- Die russische Propaganda trifft in Serbien auf ein aufnahmebereites Publikum.
- Obwohl das Land in die EU will, sucht es die Nähe zu Moskau - und das aus mehreren Gründen.
- Ein Experte spricht sogar von einem Personenkult um Wladimir Putin.
Zwölf Jahre war Ljubow Maric mit ihrem serbischen Mann zusammen. Dann kam der Krieg in der Ukraine und beendete die Ehe der beiden. Zwar habe es schon vorher Probleme gegeben, erzählt die Ukrainerin. Doch nach der russischen Invasion in ihrem Heimatland im Februar seien die Dinge ausser Kontrolle zu geraten: Ihr Mann habe begonnen, im grossen Stil russische Propaganda aufzusaugen und zu vertreten.
Die Verlautbarungen des Kreml treffen in Serbien auf ein aufnahmebereites Publikum. Ein allgemeiner Hass auf die Nato und die USA haben viele Menschen veranlasst, sich auf Moskaus Seite zu schlagen. Während der Grossteil Europas gegenüber russischen Nachrichtenvportalen hart durchgreift, florieren sie in Serbien. Sogar staatliche Medien beten oft die Kreml-Aussagen nach.
Ljubow Maric erkannte den Mann, in den sie sich einst verliebt hatte, nicht wieder. Er habe sogar ihrem Sohn verboten, ukrainische Volksmusik zu hören, und diese als Werk von "Nazis" bezeichnet, erzählt die Ukrainerin.
Sie habe auf Unterstützung und Verständnis gehofft, aber ihr Mann habe "allen ausser den Russen" die Schuld gegeben, sagt die 44-Jährige. Also packte sie ihre Sachen und ging trotz des Krieges zurück in die Ukraine.
Personenkult um Wladimir Putin
Unter Präsident Aleksandar Vucic sind Serbiens Medien zunehmend auf Regierungslinie gebracht worden. Die wenigen verbliebenen unabhängigen Nachrichtenmedien sehen sich anhaltendem Druck durch die Behörden ausgesetzt.
Bereits im Vorfeld des Krieges druckte Serbiens führende Boulevardzeitung "Informer" lobhudelnde Artikel über
Journalismus-Experte Dinko Gruhonjic von der Universität Novi Sad sagt: "Serbiens regierungsfreundliche Propaganda-Medien haben einen Personenkult um Putin geschaffen." Dieser übertreffe sogar den Kult um Präsident Vucic. Putin geniesse "praktisch göttlichen Status".
Umfrage suggeriert: Lieber mit Moskau verbünden, als EU-Beitrittsprozess weiter zu verfolgen
Letzten Umfragen der in Belgrad ansässigen Nichtregierungsorganisation Crta zufolge fühlen sich zwei Drittel der Serben Russland "näher". Zwei Drittel der Bevölkerung glauben zudem, der Kreml sei von "den Expansionsabsichten der Nato" in den Krieg getrieben worden.
Dieselbe Umfrage suggeriert, dass 40 Prozent der Serben sich lieber mit Moskau verbünden würden, als den langjährigen Beitrittsprozess zur Europäischen Union weiter zu verfolgen. "Regierungsfreundliche Medien haben eine klar positive Einstellung zu Russland, sind der EU gegenüber neutral und der Ukraine gegenüber negativ", sagte Vujo Ilic, ein Autor der Studie.
Kulturelle und historische Verbindungen zwischen den beiden überwiegend slawischen und christlich-orthodoxen Ländern reichen Jahrhunderte zurück. In der Hauptstadt Belgrad werden T-Shirts mit Putins Konterfei in Souvenirläden verkauft. Der Buchstabe "Z", das russische Symbol für die Invasion in der Ukraine, wurde in der ganzen Stadt an Wände gemalt.
Nato-Bombardierung Serbiens hat bleibende Wunden hinterlassen
Die Nato-Bombardierung Serbiens während des Kosovo-Kriegs 1999 hat bei vielen Serben bleibende Wunden hinterlassen. Der 73 Jahre alte Rentner Tihomir Vranjes sagt: "Ich vertraue den westlichen Medien nicht." Er erinnere sich noch, "was sie damals über die Serben während der Kriege geschrieben haben". "Wir wurden als Tiere dargestellt. So wie das damals nicht gestimmt hat, stimmt es jetzt nicht, was sie über die Russen sagen."
Wegen der russlandnahen Berichterstattung über den Krieg protestierte der ukrainische Botschafter in Belgrad bereits, dass die "Bürger Serbiens nicht richtig informiert werden". Selbst für eine Ukrainerin wie Maric, die Zugang zu Berichten aus erster Hand hat, ist es schwierig, die Flut aus Fehlinformationen und Propaganda zu durchdringen. "Ihre Propaganda ist so effizient, dass ich nach fünf Minuten Lesen anfange, mich selbst zu hinterfragen", sagt sie. (afp/mbo) © AFP
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