Kremlchef Wladimir Putin hat dem rechtskonservativen und Verschwörungstheorien verbreitenden US-Journalisten Tucker Carlson ein über zweistündiges Interview gegeben. Darin wärmte Putin alte Narrative auf und gab sich verhandlungsbereit. Doch das Entscheidende stand zwischen den Zeilen, meint Politikwissenschaftler Tobias Fella. Er erklärt, welchem Kalkül das Interview folgt und welchen Schluss auch Deutschland daraus ziehen muss.
Für Politikwissenschaftler Tobias Fella ist es eindeutig: Das Interview, das in Moskau zwischen Wladimir Putin und dem ehemaligen Fox-Journalisten Tucker Carlson stattgefunden hat, ist vor allem eins: "strategische Kommunikation". Beide Seiten hätten ihren Nutzen aus der Begegnung gezogen.
Veröffentlicht worden war das über zweistündige Gespräch zwischen dem rechtskonservativen US-Journalisten und dem Kremlchef zur besten Sendezeit in den USA. Tucker Carlson, der beim Sender "Fox News" gefeuert worden war und für das Verbreiten von Fake News und Verschwörungstheorien bekannt ist, hatte das Interview bereits Tage vorher angekündigt.
Carlson als Stichwortgeber
Dass
Putin habe Carlson vor allem als Steigbügelhalter genutzt, um ein rechtes, konservatives Publikum in den USA zu erreichen. "Putin will die anderen USA erreichen: nicht die Biden-USA, nicht die New Yorker, nicht die Progressiv-Liberalen, sondern die anderen, die konservativ-republikanischen USA, mit der man mehr Überschneidungspunkte und Räume für Kooperation und Dialog sieht", sagt Fella. Das solle Bidens Politik unterminieren.
Putin will Trump als US-Präsident
Putin habe bewusst Bezug auf die US-Innenpolitik genommen. "Er hat die konservative Erzählung bedient, die Amerikaner würden zu viel Geld in die Ukraine für Waffenlieferungen schicken. Geld würde verpulvert, obwohl die USA andere Probleme hätten, zum Beispiel Migration, Staatsverschuldung, Grenzsicherung", erklärt der Experte.
Das Ziel Putins: Die Vergrösserung der Spaltungen in den westlichen Ländern, weiter bröckelnde Unterstützung für die Ukraine. "Auch hierzulande gibt es die Erzählung, im Westen würden abgehobene Eliten eine Politik machen, die dem Volk nichts nützen und unter anderem zu hohen Energiepreisen führt. Diese Ansicht bedienen Tucker Carlson, Trump und Putin", analysiert Fella. Putin glaube, dass er mit einem Präsidenten Trump bessere Karten habe, seine Ziele zu erreichen.
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Bewusst habe sich Putin in dem Interview mit Drohungen an die USA zurückgehalten. "Putin behauptet, der Westen übertreibe die Bedrohung durch Russland masslos, damit seine angeblich abgehobenen Eliten die Hilfen für die Ukraine rechtfertigen können", sagt der Experte. Wenn sich ein im Westen vorhandener Unmut in die Wahl von Kreml-freundlicheren Politikern übersetze, nutze das Putin.
Verhandlungen mit Washington
Dass der Kreml einen US-Journalisten eingeladen hat, der mit dem Interview ein Millionenpublikum erreichte, zeigt aus Fellas Sicht aber auch, wie stark Russland noch immer auf die USA blickt. "Einerseits gelten die USA als Wurzel allen Übels, grösste Gegner und Antagonist, der Russland das verwehrt, was ihm zusteht. Andererseits sind die USA als Supermacht der wichtigste Akteur, von dem Russland sich Anerkennung wünscht."
Es gebe einen Wunsch nach Parität, die USA sollten Russland als Grossmacht mit einer Einflusssphäre anerkennen. "Dass Russland Tucker Carlson zu Besuch hatte, ist also auch Ausdruck davon, wie zentral die USA im russischen geopolitischen Denken sind", sagt Fella.
Deshalb seien es auch die USA, die Putin beim Thema Verhandlungen im Blick hat. "Putin sieht die Ukraine als Satellit, als Mündel der USA und des Westens. Das heisst: In Putins Augen entscheidet konsequent Washington, ob im Ukrainekrieg verhandelt wird - und nicht Kiew", verdeutlicht Fella.
Putin gab sich verhandlungsbereit
Putin habe sich in dem Interview, in dem er über lange Strecken historische Ansprüche rechtfertigen wollte und dem Westen Fehler vorwarf, als vernünftiger und verhandlungsbereiter Politiker darzustellen versucht.
"Putin will, dass der Westen erkennt, dass man verhandeln muss und Russland nicht auf dem Schlachtfeld besiegt werden kann", sagt Fella. Russland setze schon seit Langem darauf, dass der Westen an den Punkt komme, an dem er anerkenne: "Für Moskau ist Kiew wichtiger als für Washington oder Berlin."
In dem Interview behauptete Putin auch, ein Einmarsch Russlands in die Nato-Staaten Polen und Lettland stehe im Grunde "komplett ausser Frage". Er würde nur russische Truppen nach Polen schicken "wenn Polen Russland angreift", so der Kreml-Chef. Beobachter warnten bereits davor, Putins Aussagen für bare Münze zu nehmen. Auch Fella erinnert: "Putin hat auch schon einmal gesagt, dass grüne Männchen auf der Krim keine russischen Soldaten sind, um sie später als solche preiszugeben."
Selbstbewusster Auftritt
Dabei habe der Kremlchef insgesamt sehr selbstbewusst auftreten können. "Putin hat die Hoffnung, dass sich unter Trump vieles zu seinen Gunsten ändert, und will das jetzt vorbereiten. Deshalb ergibt es aus russischer Sicht Sinn, das Interview zu führen und sich dabei souverän und gleichermassen verhandlungsbereit zu zeigen", sagt der Experte.
"Strategisch ist der Zeitpunkt für das Interview gut gewählt", sagt Fella. Putin sehe derzeit ein Möglichkeitsfenster im Hinblick auf die Ukraine, denn das Land gehe in die Defensive, habe Munitionsknappheiten, Probleme mit der Mobilisierung und ein erschöpftes Militär. Zudem würden derzeit US-Ukraine-Hilfen vom US-Kongress blockiert.
Das muss Deutschland aus dem Interview ableiten
Gleichzeitig könne Putin kurz vor den Wahlen in Russland seinem Land selbstbewusst zeigen: "Ich habe alles im Griff. Die Amerikaner gehen auf mich zu. Ich habe den ehemaligen Fox-Star Tucker Carlson zu Gast, und das Interview wird auf "X", der Plattform von Elon Musk, dem reichsten Mann Amerikas, hochgeladen. Es findet eine Zeitenwende statt, und zwar diesmal in den Vereinigten Staaten."
Aus Sicht von Fella muss auch hierzulande eine wichtige Ableitung aus dem Interview getroffen werden: "Die USA sind nicht nur die New York Times, nicht nur die liberale Ost- und Westküste. Das Interview von Carlson verdeutlicht, dass bei den Republikanern der Teil derjenigen, die eine Weltmacht ohne Mission, ohne Verantwortung für andere, wollen, grösser geworden ist."
Auch Deutschland müsse daher erkennen, wie wichtig es sei, die konservativeren Kreise der US-Aussenpolitik zu erschliessen. "Wir müssen die USA ganzheitlicher erschliessen – schon aus Eigeninteresse. Alles andere wäre in der Ära, in der wir an der Schwelle eines neuen, auch nuklearen Rüstungswettlaufes stehen, grob fahrlässig."
Über den Gesprächspartner
- Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er forscht zu Grossmachtbeziehungen im Kontext des Ukrainekriegs.
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