Weite Teile der Ukraine sind durch den Angriff Russlands mit tückischen Landminen übersät. Sie sind nicht nur eine Gefahr für Soldaten, sondern kosten auch vielen arglosen Zivilisten das Leben. Derweil warnt der ukrainische Armeechef vor einem Stellungskrieg. Ein Überblick darauf, was seit Mittwochabend geschah - und was am Donnerstag wichtig wird.

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Der Bodenkrieg in der Ukraine hat sich festgefahren - und das sieht der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj als grosse Gefahr. Nur ein Technologiesprung könne einen Ausweg aus diesem Stellungskrieg öffnen, schrieb der General in einem Beitrag für die britische Zeitschrift "The Economist". "Ein Stellungskrieg dauert lange und birgt enorme Risiken für die Streitkräfte der Ukraine und für den Staat." Stillstand auf dem Schlachtfeld helfe nur Russland, die Verluste seiner Armee auszugleichen.

Die Ukraine wehrt seit mehr als 20 Monaten eine grossangelegte russische Invasion ab. Auch für Mittwoch verzeichnete der ukrainische Generalstab zahlreiche Bodengefechte entlang der fast 1.000 Kilometer langen Front im Osten und Süden des Landes. Am Donnerstag ist der Zählung nach der 617. Tag des Krieges. Präsident Wolodymyr Selenskyj beschwor unterdessen die Einheit Europas und sagte, sein Land werde dazu ein starken Beitrag leisten.

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Armeechef Saluschnyj will mehr und bessere Technik

Die Ukraine brauche insbesondere Flugzeuge, schrieb Saluschnyj (50). Die fehlende Deckung aus der Luft gilt als ein Grund, warum die Bodenoffensive der Ukrainer in diesem Sommer kaum vorangekommen ist. Mit den versprochenen Kampfjets vom Typ F-16 aus verschiedenen Ländern kann Kiew erst im kommenden Jahr rechnen. Verbesserte Drohnen müssten das Fehlen von Kampfflugzeugen ausgleichen, folgerte der General. Der Schlüssel zu einem Erfolg im Drohnenkrieg sei eine verbesserte elektronische Kampfführung, um russische Fluggeräte zu stören und abzufangen. Russland sei in diesem Punkt überlegen.

Die ukrainische Armee müsse auch besser ausgestattet werden, um russische Artilleriestellungen zu bekämpfen. "Derzeit haben wir Parität mit Russland erreicht durch kleinere, aber genauere Feuerkraft. Doch das wird nicht andauern", schrieb Saluschnyj. Weiter brauche die Ukraine moderne Ausrüstung zum Minenräumen, weil die russische Armee bis zu 20 Kilometer tiefe Minengürtel angelegt habe.

"Russland darf nicht unterschätzt werden", schrieb der Oberkommandierende. Der Gegner habe zwar viele Soldaten verloren, und Präsident Wladimir Putin scheue eine Generalmobilmachung. Aber auch die Ukraine habe Probleme, Reserven aufzubauen. Der Kreis der wehrpflichtigen Männer müsse ausgeweitet werden.

Anders als bei der Rückeroberung grosser Gebiete im vergangenen Jahr haben sich in diesem Sommer ukrainische Hoffnungen auf Geländegewinne kaum erfüllt. Allerdings haben die ukrainischen Verteidiger Russlands Stellungen auf der Krim geschwächt und die russische Marine aus dem westlichen Schwarzen Meer vertrieben. Selenskyj und seine Führung halten an der Befreiung aller besetzten Gebiete als Kriegsziel fest.

Minen töteten 264 Zivilisten in der Ukraine

Seit Beginn der russischen Invasion sind in der Ukraine 264 Zivilisten durch Minen getötet worden. 571 Menschen seien verletzt worden, teilten die Verkehrsbehörde und das Verteidigungsministerium mit. Die meisten Minenunfälle ereigneten sich demnach auf Feldern (145), auf Strassen (125) oder in Gärten (117). Die Behörden warnten davor, sich den Sprengkörpern zu nähern oder sie gar anzufassen. Die russische Armee hat grosse Teile der Ukraine vermint. Aber auch ukrainische Truppen haben zum Selbstschutz Minen ausgelegt.

Nach einem grossen russischen Luftangriff mit 20 Kampfdrohnen in der Nacht zum Mittwoch mahnte Selenskyj die Bevölkerung auch, Luftalarm ernst zu nehmen und sich in Schutzräume zu flüchten. Das gelte für frontnahe Städte wie Charkiw, Saporischschja oder Cherson, für Grenzgebiete wie Sumy oder Tschernihiw, sagte er in seiner Videoansprache. "Es ist wichtig, vorsichtig zu sein und sich nicht leichtsinnig in Gefahr zu bringen."

Selenskyj beschwört Einheit Europas

In der Ansprache nannte Selenskyj die Ukraine einen wichtigen Teil eines künftigen vereinten Europas. "Ich bin zuversichtlich, dass die Ukraine unser Europa stärker denn je machen wird. Und wir arbeiten so hart wie möglich daran, dass unserem Beitritt zur Europäischen Union nichts mehr im Wege steht."

Er erinnerte an das Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht vor 30 Jahren am 1. November 1993. Dieser habe "den Grundstein für die moderne europäische Einigung" gelegt, sagte Selenskyj. Der Vertrag begründete damals die Europäische Union mit einer Wirtschafts- und Währungsunion und einer gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik.

Zwar gebe es in vielen EU-Mitgliedsländern europakritische Stimmen, sagte Selenskyj - oft gerade in Staaten, die für den Erhalt des Friedens und der Ordnung in Europa wichtig seien. Beispiele nannte er nicht. Aber die EU habe immer bewiesen, dass sie Krisen überwinden könne und stärker werde, "wenn die Feinde Europas nur Schwäche erwarten", betonte der Präsident.

Das wird am Donnerstag wichtig

Das ukrainische Militär rechnet weiter mit zahlreichen russischen Attacken am Boden und Luftangriffen. Besonders gespannt ist die Lage in der ukrainisch kontrollierten Stadt Awdijiwka im Donbass. Die russische Armee erleidet beim Versuch, die Stadt zu erobern, hohe Verluste an Soldaten und Technik. Trotzdem kommt sie den ukrainischen Nachschublinien immer näher. (dpa/mbo)

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