Dutzende Menschen sterben bei einem russischen Raketenangriff auf eine Hochschule und ein Krankenhaus in Poltawa in der Zentralukraine. Präsident Selenskyj reagiert - und fordert erneut bestimmte Waffen. Aber auch die ukrainische Militärführung erntet Kritik.

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Bei einem der verheerendsten russischen Angriffe seit Kriegsbeginn sind in der zentralukrainischen Stadt Poltawa nach ukrainischen Angaben mindestens 50 Menschen getötet worden. Mehr als 200 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, Dmytro Lasutkin, am Dienstag im ukrainischen Fernsehen mit. Der Gouverneur der Region Poltawa, Philip Pronin, bestätigte die Opferzahl. Seinen Angaben zufolge werden noch bis zu 18 Menschen unter den Trümmern vermutet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor von 41 Toten und mehr als 180 Verletzten gesprochen.

Russischen Militärbloggern zufolge zielte der Angriff auf das militärische Ausbildungszentrum der Stadt ab. Nach Angaben von Selenskyj wurden "eine Bildungseinrichtung und ein benachbartes Krankenhaus" in Poltawa von zwei Raketen getroffen.

Wohl mehrere Menschen verschüttet

"Ein Gebäude des Instituts für Kommunikation wurde teilweise zerstört", erklärte Selenskyj im Onlinedienst Telegram. Mehrere Menschen seien verschüttet worden.

Ein AFP-Journalist berichtete, dass mehrere Krankenwagen zum Ort des Angriffs unterwegs waren. In Onlinediensten und örtlichen Medien wurde die Bevölkerung zum Blutspenden und zur Hilfe bei der Versorgung der Verletzten aufgerufen.

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums schlugen die beiden Raketen schon kurz nach dem Beginn des Luftalarms ein, als viele Menschen noch auf dem Weg in die Luftschutzbunker waren. Elf Menschen seien von Rettungskräften aus den Trümmern gezogen worden. Insgesamt konnten demnach 25 Menschen gerettet worden. Die Rettungsarbeiten dauerten noch an, erklärte das Ministerium.

Ukrainischer Militärblogger kritisiert eigene Führung

Poltawa liegt rund 300 Kilometer östlich von Kiew und hatte vor dem Krieg etwa 300.000 Einwohner. Das getroffene militärische Kommunikationszentrum wurde in den 1960er Jahren gegründet, als die Ukraine noch zur Sowjetunion gehörte, und bildet Telekommunikationsspezialisten aus.

Grafik-Karte: "Lokalisierung von Poltawa"
© dpa-infografik GmbH

Russische Militärblogger hatten zuvor berichtet, dass der Angriff einer Militärzeremonie unter freiem Himmel galt. Nach dem Angriff wurde scharfe Kritik an der ukrainischen Militärführung laut, die trotz der Gefährdung durch russische Angriffe derartige Versammlungen zulässt. "Wie kann es sein, dass eine so grosse Anzahl von Menschen in einer solchen Einrichtung zusammenkommen kann?", kritisierte etwa der ukrainische Militärblogger Sergej Naumowich.

Die Parlamentsabgeordnete Mariana Besugla, die dem Verteidigungsausschuss angehört und die ukrainische Militärführung schon oft kritisiert hat, warf hochrangigen Offizieren vor, die Soldaten durch derartige Veranstaltungen zu gefährden. Bei Telegram erklärte sie, es habe in der Vergangenheit schon ähnliche Vorfälle gegeben. Bisher sei aber kein ranghoher Offizier für die Gefährdung der Soldaten bestraft worden.

"Der Feind nutzt jedes Mittel, um der Ukraine mehr Leid zuzufügen und die Ukrainer zu verwirren."

Philip Pronin, Gouverneur von Poltawa

Der Gouverneur von Poltawa, Philip Pronin, erklärte, seine Verwaltung könne aus Sicherheitsgründen keine näheren Angaben zu den Umständen des Angriffs machen. "Der Feind nutzt jedes Mittel, um der Ukraine mehr Leid zuzufügen und die Ukrainer zu verwirren. Bitte vertrauen Sie nur zuverlässigen Quellen", betonte er.

Präsident Selenskyj erklärte, er habe "eine umfassende und schnelle Untersuchung" der Umstände des Angriffs in Poltawa angeordnet. Er kündigte an, Russland "zur Rechenschaft zu ziehen", und forderte die westlichen Verbündeten Kiews erneut auf, seinem Land schnell neue Luftabwehrsysteme zu liefern und bereits gelieferte weitreichende Waffen für Angriffe auf russisches Territorium nutzen zu dürfen.

Erst vergangene Woche war die ukrainische Armee in die Kritik geraten, nachdem ein kurz zuvor vom Westen gelieferter Kampfjet aus US-Produktion vom Typ F-16 abgestürzt war und der Pilot dabei ums Leben kam. Die Ukraine hatte den Westen lange gedrängt, die modernen Kampfjets zu liefern. Der Vorfall war ein schwerer Rückschlag für das Land und führte zur Absetzung von Luftwaffenkommandeur Mykola Oleschtschuk. (afp/bearbeitet von phs)

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