Russlands Ressourcen im Ukraine-Krieg schwinden. Angesichts hoher Verluste und des Widerstands gegen eine neue Mobilisierung greift der Kreml zu umstrittenen Mitteln, um neue Soldaten anzuwerben. Die Rekrutierung verläuft zunehmend subtil und manipulativ, doch die politischen Risiken sind enorm.

Eine Analyse
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Fast drei Jahre Krieg in der Ukraine haben auch Russlands Ressourcen erschöpft, insbesondere an Menschenleben und militärischem Personal. Westliche Geheimdienste schätzen die Zahl der Verwundeten auf bis zu 400.000 und die der Toten auf über 70.000. Zusätzlich soll Russland um die 50.000 Soldaten in Kursk stationiert haben, um den ukrainischen Vorstoss endgültig zurückzudrängen, wie der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf Telegram mitteilt.

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Ein solches Ausmass an Verlusten in Kombination mit den anhaltenden Kriegsbemühungen sowohl im Osten der Ukraine als auch im eigenen Land in der Region Kursk zwingt den Kreml, unkonventionelle und oft umstrittene Rekrutierungsstrategien zu entwickeln, um die russischen Streitkräfte aufrechtzuerhalten.

Herbstmobilisierung und "Krypto-Mobilisierung"

Die konventionelle Einberufung begann bereits im September: Für die jährliche Herbstmobilisierung sollen 133.000 junge Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren eingezogen werden. Diese sollen eine Grundausbildung erhalten und dann weitere Monate in Fortbildungen verbringen. Laut russischem Gesetz dürfen Soldaten mit weniger als vier Monaten Ausbildung nicht in Kampfgebieten eingesetzt werden, erst recht nicht im Ausland. Doch Gesetze können verbogen, Inhalte weit ausgedehnt werden – hier kommen nun die unkonventionellen Mittel ins Spiel.

Rekruten werden häufig unter Druck gesetzt, direkt Verträge bei der Berufsarmee zu unterzeichnen. Ihnen wird teils versprochen, in sichereren Zonen dienen zu dürfen – sofern sie sich verpflichten. Eine Taktik, die auf Manipulation basiert: Einigen Rekruten werde gesagt, dass ihre Kameraden bereits unterschrieben und Gehälter erhalten hätten, während sie selbst leer ausgingen. Andere werden getäuscht. "Das Wichtigste ist, dass Dokumentenfälschung sehr weit verbreitet ist. Der Vertrag wird für den Wehrpflichtigen (von Anwerbern, Anm.d.Red.) unterzeichnet, die ein 'X' in das Unterschriftfeld setzen. Der Soldat erfährt davon, wenn er eine Bankkarte und Unterlagen über die Zulage erhält", wird Iwan Tschuwiljajew von der russischen NGO "Get Lost" bei "Euronews" zitiert.

Der Kreml greift verstärkt auf eine "verdeckte Mobilisierung" zurück, wie es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heisst. Offiziell werden keine neuen Reservisten mobilisiert, da die Mobilmachung 2022 auf heftige Ablehnung stiess und zu politischen Spannungen führte. Stattdessen setzt Russland neben den Berufssoldaten auf Kämpfer von Freiwilligenformationen und Auslandsrekruten. In diesem Zusammenhang zitiert die SWP eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Russian Field, nach der 58 Prozent der Befragten eine neue Mobilisierung ablehnen – ein potenzielles Risiko für die politische Stabilität. Um Proteste zu vermeiden, erfolgt die Rekrutierung subtil, aber nicht ohne Druck. Diese auch als "Krypto-Mobilisierung" bezeichnete Taktik nutzt oft Machtgefälle und Manipulation, um Freiwillige an die Front zu schicken, was Kritikern zufolge an Zwang grenzt.

Aufstockung der Truppen ist kostspielig

Allerdings sind Putins Möglichkeiten auch hier endlich. Bei der SWP heisst es: "Bei der verdeckten Mobilisierung dürfte es künftig zu Begrenzungen und Veränderungen im Rekrutierungspotenzial kommen, in deren Folge der Kreml bei gleichbleibender politischer Zielsetzung eine neue Mobilisierungsrunde kaum mehr vermeiden kann."

Die Zielsetzung: Um seine Streitkräfte in den kommenden Jahren weiter zu stärken, strebt Russland eine Aufstockung der Truppen auf 1,5 Millionen Soldaten bis 2026 an. Gerade nachdem die Ukraine im August mit ihrer Offensive in der Region Kursk russisches Territorium überschritten hat, dürfte diese Zielsetzung umso wichtiger für den Kreml geworden sein.

Der Haushaltsentwurf der russischen Regierung für 2025 bis 2027 sieht allein für das Militär und die nationale Sicherheit Ausgaben von 165 Milliarden Euro vor, das entspricht etwa 41 Prozent der Gesamtausgaben. Ein Teil dieser Mittel wird für die Mobilisierungsreserve verwendet, um die notwendige Mannstärke bereitzustellen. Doch Experten sind skeptisch, ob diese Rekrutierungsziele ohne eine neue Mobilisierungswelle realistisch sind.

Kürzungen bei Entschädigungen für verwundete Soldaten

Besonders problematisch wird die Lage bei den finanziellen Entschädigungen für verwundete Soldaten. Anfangs erhielten verletzte Soldaten pauschal drei Millionen Rubel (etwa 28.880 Euro) als Entschädigung – unabhängig von der Schwere der Verletzung. Doch ein von Putin unterzeichnetes Dekret reduzierte diese Zahlungen drastisch. Schwerere Verletzungen werden mit bis zu drei Millionen Rubel vergütet, leichtere mit Summen zwischen 100.000 und einer Million Rubel, wie das russische Exilmedium "Meduza" berichtet. Dieser Schritt soll vermutlich die Belastungen für den Staatshaushalt verringern, nachdem die hohen Verluste zu einem starken Anstieg der Kosten geführt hatten.

Parallel dazu greift Russland auf ausländische Kämpfer und Menschen aus armen, ländlichen Regionen zurück. Migranten, die bereits im Land leben, vor allem aus zentralasiatischen Staaten, werden als Rekrutierungspotenzial betrachtet. Diese Rekruten stammen häufig aus prekären Lebenssituationen und sehen im Militär eine Möglichkeit, ihre finanzielle Lage zu verbessern. Insbesondere im globalen Süden nahm die Anwerbung zu, doch der militärische Nutzen dieser Rekruten ist wegen sprachlicher Barrieren und unzureichender Ausbildung oft begrenzt. Laut SWP ist deren Nutzen für Russland einfach zu beschreiben: Kanonenfutter.

Damit macht sich Moskau im Ausland – vor allem in Ländern des globalen Südens – immer unbeliebter. Nepal etwa verbot seinen Bürgern, in russische Dienste zu treten, nachdem Berichte über problematische Bedingungen aufgetaucht waren. Der Verdacht: Die Anwerber setzten auf Täuschung und Zwang.

Hilfe aus Nordkorea und Zwangsrekrutierung in besetzten ukrainischen Gebieten

In den russisch besetzten Gebieten der Ukraine werden ebenfalls Männer zwangsrekrutiert. Auch hier nimmt der Kreml laut SWP keine Rücksicht auf die politischen Risiken und Spannungen, die eine solche Rekrutierung mit sich bringt.

Berichte, die ukrainische Offensive in Kursk werde durch nordkoreanische Soldaten zurückgedrängt, kursieren zudem seit einiger Zeit. Die Unterstützung aus Nordkorea symbolisiert eine Vertiefung der russisch-nordkoreanischen Beziehungen und zeigt, wie Russland seine Ressourcen im internationalen Umfeld zu stärken versucht.

Zusätzlich wurden in Russland strengere Massnahmen eingeführt, um die Flucht vor dem Militärdienst zu erschweren: Einberufungsbescheide werden jetzt digital zugestellt und kommen damit schneller an, Strafen für das Verpassen von Musterungsfristen wurden erhöht und wer eine Einberufung erhält, darf das Land nicht mehr verlassen. Selbst das Entziehen der Fahrerlaubnis und der Ausschluss von Kreditvergaben gehören zu den Massnahmen, die den Druck auf potenzielle Rekruten erhöhen.

Eine neue Mobilisierungsrunde könnte dennoch unvermeidbar sein, da es laut dem US-amerikanischen Thinktank Institute for the Study of War an Langzeitkräften in den regulären Streitkräften fehlt. Die wachsenden Verluste und die verstärkten ukrainischen Angriffe erhöhen den Druck, mehr Soldaten an die Front zu bringen. Und schon jetzt ist Putin innenpolitisch bemüht, das Narrativ anzupassen, um eine mögliche neue Mobilisierung zu rechtfertigen. Bedrohungsszenarien wie westliche Waffenlieferungen an die Ukraine, der Beschuss russischen Territoriums und ukrainische Einmärsche werden in der Propaganda hervorgehoben, um die Notwendigkeit einer starken Verteidigung zu unterstreichen.

Politische Risiken und wachsender Protest in der Bevölkerung

Die politischen Risiken sind erheblich, denn viele Russen, die bisher dem Militärdienst entkommen konnten, könnten durch eine erneute Mobilisierung erfasst werden. Vor allem Mütter und Ehefrauen der potenziellen Rekruten zeigen bereits stärkere Protestbereitschaft. Die hohe Zahl an Todesfällen und Verwundeten hat den Rückhalt für Putins Krieg in der Bevölkerung erschüttert und sein Bestreben, das Personal der Streitkräfte aufzustocken, steht zunehmend auf wackeligen Beinen.

Ob der Kreml auch langfristig auf eine Kombination aus inländischen Rekruten und ausländischen Söldnern setzen kann, um seine Ziele zu erreichen, werden die kommenden Monate zeigen. Sicher ist jedoch, dass die Kosten an menschlichen und an finanziellen Ressourcen immens sind und die sozialen Spannungen in Russland weiter ansteigen. Und beim Krieg in der Ukraine ist noch kein Ende absehbar.

Verwendete Quellen

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