Die USA, China und Frankreich testen eigene Waffen. Auch die Bundeswehr will zukünftig zu Hyperschall-Waffen forschen. Bisher lassen sich die Raketen kaum abwehren.
Wie funktionieren Hyperschall-Waffen?
Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren forschten die USA und die Sowjetunion an Hyperschall-Raketen. Auch damals wurden bereits Raketen mit Geschwindigkeiten jenseits der Mach 5-Grenze (ungefähr 6 000 Kilometer pro Stunde) entwickelt. Allerdings waren diese Raketen, ebenso wie moderne Interkontinental-Raketen, ballistische Flugkörper, deren Flugbahn berechenbar ist. Hyperschall-Waffen können hingegen ihre Flugbahn jederzeit während ihrem Flug ändern – ähnlich wie Marschflugkörper, beispielsweise dem US-amerikanischen Tomahawk, die allerdings wiederum nicht die Mach 5-Grenze überschreiten können.
Tim Thies vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg ist Experte für Hyperschall-Waffen. Er erklärt gegenüber unserer Redaktion die Funktionsweise der Hyperschall-Raketen so: "Die derzeit und in absehbarer Zukunft einsatzfähigen Hyperschallraketen funktionieren ähnlich wie ballistische Raketen. Sie werden bei ihrem Start von einer Antriebsrakete beschleunigt und in Richtung ihres Ziels abgeschossen. Nachdem diese Antriebsrakete ausgebrannt ist, fliegt der Rest der Rakete, der sogenannte Wiedereintrittskörper, ohne eigenen Antrieb mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit weiter bis er sein Ziel erreicht."
Warum sind Hyperschall-Waffen so gefährlich?
Hyperschallwaffen gelten wegen ihrer nur schwer zu kalkulierenden Flugbahn als nahezu unmöglich abzuwehren. Anders als ballistische Raketen, deren Flugbahn nach dem Start festgelegt ist, kann die Flugbahn von Hyperschall-Raketen bei höchster Geschwindigkeit zu jeder Zeit des Flugs geändert werden, was es ihnen etwa ermöglicht, im Zickzackflug Luftabwehrraketen oder Flak-Feuer auszuweichen. Auch das hohe Tempo macht es kompliziert, die Flugkörper abzuschiessen: Die Raketen können eine Geschwindigkeit von Mach 5 (ungefähr 6 000 Kilometer pro Stunde) überschreiten.
Hyperschall-Waffen-Experte Tim Thies erklärt: "Bestimmte Raketenabwehrsysteme, die ballistische Raketen weit ausserhalb der Erdatmosphäre abfangen können, sind gegen Hyperschallraketen, die viel tiefer fliegen machtlos, da sie nicht für die Abwehr auf dieser Flughöhe ausgerichtet sind. Andere Flugabwehrsysteme wiederum können Hyperschallraketen sogar leichter abfangen als herkömmliche ballistische Raketen." So beispielsweise Patriot-Raketenabwehrsysteme, die Flugkörper auf geringer Höhe abfangen.
Im Mai 2023 meldete die Ukraine nahe Kiew angeblich eine Hyperschall-Rakete vom Typ Kinschal abgeschossen zu haben. Das soll einer Patriot-Raketenbatterie aus US-amerikanischer Produktion gelungen sein. Allerdings weckt der Abschuss auch Zweifel an der effektiven Geschwindigkeit der Kinschal-Raketen aus russischer Produktion. Diese soll angeblich 12 000 km/h erreichen. Mit dieser Geschwindigkeit wäre sie aber für eine Patriot-Rakete nicht mehr einzuholen gewesen. Viel wahrscheinlicher wäre daher eine Geschwindigkeit um die 7 000 km/h. Experte Thies: "Das ist nachvollziehbar, weil die Kinschal-Rakete in der Endphase des Flugs durchaus langsamer als eine Iskander-Rakete (ballistischer Flugkörper, Anm. d. Red.) sein kann."
Wer besitzt Hyperschall-Technologie?
- Als erste Armee der Welt setzt Russland seit dem Überfall auf die Ukraine im Frühjahr 2022 Hyperschall-Raketen ein. Die Raketen vom Typ Ch-47M2 Kinschal werden von MIG-Kampfjets abgefeuert und häufig gegen Ziele im Hinterland eingesetzt, da sie von der Raketenabwehr der Ukraine nicht effektiv bekämpft werden können.
- Frankreich hat im Juni bereits erfolgreich eigene Hyperschall-Technologien getestet. Der Hyperschallgleiter V-Max erreichte über 6 000 km/h.
- In den USA scheiterte vergangene Woche der Test einer "Black Eagle"-Rakete. Es wäre der erste Test dieser Waffe gewesen. Bereits im März wurde ein vergleichbarer Test abgesagt.
- China ist ebenfalls an der Hyperschall-Technologie interessiert und hat angeblich eine Drohne entwickelt, die in der Lage ist, Hyperschall-Raketen abzufangen und abzuwehren. Bisher existiert diese Drohne lediglich als Computer-Entwurf, aber sollte sie in der Praxis funktionieren, wäre es die erste wirklich effektive Abwehrwaffe gegen Hyperschall-Raketen.
- Einem Bericht des wissenschaftlichen Diensts des US-amerikanischen Parlaments zufolge unterhalten darüber hinaus auch Australien, Indien, Japan, Süd- sowie Nordkorea Programme zur Erforschung und Entwicklung von Hyperschall-Technologie.
- Deutschland testete laut Informationen des wissenschaftlichen Diensts des US-amerikanischen Parlaments bereits 2012 Hyperschall-Gleiter, stampfte das Programm allerdings angeblich aus Kostengründen wieder ein.
Welche Abwehrmöglichkeiten hat die Bundeswehr gegen Hyperschall-Waffen?
An der Wehrtechnischen Dienststelle in Meppen (Landkreis Emsland) soll laut Bericht des NDR ein "Kompetenzzentrum Hyperschall" entstehen. Das teilt die Bundeswehr mit. In dem neuen Kompetenzzentrum sollen geeignete Abwehrstrategien erforscht und erprobt werden, heisst es.
Aktuell verfügt Deutschland darüber hinaus über Patriot-Abwehrsysteme. "Das Patriot-Flugabwehrsystem, über das auch Deutschland verfügt, hat in der Ukraine zuletzt gezeigt, dass es auch russische Kinschal-Raketen abfangen kann", so Experte Thies: "Allerdings lassen sich mit Patriot-ähnlichen Flugabwehrsystemen nur sehr begrenzte Regionen beschützen."
Generell sei die Idee, einen umfänglichen Schutz vor Raketen herzustellen laut Thies "illusorisch", da Abwehrsysteme wie der israelische "Iron Dome" nur gegen recht primitive Flugkörper effektiv sei. "Grössere Gebiete lassen sich vor dem Beschuss mit technologisch hochentwickelten Raketen aus weniger vorhersagbaren Positionen nur äusserst bedingt schützen. Das System zum Schutz des amerikanischen Festlands vor nordkoreanischen Raketen hat in seinen Tests beispielsweise nur eine Erfolgsquote von rund 50 Prozent", so Thies. Im NATO-Verbund könne man sich überlegen, wie man einzelne potenzielle Ziele besser schütze, ähnlich wie es die Ukraine tue. Dafür, dass es bisher trotzdem noch keinen russischen Raketenangriff auf Deutschland gab, gibt es auch einen guten Grund: Putin müsste zumindest mit der Möglichkeit rechnen, dass ein solcher Angriff für ihn verheerende Folgen hätte, so der Friedensforscher.
Über die Person: Tim Thies ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Er forscht zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Hyperschallwaffen.
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Einschätzung von Tim Thies.
- NDR.de: Hyperschallwaffen: Bundeswehr erforscht Abwehrstrategien
- Wissenschaftlicher Dienst des US-Congress: Hypersonic Weapons:
Background and Issues for Congress
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