- Die Ukraine hat mit einer Grossoffensive im Süden des Landes begonnen. Ziel ist die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete.
- Auf der Stadt Cherson liegt dabei ein besonderes Augenmerk.
- Warum das so ist und wie aussichtsreich die Offensive ist, erklärt Militärexperte Gustav Gressel.
Die Ukraine hat eine Grossoffensive angekündigt, mit der sie die besetzten Gebiete im Süden des Landes zurückerobern will. Zivilisten in Cherson und Saporischschja wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Das Verteidigungsministerium nannte eine Zahl von etwa eine Million Männer und Frauen unter Waffen.
Präsident
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen zum Krieg in der Ukraine im Live-Ticker
Die Bedeutung von Cherson
"Cherson ist eine wichtige Stadt", sagt auch Militärexperte Gustav Gressel. Nachdem sie Russland in die Hände gefallen sei, habe Putin begonnen ein Okkupationsregime einzurichten: russische Währung, russisches Staatsfernsehen, Besetzung der Stadtverwaltung. "Der Anschluss an Russland wird vorbereitet", sagt Gressel. Das gelte es aus ukrainischer Sicht natürlich zu verhindern. "Die Zeit rennt, diesen Anschluss will man stören. Das ist politisch wichtig", analysiert Gressel.
Auch militärisch habe Cherson einen hohen Wert. "Hier befinden sich die einzigen russischen Stellungen am Westufer des Djnepr", sagt Gressel. Sie würden einen wichtigen Brückenkopf darstellen – "vor allem, wenn Russland nach Vollendung der Donbass-Offensive eine weitere Offensive in Richtung Odessa planen würde", kommentiert Gressel. Auch, wenn Russland aus dieser Stellung heraus Richtung Norden angreifen würde, würde die Situation für die Ukraine bedrohlich werden.
"Es gibt in der Umgebung nur zwei Flussübergänge über den Djnepr, bei Cherson ist einer davon", erklärt Gressel. Wenn es der Ukraine gelingen würde, diesen Brückenkopf einzunehmen, hätte sie sehr leicht verteidigbares Gelände und würde die Front enorm verkürzen, meint Gressel. "Viele Kräfte auf der ukrainischen Seite würden frei, die man auch im Donbass verwenden könnte", sagt er.
Aber wie aussichtsreich ist die Rückeroberung der Küstengebiete? Aus Sicht von Gressel hängt viel davon ab, wie die Ukraine ihre Feuerkraft und Mobilität verstärken kann. "Die Ukraine hat zu wenig Artillerie, Kampfpanzer und geschützte Transportpanzer", erinnert er. Die genannte Zahl von einer Million beziehe sich wohl auf den gesamten nationalen Verteidigungsapparat.
Mangel an Feuerkraft
"Das heisst nicht, dass eine Million Soldaten an dem Angriff beteiligt sind. Auch die ausreichende Bewaffnung und der gepanzerte Transport für diese Soldaten sind nicht sichergestellt", sagt Gressel. Die Anzahl mechanisierter Verbände sei begrenzt.
Die Ukraine habe zwar enorm viel leichte Infanterie, aber diese könne nur im Infanteriegelände erfolgreich kämpfen – in Wäldern, Sümpfen, im Gebirge und in Städten. "Das Gebiet im Süden ist vor allem Panzergelände. Die Ukrainer müssen also zunächst an die Ortschaft Cherson herankommen", sagt Gressel. Dort könnten sie in einem Ortskampf ihre überlegene Infanterie ausspielen.
Ausgang der Offensive bleibt offen
"Die Ukrainer sind schon relativ nah an Cherson herangekommen, es sind etwa zehn Kilometer zum Stadtrand", sagt Gressel. Die Herausforderung sei, durch zwei sehr stark verteidigte russische Linien durchzubrechen. "Die Ukrainer haben es geschafft, russische Munitionsdepots in einem Frontabschnitt zu zerschiessen. Das könnte die Russen behindern und einen Durchbruch erleichtern", schätzt er. Ausgemacht sei das aber noch lange nicht.
"Während es der Ukraine an Feuerkraft mangelt, fehlen den Russen Infanteristen. Dafür haben sie Artillerie und Panzer", erklärt der Experte. Die Russen müssten insgesamt sehr methodisch und langsam vorgehen. "Es hat jetzt von Anfang Mai bis Anfang Juli gedauert, sich im Süden an den ukrainischen Kräften abzuarbeiten", sagt Gressel. Weiterhin blieben westliche Waffenlieferungen aber von hoher Relevanz.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.