Im Kampf gegen Russland macht der Ukraine der Mangel an Munition schwer zu schaffen. Denn die EU kann ihr eigens gesetztes Versprechen an Geschossen nicht einhalten. Das hat verschiedene Gründe.

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Die EU hat der Ukraine versprochen, sie mit hunderttausenden Artilleriegeschossen im Kampf gegen die russischen Angreifer zu unterstützen. Doch Europa fehlt es an Produktionskapazitäten für die Munition - und an Pulver zu deren Herstellung. "Es ist das Pulver, woran es uns derzeit wirklich fehlt", räumte der französische Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche ein.

Schiesspulver wird in Treibladungen verwendet, die Artilleriegeschosse über Entfernungen von Dutzenden von Kilometern schleudern. "Ein einfaches Sprenggeschoss für die Artillerie besteht aus drei Teilen: einer Hülle aus Stahl, der Hauptsprengladung und einem Zünder", der in der Regel so eingestellt sei, dass er beim Aufprall die Explosion auslöst, erklärt Johann Höcherl, Professor für Waffen- und Munitionstechnik an der Universität der Bundeswehr in München.

Die Treibladung werde zwar immer noch als Schiesspulver bezeichnet, "aber heutzutage ist es gar kein Pulver mehr", sagt Höcherl. Vielmehr handele es sich um Stäbe oder Pellets.

Pulver-Rohstoff schwerer zu beschaffen

In Europa gebe es nur sehr wenige Pulverhersteller, sagt Jean-Paul Maulny vom Institut für internationale und strategische Beziehungen (Iris), einer französischen Denkfabrik. Dazu gehören Unternehmen wie Eurenco mit Betrieben in Frankreich, Belgien und Schweden sowie das Unternehmen Nitrochemie, das mehrheitlich dem Rüstungskonzern Rheinmetall gehört, mit Standorten in Deutschland und der Schweiz.

Viele Regierungen wollten die Produktion ins Inland verlagern, sagt Maulny. Frankreich beispielsweise sei dabei, einen Teil der Eurenco-Produktion nach Bourges in der Landesmitte zu verlegen. Das Pulver sei der entscheidende Punkt, an dem es zu Engpässen bei der Munitionsherstellung komme: "Die wichtigste Frage ist, wie viel produziert werden kann", sagt der Experte.

Ein weiteres Problem ist es laut EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, in der EU an die Rohstoffe für Schiesspulver zu gelangen: "Um Pulver herzustellen, braucht man eine bestimmte Art Baumwolle, die überwiegend aus China kommt."

Diese Nitrocellulose, auch Schiessbaumwolle genannt, ist ein wichtiger Bestandteil für die Herstellung von Schiesspulver. "Die Lieferung dieser Baumwolle aus China wurde vor ein paar Monaten wie zufällig eingestellt", sagt Breton.

China und Russland haben in den vergangenen Jahren ihre wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit ausgebaut. Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine wurde ihre strategische Partnerschaft noch enger - Chinas Vize-Aussenminister Sun Weidong schwärmte gar vor wenigen Tagen, die chinesisch-russischen Beziehungen seien so gut wie noch nie in der Geschichte.

EU will Produktionskapazitäten steigern

Laut EU-Binnenmarktkommissar Breton haben Forscher inzwischen einen Ersatz für die chinesische Baumwolle gefunden. Unternehmen, die solche Ersatzstoffe herstellen, sollen künftig Zuschüsse erhalten.

Breton rechnet damit, dass die EU ihre jährliche Produktionskapazität bis Ende des Jahres auf 1,5 bis 1,7 Millionen Artilleriegranaten steigern kann. Russland könne pro Jahr "etwas unter zwei Millionen" Granaten herstellen, schätzt er.

"Die Russen haben im Moment keinen Mangel an Granaten, da sie Vorräte von den Nordkoreanern bekommen haben", sagt Maulny. Aber in den kommenden Monaten könnten die Geschosse auch in Russland knapp werden. (dpa/thp)  © AFP

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