- Nach Wochen erbitterter Gefechte haben russische Truppen den Grossteil der ukrainischen Grossstadt Sjewjerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht.
- Aus Sicht von Präsident Wolodymyr Selenskyj entscheidet sich dort das "Schicksal unseres Donbas'".
- Warum sind Sjewjerodonezk und das benachbarte Lyssytschansk für den weiteren Verlauf von Russlands Angriffskrieg so bedeutend?
Mit dem Chemie-Kombinat Azot und einer Arbeitersiedlung begann 1934 die Geschichte von Sjewjerodonezk. Kaum 90 Jahre später steht die ostukrainische Grossstadt in Trümmern und damit vor ihrem Ende.
Sjewjerodonezk in der Region Luhansk ist zum Hauptschauplatz des Kampfes um den Donbas geworden. Bereits seit Monaten steht die Stadt unter russischem Beschuss: grosse Teile der Innenstadt und des Chemiewerkes – verwüstet. Der Eispalast am südlichen Ende der zentralen Verkehrsachse genauso wie zahllose Wohnblöcke – ausgebrannt. Die drei Brücken über den namensgebenden Fluss Siwerskyj Donez, die die letzte direkte Verbindung zu den ukrainischen kontrollierten Gebieten bilden, – zerstört.
Bereits seit Anfang März versuchen russischen Truppen Sjewjerodonezk einzunehmen. Immer wieder konnten sie vorrücken, sich in einigen Stadtteile festsetzen. Zugleich versuchte die ukrainische Armee die Offensiven zurückzuschlagen, zuletzt zunehmend erfolglos. Laut des Regionalgouverneurs von Luhansk, Serhij Hajdaj, befinden sich nur noch 20 bis 30 Prozent der Stadt unter der Kontrolle Kiews. Es sei nicht mehr möglich, dorthin zu gelangen.
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Selenskyj: "In Sjewjerodonezk entscheidet sich das Schicksal unseres Donbas'"
Die Schlacht um Sjewjerodonezk beschrieb der ukrainische Präsident
Klar ist hingegen: Präsident Selenskyj hatte die Gefechte gegen die russische Armee um das strategisch wichtige Verwaltungszentrum bereits Anfang Juni als richtungsweisend für den Kampf im Osten seines Landes bezeichnet. "Sjewjerodonezk bleibt das Epizentrum der Auseinandersetzungen im Donbas", sagte Selenskyj. "In vielem entscheidet sich dort das Schicksal unseres Donbas'."
Denn fällt Sjewjerodonezk – und Lyssytschansk gleich auf der anderen Seite des Siwerskyj Donez – dann steht die komplette Region Luhansk unter russischer Besatzung. Für Moskau wäre damit ein Teilziel seines Angriffskrieges erreicht.
Russland will den ganzen Donbas kontrollieren
Dazu kommt: Eine Eroberung von Sjewjerodonezk würde der russischen Armee den Weg nach Slowjansk und Kramatorsk, der Hauptstadt der Nachbarregion Donezk, öffnen. Dies ist für Russland die zweite unumgängliche Etappe, um den gesamten Donbas unter seine Kontrolle zu bringen.
Zwar kämpft die ukrainische Armee weiter erbittert um Sjewjerodonezk. Die zweite verbliebene Stadt im Gebiet Luhansk, Lyssytschansk, sei jedoch aufgrund ihrer Lage strategisch wichtiger, wie Regionalgouverneur Hajda im ukrainischen Radio erklärte.
Denn Lyssytschansk liegt auf einer Anhöhe. Die Stadt kann damit nicht nur besser als Sjewjerodonezk verteidigt werden, sondern von dort können auch die russisch kontrollierten und wesentlich tiefer liegende Regionen unter Beschuss genommen werden.
Evakuierung von Chemiewerk scheitert
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste werde zudem eine Vielzahl russischer Kräfte rund um das Chemiewerk Azot gebunden sein, "solange die ukrainischen Kämpfer im Untergrund überleben können". In dem Werk sollen ukrainische Soldaten, aber auch Hunderte Bürgerinnen und Bürger, Zuflucht gesucht haben. Eine Aufforderung Moskaus zur Kapitulation hatte die ukrainische Seite abgelehnt, eine Evakuierung der Zivilisten scheiterte am Mittwoch.
Nachdem Separatisten und russische Truppen die Gebietshauptstadt Luhansk 2014 unter ihre Kontrolle bekommen hatten, verlegte die ukrainische Zentralregierung den Sitz der Verwaltung ins Rund 70 Kilometer entfernte Sjewjerodonezk. Ebenso kamen zehntausende Binnenflüchtlinge aus den besetzten Gebieten in der Stadt unter. Ein Grossteil der rund 100.000 Einwohner ist seit dem Beginn der russischen Grossinvasion am 24. Februar geflohen.
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