• Das Dorf Hryhoriwka in der Region Kherson ist schon lange unter russischer Besatzung.
  • Seit dem Einmarsch der russischen Truppen ist das Leben dort schwierig geworden.
  • Lange Zeit war es fast unmöglich, überhaupt Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern herzustellen.
  • Eine Frau, die gerne anonym bleiben möchte, konnte uns jedoch einige Fragen beantworten.
Ein Interview

Wie lange ist Hryhoriwka schon besetzt?

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Antwort: Bereits an Tag eins des Kriegs, am 24. Februar, wurden wir von Beschussgeräuschen geweckt. Gegen 12:00 Uhr Mittag waren die russischen Besatzer bereits im Dorf und haben ihre Flagge aufgehängt. Seitdem leben wir nach ihren Regeln.

Wie hat sich Ihr Leben seit dem Krieg verändert?

Wir leben unter vollkommener Beobachtung, können nirgends hingehen. Überall gibt es russische Checkpoints. Sollten wir versuchen zu fliehen, können sie uns erschiessen oder uns die Autos wegnehmen. Wir können uns auch nicht frei äussern. Wir können nicht zu unseren Kundgebungen gehen, es ist alles nicht sicher.

Gibt es Dinge, die vor dem Krieg selbstverständlich waren, die nun Mangelware sind?

Viele Dinge sind inzwischen Mangelware. Sogar so essenzielle Produkte wie Binden für Frauen sind kaum zu finden, es gibt nur ganz wenige. Überhaupt sind sämtliche Dinge, die man für die Körperhygiene braucht, aktuell knapp. Am Anfang hatten wir auch kaum Lebensmittel. Die Russen haben nun begonnen, Lebensmittel von der Krim zu importieren, aber das ist alles sehr teuer. Wir haben keine Wahl, wir müssen alles kaufen, was wir brauchen. Es gibt nur die absolut notwendigsten Grundnahrungsmittel. Sogar Milchprodukte bekommen wir kaum und es gibt gar keine Süssigkeiten. Unser tägliches Leben hat sich dramatisch verändert.

Wie ist die Jobsituation, dürfen Sie arbeiten?

Es ist sehr schwierig, einen Job zu bekommen. Nur wenige Menschen arbeiten aktuell. Auch meine Familie hat dieses Problem. Und selbst wenn die Leute hier arbeiten, dann tun sie das für einen Hungerlohn. Die beste Möglichkeit aktuell Geld zu verdienen, ist Lebensmittel zu verkaufen, weil das sehr wichtig ist. Obwohl alles sehr teuer ist, kaufen die Leute dennoch alles, was sie brauchen, solange sie noch Geld haben. Es gibt keinen anderen Weg.

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Wie sieht es mit der Bildung im Dorf aus?

Ich selbst habe einen Schulabschluss, habe jedoch nicht studiert. Deshalb betrifft mich die Bildungssituation aktuell nicht. Aber ich habe zwei Schwestern. Eine studiert an einem College in Kherson. Nach Kriegsbeginn hatte sie Online-Seminare. Meine andere Schwester geht noch zur Schule, auch sie hat inzwischen Online-Unterricht, weil die Schulen nicht benutzt werden können. Der Unterricht ist nicht mehr so wie vor dem Krieg. Die Kinder werden nur in wenigen wichtigen Dingen unterrichtet, so oft wie es eben geht. Die Internetverbindung ist furchtbar. Die russischen Besatzer blockieren ständig die Verbindung, also ist das die einzige Möglichkeit wie Bildung stattfinden kann.

Ist genug medizinische Ausstattung in den Apotheken vorhanden? Gibt es Menschen im Dorf, die bei medizinischen Notfällen oder im Krankheitsfall helfen können?

Die Apotheken haben fast nichts mehr, nicht mal Schmerzmittel gegen Kopfweh. Es gibt Leute, die auf die Krim fahren und dort Medikamente holen können, aber diese Möglichkeit haben nicht viele Menschen. Unser Krankenhaus ist in Betrieb und die Menschen können bei medizinischen Notfällen dort behandelt werden. Doch wenn es um spezielle Bedürfnisse geht, gibt es kaum eine Möglichkeit. Es gibt einige mutige Menschen, die ihr Leben riskieren und versuchen, in anderen Regionen der Ukraine behandelt zu werden. Allerdings gab es schon einen Vorfall, bei dem ein Mann direkt in seinem Auto erschossen wurde. Das war schlimm und angsteinflössend.

Nehmen die russischen Besatzer den normalen Dorfbewohnern wertvolle Dinge weg?

Ja, das stimmt. Sie nehmen den Menschen die Autos weg. Ausserdem nisten sie sich in leeren und verlassenen Häusern ein und nehmen Dinge dort an sich. Mir persönlich haben sie bisher nichts weggenommen und auch sonst wurden noch keine Menschen genötigt, wertvolle Dinge abzugeben. Aber die Häuser, die leer stehen, werden von den Russen komplett ausgeräumt.

Wie behandeln die russischen Besatzer die Frauen im Ort?

Ich persönlich habe noch nichts Schlimmes erfahren, sie vergewaltigen uns nicht. Dennoch versuchen wir diskret zu sein und sie nicht mit freizügiger Kleidung zu provozieren. Früher konnten wir anziehen, was wir wollten, aber das ist uns jetzt zu unsicher. Wir wissen nicht, was in ihren Köpfen vorgeht. Ich weiss aber, dass sich einige Frauen aus freiem Willen mit ihnen treffen.

Stimmt es, dass Männer aus dem Dorf abgezogen werden und für die russische Armee kämpfen müssen?

Ja, das ist wahr. Vor allem die Männer, die bereits Kampferfahrung von 2014 haben. Sie gehen zu den Männern und durchsuchen ihre Häuser. Wenn die Männer nicht im Dorf sind, gehen die Besatzer zu ihren Ehefrauen und fragen nach Informationen über ihren Aufenthaltsort.

Waren Sie Zeuge von Dingen, die Sie niemals vergessen werden?

Als der Krieg begonnen hatte, beschlossen wir zunächst nach Kherson zu fliehen, haben uns später jedoch entschieden zurück ins Dorf zu gehen. Wir sind an zwei Checkpoints vorbeigekommen und alles war gut, aber dann sahen wir immer mehr tote Menschen. Verletzte Zivilisten und Soldaten. Auf den Strassen war viel Equipment zurückgelassen worden. Die Häuser der Menschen waren zerstört. Das war sehr heftig für unsere Moral. Es war nicht leicht, diese ganzen toten Menschen zu sehen. Die zerstörten Häuser, wo vielleicht noch Menschen drin waren, sind mir noch immer gut im Gedächtnis. Man weiss nicht mal, ob die Menschen lebendig oder tot waren. Da waren auch viele russische Soldaten, die sich an den abgestellten ukrainischen Fahrzeugen zu schaffen machten und sie ausraubten.

Wie können normale Menschen Ihrem Dorf helfen?

Menschen haben versucht uns zu helfen und Dinge zu sammeln, die wir brauchen. Essen, Medikamente und viele andere Dinge. Doch die russischen Besatzer haben die Busse der Hilfsorganisationen nicht vorbeigelassen und wir haben nichts davon bekommen. Darum sind die normalen Menschen gerade machtlos. Unsere Hoffnung liegt auf dem Militär, dass sie uns vielleicht doch gehen lassen. Doch diese Hoffnung schwindet immer mehr.

Wie steht es um die Moral der Menschen im Dorf im Moment?

Es gibt einige Menschen, die eine Arbeit und vielleicht Ersparnisse haben. Die kommen irgendwie klar. Aber es gibt andere, die haben das alles nicht. Diese Menschen verzweifeln von Tag zu Tag mehr und ihre Hoffnung auf einen Sieg schwindet.

Die Autorin des Textes ist selbst aus der Ukraine geflohen und arbeitet derzeit als Werkstudentin in unserer Redaktion. Der Name der interviewten Frau ist ihr bekannt.

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