Wladimir Putin hat bei einer Sitzung des Verteidigungsministeriums Mitte Dezember das Scheitern des Westens in der Ukraine behauptet. Woher kommt die Zuversicht des Kreml-Chefs? Militärexperte Gustav Gressel erklärt, welche drei grossen Probleme Russland gelöst hat und warum der russische Präsident dennoch den Tag vor dem Abend lobt.
Es waren Worte, die für Aufsehen sorgten: Der russische
Putins vernichtende Bilanz: "Der Gegner erfährt schwere Verluste und hat in bedeutendem Umfang seine Reserven aufgebraucht." Die Initiative liege auf Seiten der russischen Streitkräfte.
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Russland hat drei Probleme gelöst
Auch Militärexperte Gustav Gressel hat den Auftritt Putins verfolgt. "Ja, Putin ist zuversichtlich", sagt er. Das sei er vermutlich wirklich, er wolle diese Zuversicht aber auch hinaufspielen und seiner eigenen Bevölkerung vermitteln. "Das ist ein Teil der Propaganda – vor allem vor den 'Wahlen' im kommenden Jahr", sagt Gressel.
Dennoch hält Gressel die russische Zuversicht nicht für unberechtigt. Ausländische Beobachter registrierten zuletzt Geländegewinne durch die Russen, ausserdem kündigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei der Sitzung in Moskau an, die Zahl der Freiwilligen im kommenden Jahr um mehr als 250.000 auf dann 745.000 Vertragssoldaten zu erhöhen.
Gressel sagt: "Wenn man sich anschaut, wie die russische Armee zu Beginn des Jahres dastand und das mit heute vergleicht, haben sie ihre drei grossen Probleme im Grunde gelöst – zumindest halbwegs zufriedenstellend."
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Problem 1: Die Kriegsführung
Problem Nummer 1 war aus Sicht des Militärexperten die Kampfführung insgesamt. Putin selbst hatte in seiner Ansprache zugegeben, dass der Krieg gegen die Ukraine Probleme in der russischen Verteidigung aufgezeigt hat. So brauche Russland mehr Drohnen, eine bessere Flugabwehr und ein modernes Satellitenkommunikationssystem.
Gressel sagt nun: "Wir sehen taktische und technische Innovationen, vor allem die Integration von Drohnen in die eigenen Streitkräfte. Die Kampfführung der eigenen Streitkräfte hat sich verbessert, die Luft-Boden-Koordination, ebenso die Schulung von Kommandanten."
Auf dem Schlachtfeld zeige sich, dass die Russen dazugelernt hätten. "Sie greifen in immer grösseren Formationen an, sie sind besser koordiniert. Die russische Luftwaffe wird immer aktiver, auch deshalb, weil der Ukraine langsam die Kampfmittel – vor allem Fliegerabwehrraketen, Kampfflugzeuge und deren Bewaffnung – ausgehen, um diese zu bekämpfen", erklärt er.
Problem 2: Der Personalnachschub
Als zweites Problem benennt Gressel das Personal. Zu Beginn des Jahres hätte sich Russland noch in einer katastrophalen Winteroffensive befunden. Damals habe sich gezeigt, dass die russische Armee viel zu wenig Personal hat und dass sie, wenn sie so weitermacht, über den Sommer verblutet.
"Die nun behauptete Zahl der Freiwilligen ist nicht so hoch wie dargestellt", meint Gressel. Offiziell sei keine Mobilmachung verkündet worden, unter der Hand aber würden Leute eingezogen. "Man versucht es offiziell so zu verkaufen, dass man mehr Freiwillige trainiert", sagt Gressel. Durch die verdeckte Mobilmachung habe man das Personalproblem weitestgehend gelöst.
"Man hat einen ständigen Nachschub an Leuten, die man an die Front werfen kann", sagt Gressel. Knapp 20.000 Mann würden pro Monat eingezogen. "Das ist in etwa das, was man auch verliert. So bleibt die Schlagkraft der russischen Armee in etwa erhalten", analysiert er.
Problem 3: Der Nachschub an Kriegsgerät
Das dritte Problem stellte der Nachschub an Kriegsgerät dar. Dazu sagt Gressel: "Man hat die eigene Rüstungswirtschaft auf Kriegswirtschaft umgestellt. Es scheint nun zu gelingen, die Sanktionen dauerhaft zu umgehen."
Es sei derzeit ein Leichtes für die russische Kriegswirtschaft, mehr zu liefern, als der Westen an die Ukraine liefert. Während der Trend auf russischer Seite nach oben gehe, habe man in der Ukraine zunehmend Probleme, Personal zu rekrutieren.
"Die sehr verlustreichen Schlachten um Bachmut und Awdijiwka dämpfen die Stimmung in der Armee und das Aufkommen von Freiwilligen", sagt Gressel. Ausserdem liefere der Westen zu wenig Waffen und Munition. "Insbesondere die Europäer verfehlen ihre Ziele. Auf der ukrainischen Seite gibt es deshalb eine Reihe an Fragezeichen, wie man dieses Jahr überstehen wird", sagt er.
Aktuell würde Russland den Krieg gewinnen
Der Experte macht deutlich: "Wenn man die gegenwärtigen Trends fortschreibt und wenn es so weitergeht, dann gewinnt Russland den Krieg."
Gressel erinnert an 2022. "Letztes Jahr sind Experten zum Schluss gekommen, Russland verliert den Krieg." Im letzten Kriegswinter seien die russischen Verluste enorm hoch gewesen, Russland habe für diese Leute damals noch keinen Ersatz gefunden, die Materialverluste seien über das Jahr 2022 enorm hoch gewesen und beim Ramstein-Treffen hatte der Westen Gerät zugesagt.
"Hätte der Westen in diesem Tempo weitergemacht, dann würde der Krieg gut für die Ukraine ausgehen. Nur der Westen hat seine Unterstützung zurückgefahren und Russland hat aus seinen Fehlern gelernt", analysiert der Experte.
Anstrengungen des Westens nötig
Auch jetzt seien die Entwicklungen nicht gottgegeben. "Der Westen könnte auch aus seinen Fehlern lernen, seine Produktion steigern, andere Entscheidungen treffen. Und der Westen hat immer noch genug Geld, auch rüstungsindustrielle Anstrengungen zu unternehmen", mahnt Gressel. Die Zeit dränge jedoch.
Zusätzlich sei der amerikanische Wahlkampf eine unsichere Variable. Zuletzt machte die Nachricht die Runde, dass Donald Trump im US-Bundesstaat Colorado von der Wahl ausgeschlossen werden soll.
"Wenn man annimmt, dass Trump wirklich von der Wahl ausgeschlossen wird und Nikki Haley die republikanische Herausforderin von Präsident Biden wird, dann würde Biden enorm unter Druck geraten", ist sich Gressel sicher. Haley würde Biden dann als schwachen und zögerlichen, zaudernden Präsidenten darstellen, der der Ukraine nicht genug Mittel in die Hand gibt.
"Sie setzt in ihren Botschaften auf amerikanische Stärke und amerikanischen technischen Vorsprung, auf den die Amerikaner stolz sein können", sagt Gressel. Das wäre ein ganz anderes Wahlkampfklima als bei den jetzigen Republikanern – die jeden Penny zählen, der in die Ukraine geht und fordern, das Geld solle in den USA bleiben. "Biden stünde unter einem ganz anderen innenpolitischen Druck, zu handeln."
Viele Entwicklungen seien jedoch noch offen und Putin lobe den Tag, bevor er den Abend gesehen habe. "Aber: Die Trendwende kommt nicht allein durch Worte und Zuschauen. Der Westen und insbesondere Europa müssten für diese Trendwende auch etwas tun", betont Gressel. So untätig, wie der Westen und insbesondere Europa sei, liege unsere eigene Zukunft ausschliesslich im amerikanischen Wahlkampf. "Das ist traurig, aber unsere Politiker sind unfähig, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen und die richtigen Schlüsse aus ihr zu ziehen", sagt er.
Über den Gesprächspartner
- Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmässig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Aussenpolitik bei Grossmächten.
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