• Unweit der ukrainischen Millionenstadt Charkiw wurden sogenannte TOS-Waffen gesichtet. Die Präsenz der russischen Raketenwerfer sorgt für Angst und Schrecken: Sie gelten als eine der tödlichsten Waffen des russischen Heeres.
  • "TOS-Waffen sind so etwas wie ein Schritt in Richtung Atomwaffen", sagt auch Experte Kersten Lahl. Er erklärt, wie die Systeme funktionieren und warum Putin sie jetzt auf den Plan rufen könnte.

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"Höllenmaschine", "Putins Schreckenswaffe" oder "russische Wunderwaffe" – für den russischen TOS-1-Raketenwerfer gibt es viele Namen. Allen gemeinsam: Sie unterstreichen den enormen Zerstörungscharakter des Waffensystems.

Aktuell sorgt der Kreml mit seiner selbst entwickelten Waffe in der Ukraine für Angst und Schrecken. Denn im Süden von Belgograd, etwa 70 Kilometer von der ukrainischen Metropole Charkiw, wurde ein solches System gesichtet. Greift Putin nun auch zu verheerenden Waffensystemen wie dem TOS-1?

Krieg gegen die Ukraine wird immer brutaler

Schliesslich scheint der russische Machthaber in seinem Blitzkrieg stecken geblieben zu sein, brachte bereits Nuklearwaffen in Stellung und erhöhte seine Drohgebärden. Zunehmend wird der Krieg in der Ukraine härter und brutaler, zivile Opfer nimmt Putin in Kauf. Seit Beginn der russischen Invasion Ende Februar sind nach ukrainischen Angaben mehrere hundert Zivilisten getötet worden, mehr als 830.000 Menschen sind bereits in benachbarte Länder geflohen.

Am Dienstag (1.3.) wurden bei Raketeneinschlägen russischer Streitkräfte auf das Zentrum von Charkiw laut Angaben der ukrainischen Behörden mindestens zehn Menschen getötet und 35 verletzt. Luftaufnahmen zeigen zudem einen etwa 60 Kilometer langen Militärkonvoi auf dem Weg nach Kiew.

Gefürchtete Druck- und Hitzewelle

"TOS-Waffen sind Mehrfach-Raketenwerfer, die thermobare Sprengköpfe verschiessen", erklärt der ehemalige Generalleutnant der Bundeswehr, Kersten Lahl. Die Flächenfeuerwaffe erzeugte nach ihrem Einschlag eine Druck- und Hitzewelle mit extrem hoher Wirkung.

Das Prinzip dabei: Die Projektile lassen eine Wolke aus explosivem Gemisch entstehen und detonieren sie dann. Auch der gesamte Sauerstoff in der Wolkenzone geht in die Detonation mit ein, sodass ein riesiger Feuerball entsteht und eine ungeheure Druckwelle auslöst. "In einem Bereich mit mehreren Hundert Metern Durchmesser werden daher alle Menschen zum Opfer", sagt Experte Lahl.

TOS-Raketenwerfer: Beton verbrennt, Organe platzen

Viele treffe die Waffe tödlich, andere erlitten schwere innere Verletzungen. Experten schätzen, die Detonation als doppelt so stark wie die meisten konventionellen Bombenexplosionen ein. Wer sich in der Nähe befindet, wird sofort verdampft.

Im Epizentrum kann Beton verbrennen, vor dem Feuer kann man sich kaum in Bunkern oder Unterständen verstecken. Und selbst wenn: Durch den Vakuum-Unterdruck, der sofort auf die extremen Druckwelle folgt, können innere Organe und das Trommelfell platzen. Nicht umsonst gilt TOS-1 als eine der tödlichsten Waffen der russischen Armee.

Experte: "Ein Schritt vor Atomwaffen"

"In einem urbanen Gebiet sind Zivilisten genauso betroffen, wie gegnerische Soldaten", betont er. Es gehe nicht vorrangig um Punktziele, sondern man treffe einen gesamten Radius mit Häuserblocks und Strassenzügen. Für die Zivilbevölkerung sei die Gefahr deshalb besonders hoch. "Thermobare Sprengköpfe sind völkerrechtlich geächtet, weil bei ihrem Einsatz Zivilbevölkerung unnötig in Mitleidenschaft gezogen wird", erinnert der Experte.

Für Lahl bringen die TOS-Waffen eine neue Qualität mit. "Der nächste Schritt sind nukleare Waffen. Thermobare Sprengköpfe sind zwischen konventionellen Waffen und Atomwaffen anzusiedeln", sagt er. Bei nuklearen Waffen entstehe zwar noch hohe Strahlung mit langfristigen Folgen, die TOS-Waffen hätten in ihrer Gefährlichkeit allerdings wenige Mitstreiter.

Bewährt gegen militante Kämpfer

"Ob die russischen Streitkräfte eine solche Waffe in der Ukraine wirklich einsetzen würden, weiss niemand", sagt Lahl. In Tschetschenien und Syrien haben sich die Waffensysteme, die Moskau beispielsweise auch mehrfach nach Saudi-Arabien verkauft hat, bereits gegen militante Kämpfer bewährt.

Die Waffe kann sowohl auf einer Distanz von mehreren Kilometern als auch im Nahbereich eingesetzt werden. Die bekannteste Version "TOS-1A Solnzepjok" – was übersetzt so viel wie "Sonnenhitze" bedeutet, wurde 2001 bei den russischen Streitkräften eingeführt.

Selenskyj kündigt "heftige Gegenwehr" an und nennt Russlands Soldaten "Kinder"

Per Videobotschaft hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an Russland und dessen Soldaten gewandt. Er kündigte den Feinden der Ukraine "heftige Gegenwehr" an. Vorschaubild: dpa

"Die TOS-Systeme haben nicht nur einen militärischen, sondern auch einen politischen Zweck", ist sich Lahl sicher. Er erklärt: "Diese Waffe erzielt allein durch ihr Vorhanden sein im Krieg eine enorme Wirkung. Sie sorgt für Angst und Schrecken in der Bevölkerung." Auch vor ihrem Einsatz entfalte sie grosses Drohpotenzial.

"Die Ukrainer sollen spüren, und die Hauptstadt Kiew ist dabei besonders wichtig, dass sie einem hohen Risiko ausgesetzt sind", analysiert er Putins Strategie. Eine Batterie von fünf TOS-Raketenwerfern deckt im Ziel eine Fläche von mindestens 400 Meter tiefe und 200 m breite Fläche ab, also in etwa einen ganzen Strassenzug.

Zivilbevölkerung vertreiben

Putin hat die Zivilbevölkerung bereits dazu aufgerufen, die Städte zu verlassen. "Aus russischer Sicht ist das nachvollziehbar: Die Streitkräfte können dann ohne Rücksicht auf zivile Opfer mit roher Gewalt einmarschieren und den für sie besonders schwierigen Häuserkampf brutaler führen", so der Experte. Vorrangiges Ziel sei es schliesslich, die Regierung zu stürzen und nicht Kiew dem Erdboden gleichzumachen.

"Je höher die zivilen Opfer sind, umso schwerer wird es für Putin zu rechtfertigen, warum er so mit einem Brudervolk umgeht. Dies vor allem auch innenpolitisch.", sagt Lahl. Ein Gedanke, den hoffentlich auch der Kreml-Chef bald fasst.

Über den Experten:
Kersten Lahl ist Generalleutnant a.D. des Heeres der deutschen Bundeswehr. Von 2008 bis 2011 war er Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.
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