Die Lage zweier prominenter russischer Oppositioneller, die sich in Haft befinden, hat sich verschlechtert. Während die Haftbedingungen von Kreml-Kritiker Ilja Jaschin verschärft wurden, wurde Putin-Gegner Wladimir Kara-Mursa in ein Gefängniskrankenhaus verlegt. Noch sind die genauen Hintergründe unklar, doch schon jetzt macht sich unter Beobachtern eine Sorge breit.

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Es ist noch kein halbes Jahr her, dass das bekannteste Gesicht der russischen Opposition, Alexej Nawalny, im Straflager in Sibirien ums Leben kam. Verstummt ist der Protest gegen Wladimir Putin und sein Regime dadurch nicht. Doch die Angst unter den Oppositionellen ist gewachsen.

Seit dem Tod von Nawalny ist ihnen noch klarer geworden: Kein russischer Oppositioneller kann sich mehr sicher fühlen – weder auf freiem Fuss noch im Gefängnis, weder im Inland noch im Ausland.

Zwei Oppositionelle im Fokus

Umso unheilvoller klingen die Nachrichten, die dieser Tage aus dem Kreml kommen: Der prominente Kreml-Kritiker Wladimir Kara-Mursa ist in ein Gefängniskrankenhaus verlegt worden. Gleichzeitig wurden erst kürzlich die Haftbedingungen des Oppositionellen Ilja Jaschin verschärft.

Beide gelten als jahrelange Wegbegleiter von Nawalny. Ebenso wie Nawalny ist Kara-Mursa, Anführer der "Open Russia"-Demokratiebewegung, in der Vergangenheit bereits Opfer von Giftanschlägen geworden.

Die Vergiftungsversuche in den Jahren 2015 und 2017 haben den 42-Jährigen gezeichnet: Kara-Mursa leidet heute an einer Erkrankung des Nervensystems, kann seine Beine nicht mehr spüren. Er hatte die Anschläge nur knapp überlebt und musste monatelang in den USA behandelt werden.

Kara-Mursas Gesundheitszustand hat sich verschlechtert

Nun scheint sich sein Gesundheitszustand verschlechtert zu haben: Der Oppositionelle, der wegen "Hochverrats" und "Verbreitung falscher Informationen" über den Ukraine-Krieg zu einer Haftstrasse von 25 Jahren verurteilt worden war, wurde in eine Gefängnisklinik verlegt. Dem voraus gingen brutale Strafen und Isolationshaft und Monate, in denen Kara-Mursa jede medizinische Behandlung untersagt blieb.

Die genauen Hintergründe sind unklar, doch man fühlt sich schnell an den Fall Nawalny erinnert: Nawalny soll sich im Februar Angaben der Gefängnisverwaltung zufolge nach einem Gang im Freien "unwohl" gefühlt haben und "fast sofort das Bewusstsein verloren" haben. Es sei medizinisches Personal herbeigerufen worden, das jedoch nicht in der Lage gewesen sei, Nawalny wiederzubeleben.

Anwälte haben keinen Zugang zu Kara-Mursa

Die russischen Behörden sprachen in Bezug auf Kara-Mursa nur von einer "Untersuchung". Wie die Ehefrau des Oppositionellen, Jewgenija Kara-Mursa, mitteilte, hatten seine Anwälte keinen Zugang mehr zu dem Inhaftierten. Niemand weiss daher, wie es dem 42-Jährigen derzeit geht.

Kara-Mursa, der neben der russischen auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt, war massgeblich an der Schaffung westlicher Sanktionen gegen den Kreml beteiligt – betroffen war auch der Richter, der Kara-Mursa verurteilte. Nach dem Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 hatte Kara-Mursa ein "Antikriegskomitee" gegründet, um sich gegen den Einmarsch zur Wehr zu setzen.

Seine Verlegung in eine Klinik löste auch bei Beobachtern grosse Sorge aus. Bei X schreiben Nutzer von der Befürchtung, Kara-Mursa könnte "ohne Hilfe wie #Nawalny sterben". US-Senator Dick Durbin forderte den Kreml auf, "unverzüglich Rechenschaft über den Gesundheitszustand und den Aufenthaltsort" seines Freundes Wladimir Kara-Mursa abzulegen.

8,5 Jahre Haft für Ilja Jaschin

Als besonders gefährlich scheint Putin auch den 40-jährigen Ilja Jaschin zu empfinden, der im Dezember 2022 zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Dem Kreml gilt er als "ausländischer Agent". Der Vorwurf: Er soll bewusst Lügen über das russische Militär verbreitet haben.

Tatsächlich aber sprach der Politiker, der einst den Jugendflügel der liberalen Jabloko-Partei zusammen mit Nawalny anführte, nur das offen aus, was im ukrainischen Butscha passierte: Folter, Massaker, Massenvergewaltigungen.

Der Kreml schickte ihn zunächst für 15 Tage wegen "Widerstands gegen Mitarbeiter der Sicherheitskräfte" in Arrest, liess ihn im Anschluss aber nicht mehr frei. Die Aktionen, mit denen Jaschin in den letzten Jahren von sich reden machte, sind spektakulär: Er seilte sich von einer Brücke ab und setzte sich vor dem Kreml in Brand.

Kampf für demokratisches Russland

Seit dem Jahr 2000 stellt sich Jaschin offen gegen Putin und sein Regime: Er gründete einst die Jugendbewegung "Oborona" und führte zwischen 2012 und 2016 die kleine Oppositionspartei "People's Freedom Party" an. 2017 wurde er Gemeinderat in einem zentralen Moskauer Wahlkreis.

Dabei setzt er sich unermüdlich für ein demokratisches Russland ein, fordert eine neue Verfassung, in der eine einzelne Person nicht so viel Macht haben kann, wie Putin sie derzeit besitzt. Die Propaganda des Kreml verurteilt er aufs Schärfste, spricht von Manipulation der Öffentlichkeit und rechnet mit einem Regimewechsel durch einen Staatsstreich oder schwere soziale Unruhen.

Risiko ist Jaschin bewusst

Doch Jaschin kennt das Risiko, welches er eingeht. Ein Menschenleben, so sagt er selbst, sei für Putin nichts wert. Trotzdem sagt sogar aus der Haft in einem Interview: "Ich behalte meinen Optimismus" und versucht dort andere Gefangene zu überzeugen, nicht in den Krieg mit der Ukraine zu ziehen und keine Verträge mit dem Verteidigungsministerium zu unterzeichnen. Und das, obwohl sein Wegbegleiter Nawalny 2020 vergiftet wurde und sein Freund Boris Nemzow 2015 erschossen wurde.

Eine Flucht ins Ausland kam für den 40-Jährigen dennoch nie infrage. Was ihn antreibt: "Ich werde niemals beschämt die Augen senken müssen, wenn ich eines Tages gefragt werde: Was hast du gemacht, als Putins Truppen Kiew bombardiert haben und Odessa", erklärte er in einem Interview mit dem "Spiegel".

Im Fadenkreuz von Putin

Doch nun könnte Jaschin noch weiter ins Visier von Putin geraten: Die letzten Bilder, die von dem Kreml-Kritiker um die Welt gingen, zeigten ihn in Sträflingsuniform hinter dicken Gittern in Smolensk.

Inzwischen kam ans Licht: Im Frühjahr dieses Jahres wurde Jaschin für das Ausziehen seiner Jacke während des Frühstücks mit zehn Tagen Isolationshaft bestraft. Ausserdem wurde er in ein Zuchthaus mit verschärften Haftbedingungen verlegt, weil er sich weigerte, Ausrüstungsgegenstände für das russische Militär herzustellen.

Spaziergänge an der frischen Luft sind für ihn verboten, seine Familie darf er nur dreimal im Jahr sehen. Dabei scheint Jaschin zu ahnen, dass ihm dasselbe Schicksal drohen könnte wie Nawalny. Als er von dessen Tod erfuhr, liess er über seinen Anwalt verkünden: "Natürlich bin ich mir meiner eigenen Risiken bewusst. Ich sitze hinter Gittern, mein Leben ist in Putins Händen, und es ist in Gefahr." Ein neuer NawalnyJaschin und Kara-Mursa drohen, die traurige Nachfolge anzutreten.

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