- Nicht nur Russland reagiert im Krieg mit Zensur und anderen Einschränkungen, auch die Europäische Union erlässt Verbote.
- Eine Expertin der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen sieht das kritisch.
- Sie sagt, aktuell würde oft sehr kurzfristig reagiert, was zu schlechten Entscheidungen führe.
Russland reagiert in der aktuellen Lage mit Zensur und Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Aber auch Europa erlässt Verbote. Wie beurteilen Sie diese?
Lisa Dittmer: Die prominentesten Massnahmen, die derzeit diskutiert werden, sind die Sanktionen seitens der EU-Kommission, die jegliche Verbreitung der Sender RT und Sputnik auf analogen und digitalen Kanälen verbieten. Wir als NGO haben scharf davor gewarnt, das Ganze zu vereinfacht zu betrachten. Es geht um eine Kosten-Nutzen-Analyse. Wie sehr beeinflussen die Sender europäische Nutzer wirklich? Wie hoch ist der Preis, den internationale beziehungsweise frei arbeitende Medien in Russland dafür zahlen? Selbstverständlich besteht aber ein grosser Unterschied darin, welche Möglichkeiten RT in Europa und auf der anderen Seite westliche Medien in Russland haben, gerichtlich gegen so ein Verbot vorzugehen.
Das politische Klima dreht sich gerade aber in eine sehr problematische Richtung, in der einfache Antworten auf Desinformation gesucht werden, die oft - glaube ich - fehlschlagen werden.
Was wären Ihrer Einschätzung nach angemessene Antworten?
Die Frage ist: Antwortet man mit konstruktiven Lösungen oder mit diesen sehr drastischen Sanktionsmechanismen, die im schlimmsten Fall autoritären Regimen in die Hände spielen? Die können dann umso leichter sagen: Wenn die Staaten in Europa unsere Medien verbieten, dann verbieten wir auch ihre.
Es wäre schon ein Schritt getan, wenn wir einen besseren Mechanismus etwa auf EU-Ebene finden könnten, um klar zu definieren, welche Akteure zu welcher Zeit entsprechende Entscheidungen treffen können. Die EU-Kommission ist ja die Exekutive und es ist immer problematisch, wenn Regierungen anfangen, Informationen zu verbieten. Stattdessen sollten die Medienaufsichtsbehörden eine eindeutigere Rolle in solchen Entscheidungsprozessen bekommen. Bisher gibt es Regeln und Prozesse für die Vergabe von Sendelizenzen, aber nur wenige Möglichkeiten, im digitalen Raum aktiv zu werden. Mittendrin stehen die grossen Plattformen als Privatunternehmen, die ihre ganz eigenen Entscheidungen treffen und wenig transparent sein müssen.
"Wer sollte einordnen, was Desinformation ist und was nicht?"
Der EU-Aussenbeauftragte kündigte an, er werde einen "Mechanismus" vorschlagen, der erlaubt, Sanktionen gegen "Desinformationsakteure" zu verhängen. Ist das sinnvoll?
Da wird gerade viel angekündigt, was sich kurzfristig sicherlich nicht umsetzen lassen wird. Desinformation ist in den allermeisten Fällen nicht rechtswidrig. Vieles, was vor allem RT macht, ist schwer einzuordnen, weil der Sender gezielt Inhalte im falschen Kontext darstellt, aber nicht unbedingt klare Unwahrheiten verbreitet – was aber auch vorkommt. Die Grundsatzfrage, die man sich in dieser Debatte stellen muss, ist: Wer sollte einordnen, was Desinformation ist und was nicht? Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gab es in Ungarn und Griechenland Gesetzesinitiativen, die die Verbreitung von falschen Informationen, die sich negativ auf die Gesellschaft auswirken, der "öffentlichen Gesundheit" Schaden zufügen oder Menschen in Angst versetzen, kriminalisiert.
Das ist höchst problematisch, denn wer entscheidet dann, was die Wahrheit ist und was die Grenze zur Desinformation überschreitet? Da fände ich konstruktive Lösungen besser: in Bildung investieren. Plattformen verpflichten, vertrauenswürdige Quellen sichtbarer zu machen. Es ist eine sehr paternalistische Sicht auf Menschen, zu sagen: Wir enthalten ihnen Informationen, die schädlich sein könnten, besser vor, statt darüber zu sprechen, was vertrauenswürdige Quellen ausmacht.
Meta, der Konzern hinter Facebook und Instagram, erlaubt Nutzern in mehreren Ländern vorübergehend Gewaltaufrufe gegen nicht-zivile Personen aus Russland und Mordaufrufe gegen Wladimir Putin und den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Was halten Sie davon?
Das ist ein Beispiel dafür, wie sehr das, was man im Netz sagen kann, von Plattformen bestimmt wird, die in kleinen Teams Richtlinien setzen, die Politik massiv beeinflussen. Es ist ausserdem eine massive Eskalation dessen, was Russland als Informationskrieg bezeichnet. Der wird, so wie es gerade aussieht, nur weiter zunehmen, je drastischer die Massnahmen auf beiden Seiten sind.
Wer könnte da vermitteln?
Es wäre sinnvoll, wenn grosse Plattformen wie Facebook stärker mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und sich externen Rat einholen dazu, was in dieser Situation klug ist. Wir sehen aktuell, dass oft sehr kurzfristig reagiert wird und dabei schlechte Entscheidungen herauskommen.
"Es muss möglich sein, eine informierte Debatte über Desinformation zu führen"
Zum Teil beschweren sich auch Forscher, dass die Zensur russischer Kanäle sie bei ihrer Arbeit behindere.
Die EU-Kommission hat sich einer Mail direkt an die grossen Plattformen gewendet hat und sie angewiesen, auch jegliche Äusserungen, die RT-Inhalte wiedergeben, zu sperren - sofern sie nicht von Medien kommen, die diese eindeutig als Desinformation bezeichnen. Für die Wissenschaft ist das ein katastrophales Signal. Es muss möglich sein, eine informierte Debatte über Desinformation zu führen und dafür müssen Menschen in der Lage sein, zu verfolgen, wie kommuniziert wird. Das ist sonst ein grosser Eingriff in die Informationsfreiheit und noch schlimmer ist, wenn infrage gestellt wird, ob Wissenschaft und Medien überhaupt selbst einordnen können, wie die Gegenseite denkt und was sie verbreitet.
Als Reaktion auf die Ankündigung von Meta soll der Konzern in Russland als "extremistische Organisation" eingestuft werden, Belarus wiederum hat Inhalte der Deutschen Welle als "extremistisches Material" eingestuft. Was droht da noch?
Derzeit gibt es immer noch frei arbeitende Medien in Russland. Es ist gut möglich, dass auch die noch zensiert und ausländische Medienschaffende ausgewiesen werden. Instagram und WhatsApp werden als Nächstes blockiert, für die Russen ist zudem Telegram wahnsinnig wichtig. Die Regierung hat schon mal versucht, es zu verbieten, ist aber gescheitert. Auch YouTube ist noch nicht blockiert und dort eine sehr wichtige Quelle. Man sieht, dass immer mehr Tore für unabhängige Informationen geschlossen werden.
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