• Der Krieg in der Ukraine tobt inzwischen seit rund einem halben Jahr, ein Ende ist nicht in Sicht.
  • Weiterhin unterstützt die grosse Mehrheit der russischen Bevölkerung Putins Mission in der Ukraine.
  • Auch Putins Zustimmungswerte sind ungebrochen hoch. Nur ein Wert hat sich in den Umfragen verändert.

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Seit einem halben Jahr führt Putin in der Ukraine einen Angriffskrieg, der in Russland selbst nicht so heissen darf. Dort ist nur von einer "Spezialoperation" die Rede. Wer etwas anderes behauptet, landet im Gefängnis. Regierungsgegner wurden aus-, freie Medien abgeschaltet.

Das Narrativ des Kremls: Die russischen Soldaten befreien die Ukraine, die eigentlich zur russischen Welt gehören möchte. Abtrünnig geworden ist das Land nur durch den Einfluss von Faschisten und durch den Westen. Am Tag des Sieges, dem 9. Mai, hatte Kreml-Chef Putin das noch einmal bekräftigt.

Russland erlaubt nur eine Sicht auf die Welt

Russland präsentiert seinen Bürgerinnen und Bürgern nur eine Version der Realität. Und in der sind die Nato, die USA und der Westen Feinde, Russland die Guten. Die Erzählung handelt von einem Westen, der Russland betrogen hat und beim Thema Nato-Osterweiterung ein falsches Spielchen gespielt hat.

In Russland verfängt das. Der Kreml hat allerdings auch leichtes Spiel: Die russische Medienlandschaft ist geprägt von staatlicher Lenkung. Freie Medien gibt es keine mehr, der Zugang zur Auslandspresse ist extrem beschränkt. Die russische Medienaufsicht hat das soziale Netzwerk "Facebook" und viele weitere Medienanbieter blockiert.

Zustimmungsrate von Putin unverändert hoch

Als der Krieg begann, lag die Zustimmungsrate von Putin bei 71 Prozent, im Juli kletterte sie auf 83 Prozent. Das sagen zumindest die Zahlen des "Lewada Instituts", einem russischen Meinungsforschungsinstitut. Wie verlässlich die Zahlen der Demoskopen, die in einer Autokratie arbeiten, sind, ist schwer einzuschätzen. Die Tendenzen der Umfragen lassen trotzdem einen Blick auf das Stimmungsbild in der russischen Bevölkerung zu.

Wie hat sich der Rückhalt Putins in seiner Bevölkerung verändert? Schliesslich konnte er am Nationalfeiertag, dem 9. Mai, keine nennenswerten Erfolge präsentieren. Und auch bei den Russen sickert durch, dass an der Front Tausende Soldaten sterben. Wie viele es sind, darüber gehen die Schätzungen weit auseinander. Die USA sprachen zuletzt von 75.000 gefallenen und verwundeten Soldaten.

Russen unterstützen die "Spezialoperation" mehrheitlich

Fest steht in jedem Fall: Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, ohne dass Moskau "Erfolge" vorweisen kann, desto mehr gerät der Kreml gegenüber seiner Bevölkerung in Erklärungsnot. "Die Mehrheit der Russen steht immer noch hinter dem Krieg", sagt Politikwissenschaftler Tobias Fella.

Die Zustimmungsrate zur "Spezialoperation" sei nur leicht gesunken. Das schreiben auch die Meinungsforscher des "Lewada Instituts": "Im letzten Monat gab es keine bedeutenden Veränderungen hinsichtlich der Einstellungen der Russen zur 'Spezialoperation'", heisst es auf der Website.

Die Mehrheit der Befragten bleibe besorgt über die Geschehnisse in der Ukraine und unterstütze das Handeln des Militärs. Im Allgemeinen seien die Werte bei der jungen Bevölkerung schwächer ausgeprägt als bei Älteren.

Experte: Putin hat ein Image als Stabilisator

Im vergangenen Monat gaben 81 Prozent der Befragten an, "besorgt" oder "sehr besorgt" über die Geschehnisse in der Ukraine zu sein. Das ist nur ein Prozentpunkt weniger als zu Kriegsbeginn im Februar. Mehr als zwei Drittel, nämlich 76 Prozent unterstützen die "Spezialoperation", kurz nach der Invasion waren es 81 Prozent.

"Das ist weiterhin eine sehr hohe Zustimmung", sagt Fella. Die ältere Generation informiere sich hauptsächlich über das Fernsehen, jüngere Menschen auch über soziale Medien. "Um an unabhängige Informationen zu kommen, muss man sich aber schon etwas auskennen", sagt der Experte.

Warum Putins Zustimmung so ungebrochen hoch ist, erklärt Fella so: "In den 1990ern Jahren ist es unter der Regierung von Boris Jelzin für viele Russen ökonomisch nicht gut gelaufen. Dann kam Putin und hat angekündigt, das Land sozial und wirtschaftlich zu stabilisieren." In vielen Fällen sei es für die Durchschnitt-Russen tatsächlich bergauf gegangen. "Putin nutzte die hohen Energiepreise zur Realisierung seiner Vorhaben und konnte sich als Stabilisator darstellen, als jemand, der Russland zu alter Grösse zurückführt und hierzu nicht die westliche Demokratie importieren muss“, erklärt der Experte.

Westliche Sanktionen könnten Effekt haben

Das habe Putin in eine Ebene gehoben, in der er kaum noch kritisierbar sei. "Wenn Fehler passieren, war es nicht Putin, sondern andere. Er ist nie wirklich schuld", beobachtet Fella. Der Krieg habe zu einem "rally 'around the flag'"- Effekt geführt – die Bevölkerung stehe in Kriegszeiten hinter ihrer politischen Führung noch enger zusammen.

Natürlich stelle sich die Frage, wie lange das andauere, sagt auch Fella. "Wenn die Sanktionen noch stärker wirken und die Wirtschaft sukzessive weiter schrumpft – wovon auszugehen ist – kann das für Putin problematisch werden", sagt er. Bislang würden die Sanktionen aber noch als Beleg für böse Absichten des Westens gegenüber Russland gesehen. "Der Krieg ist in diesem Narrativ die Folge des böswilligen Westens", sagt Fella.

Stark eingeschworen habe Putin die Bevölkerung allerdings nicht auf den Krieg. "Es herrscht kein Kriegsenthusiasmus, die Russen gehen grösstenteils ihrem Alltag nach", beobachtet er. Putin spreche schliesslich nicht von einem Krieg und dieser sei nicht überall sichtbar. "Putin hat bislang nicht auf eine Mobilisierung und Politisierung der Bevölkerung gesetzt", analysiert Fella.

Putin schont Städte wie Moskau und St. Petersburg

Die Bevölkerung sei nicht stark auf den Krieg eingeschworen ober mobilgemacht worden. Die Strategie sei vielmehr eine Depolitisierung. "Es geht eher darum, dass die Leute sagen: Putin weiss schon, was er macht. Wir sind die Guten", erklärt Fella. Dabei gehöre es auch zur Strategie des Kremls, die Metropolen wie Moskau und St. Petersburg zu schonen. "Die toten Soldaten kommen nicht aus den Grossstädten, sondern aus politisch weniger mächtigen Regionen wie zum Beispiel Dagestan", sagt er. Wenn es eine direkte Bedrohung für Putin gebe, käme sie aus den Metropolen. "Und das weiss er", kommentiert Fella.

Russen glauben vermehrt an längere Mission

Wenn die Lebensstandards dauerhaft schlechter würden, stelle sich die Frage, wie lange die Kreml-Narrative noch griffen. Ein Indikator in den Meinungsumfragen hat sich bereits geändert: Die Russen gehen mittlerweile selbst davon aus, dass die "Spezialoperation" länger dauern wird als angenommen.

In der Umfrage des "Lewada Instituts" glaubten im Juli 28 Prozent, dass die "Spezialoperation" länger als ein Jahr dauern wird. Im Februar hatten das nur 21 Prozent angegeben. Fella sagt deshalb: "Putin muss die Bevölkerung zum Durchhalten und zum Ertragen der Sanktionen motivieren". Ersatzteile würden bereits knapp, die Kosten für den Krieg stiegen sowohl menschlich als auch finanziell betrachtet. "Der Kreml wird seine Operation erklären und stärker für sie werben müssen", ist sich Fella sicher.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fliessen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäss dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Kreml gibt neue "Presserichtlinien" heraus

Die oppositionelle russische Website "Meduza" mit Sitz in Riga berichtete zuletzt über Handreichungen aus der russischen Präsidialverwaltung, die festlegen, wie fortan über den Krieg berichtet werden soll.

Dabei werden historische Ereignisse als Vorlage aufgeführt, etwa die Annahme des orthodoxen Christentums im Jahr 988 unter Grossfürst Wladimir dem Grossen, auch genannt "Taufe der Rus" sowie die Schlacht an der Newa 1240. Dabei hatte die Leibgarde des russischen Fürsten Alexander Jaroslawitsch über die schwedischen Truppen gesiegt.

Die Argumentation: Der Krieg gegen die Ukraine, in dem Russland die Unterdrückten verteidige, lege die staatlichen Grundlagen für Russland und dessen Entwicklung in den nächsten Jahrhunderten. Der Westen wolle Russland zerstören, um sich Zugang zu wichtigen Ressourcen zu verschaffen. Der Ukrainekrieg sei ein "Präventivschlag", um eine Wiederholung von 1941, als Russland von Nazi-Truppen angegriffen wurde, zu verhindern.

Über den Experten: Tobias Fella ist sicherheitspolitischer Referent des Hamburger Haus Rissen. Zuvor war er Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Stiftung Wissen und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Russische Aussen- und Sicherheitspolitik, neue Militärtechnologien und der Formwandel des Krieges sowie soziale Medien und Desinformationskampagnen.

Verwendete Quellen:

  • Levada Center: Conflict with Ukraine: July 2022. 17. August 2022
  • Taz.de: Neue Narrative für den Krieg. 3. August 2022
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Militärexperte: Russlands Armee "pfeift aus dem letzten Loch"

Der Militärexperte, Carlo Masala, hat seine Einschätzungen zum aktuellen Status der russischen Armee abgegeben. Russland habe nach Schätzungen bereits über 70.000 Soldaten in der Ukraine verloren, betonte Masala gegenüber "FOCUS online". Zudem hätte Putins Armee unglaublich viel Material verloren.
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