alle öffentlichen Institutionen – von Universitäten bis zu Pensionskassen – an, wirtschaftliche Beziehungen mit Moskau abzubrechen. In seiner "State of the State"-Rede am 8. März verurteilte der Gouverneur erneut die russische Invasion als dreist und gesetzeswidrig. "Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit", warnte er mit Blick auf politische Spaltungen in den USA. Autoritäre Impulse gebe es nicht nur anderswo.

Grossbritannien: Das Ende von Londongrad?

London ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem Lieblings-Exil für Kreml-nahe Oligarchen geworden – man hat der Stadt deshalb den Spitznamen Londongrad gegeben. Anti-Korruptionskampagnen schätzen, dass in Grossbritannien rund 1,5 Milliarden Pfund schmutziges russisches Geld liegen. Damit soll jetzt Schluss sein. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine kündigte die britische Regierung an, den Putin-Unterstützern in Grossbritannien den Geldhahn zuzudrehen.

Sie hat nicht zuletzt die luxuriösen Immobilien der Oligarchen im Visier: Es wird erwogen, die Villen zu beschlagnahmen und daraus Unterkünfte für ukrainische Flüchtlinge zu machen. Kritiker bezweifeln, dass sich die Kehrtwende so schnell vollziehen lässt. Denn vom Geschäftsmodell der Oligarchen profitieren eine ganze Reihe von Akteuren in London – Immobilienmakler genauso wie Banker, Anwälte oder Wirtschaftsprüfer.

Südafrika: Keine Verurteilung der russischen Invasion

Südafrika gehört zu den 35 Ländern, die sich bei der Abstimmung über die Resolution der UN-Vollversammlung enthalten haben. So wie auch andere Länder dieser Region, wie Angola, Namibia, Simbabwe und Mosambik. Für diese Haltung gibt es historische Gründe: etwa die sowjetische Unterstützung im Kampf gegen die Apartheid sowie in den Unabhängigkeits- und Bürgerkriegen.

Auch wirtschaftliche Verbindungen sowie Südafrikas Mitgliedschaft in der BRICS-Staatengruppe spielen eine Rolle. Die Regierung setzt auf Verhandlungen und eine Vermittlungslösung. Scharfe Kritik an dieser "neutralen" Haltung kommt von der politischen Opposition und Stiftungen in Südafrika. Diese betonen, das Recht auf nationale Selbstbestimmung sei unantastbar und müsse verteidigt werden.

Indonesien: Gestrandete Touristen und Nickel-Boom

Auf Bali haben russische und ukrainische Touristen und Touristinnen gemeinsam gegen den Krieg zwischen ihren Ländern demonstriert. Mehr als tausend sitzen auf der Ferieninsel fest – in die Ukraine gibt es keine Flüge mehr und Russen kommen wegen des SWIFT-Ausschlusses ihres Landes nicht mehr an Bargeld. Indonesien hat die russische Invasion zwar klar verurteilt, schreckt vor Sanktionen aber zurück.

Neben den Folgen für den durch Corona sowieso stark angeschlagenen Tourismus fürchtet Indonesien Versorgungsengpässe durch steigende Öl- und Weizenpreise: Indonesien ist der zweitgrösste Importeur von ukrainischem Weizen. Andererseits ist Russland ein wichtiger Abnehmer für indonesisches Palmöl und grösster Waffenlieferant für das indonesische Militär. Vorteile von der Krise versprechen sich lediglich die Nickel-Produzenten, weil Russland nun als einer der wichtigsten Exporteure des gefragten Industriemetalls ausfällt.

Österreich: Debatte um "immerwährende Neutralität"

Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist in Österreich jetzt wieder die Debatte um die "immerwährende Neutralität" aufgeflammt. Vorausgegangen waren Verbalattacken des russischen Aussenministeriums, wonach Österreich "antirussische Rhetorik" betreibe. Die Mehrheit der Österreicher steht zur Neutralität, die seit dem 26. Oktober 1955 gilt, als das russische Militär aus dem besetzten Land abzog.

Die Neutralität ist allerdings nicht zuletzt durch die EU-Mitgliedschaft immer mehr ausgehöhlt worden. "Ist es nicht allzu bequem, sich in der Neutralität zu sonnen, während militärisch gut gerüstete Nachbarn das kleine Österreich beschützen?", sagen Kritiker. Bundeskanzler Karl Nehammer fand zu der Debatte klare Worte: "Österreich war neutral, Österreich ist neutral und Österreich wird auch neutral bleiben."

Tunesien: Leere Regale

In Tunesien stehen die Menschen vor den Bäckereien Schlange, die Regale im Supermarkt sind leer. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verschärft bereits existierende Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln. Denn Tunesien bezieht mehr als die Hälfte seiner Getreidevorräte aus den beiden Ländern.

Die Corona-Pandemie, ausbleibende Touristen und damit Devisen und steigende Weltmarktpreise für Weizen und Düngemittel haben ihr Übriges dazu beigetragen, dass die Regale oft leer bleiben und subventionierte Waren wie Nudeln, Mehl, Zucker und Öl jetzt rationiert werden. Zwar versicherte das tunesische Landwirtschaftsministerium vergangene Woche, der Bedarf des Landes an Weizen sei bis Mai gedeckt, der an Gerste bis Juni. Doch die Ungewissheit, was danach kommt, macht vielen Menschen Sorge.

Mexiko: Keine Intervention im Ausland

"Wir sind Pazifisten", begründete Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador, warum er die Bitte ukrainischer Abgeordneter ablehnte, Waffen zu schicken. Auch mit Blick auf Sanktionen ist die mexikanische Regierung zurückhaltend. Man werde sich nur unumgänglichen internationalen Restriktionen anschliessen, sagte der Staatschef.

Die Haltung des Präsidenten ist vor allem seiner Abneigung gegenüber jeglicher ausländischer Intervention geschuldet. Ganz frei kann er aber nicht entscheiden. Die USA sind mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Sollte der nördliche Nachbar Druck machen, wird man sich den Vorgaben aus Washington beugen müssen.

Die wirtschaftliche Bedeutung Russlands in Mexiko ist eigentlich gering, obwohl russische Investitionen und der Tourismus zugenommen haben. Doch den Bauern des Landes könnte ein heftiger Ernteausfall drohen. Schon in den letzten Jahren ist der Düngemittelpreis massiv gestiegen. Nun könnte es eine weitere Preissteigerung geben, da Mexiko die Hälfte des Düngers aus Russland und der Ukraine bezieht.

Mitarbeit aus dem Team der Weltreporter: Bettina Rühl aus Kenia, Klaus Bardenhagen aus Taiwan, Kerstin Zilm aus Kalifornien/USA, Peter Stäuber aus Grossbritannien, Leonie March aus Indonesien, Christina Schott aus Indonesien, Alexander Musik aus Österreich, Sarah Mersch aus Tunesien.
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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