Russland greift die Ukraine über die Grenze an, doch den Verteidigern sind die Hände gebunden: Sie dürfen mit westlichen Waffen nicht zurückschiessen. Derweil zeigt die Entlassung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu aus Sicht der USA die "Verzweiflung" von Präsident Wladimir Putin. Was seit Montagabend geschah.
Die Ukraine versucht, den grossen neuen Angriff russischer Truppen im Grenzgebiet nahe der Millionenstadt Charkiw zurückzuschlagen. Russische Kräfte drangen am Montag bis zum Nordrand der Stadt Wowtschansk etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw vor. Der ukrainische Generalstab in Kiew stellte es so dar, dass die Gegend von Angreifern gesäubert werde. Der russische Militärblog Rybar berichtete, die russischen Einheiten hätten sich dort festgesetzt.
Der ukrainische
Die Ukraine wehrt seit mehr als zwei Jahren eine grossangelegte russische Invasion ab. Angesichts der Verschlechterung der Lage für die Ukraine sagten Deutschland und die nordischen Länder der Ukraine weitere Waffenlieferungen zu.
Ukraine gruppiert Truppen um
Selenskyj und der Generalstab nahmen für die Verteidiger in Anspruch, die Lage unter Kontrolle zu haben. In der seit vergangener Woche angegriffenen Grenzregion bei Charkiw gebe es Gegenangriffe, sagte der Präsident am Montag in Kiew. "Das Gebiet ist verstärkt worden." Die Führung lasse auch andere Frontabschnitte nicht aus dem Auge. "Natürlich lassen wir die Gebiete um Donezk nicht ohne die nötige Unterstützung und den nötigen Nachschub, nämlich in Richtung Kramatorsk und Pokrowsk." Nach Einschätzung von Militärexperten ist ein Ziel des neuen russischen Angriffs, die Ukraine zum Abziehen von Truppen an anderen bedrohten Frontabschnitten im Osten zu zwingen.
"Die ukrainischen Soldaten fügen dem Feind Verluste zu, erobern ihre Stellungen zurück und erzielen in einigen Gebieten taktische Erfolge", hiess es im Bericht des Generalstabs. Im Laufe des Tages habe es an der Front im Osten und Süden 140 Gefechte gegeben. Selenskyj bestätigte Militärangaben, dass im Gebiet Donezk ein russischer Kampfjet vom Typ Su-25 abgeschossen worden sei.
US-Institut kritisiert Beschränkungen beim Waffeneinsatz
Der neue russische Angriff werde der Ukraine in den kommenden Monate grosse Probleme bereiten, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in einer Analyse. Der Experte George Barros kritisierte in der Analyse das Verbot von Washington, dass die Ukraine gelieferte Waffen aus den USA nicht gegen russisches Gebiet einsetzen dürfe. Dies schränke die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine ein. Für die russische Armee schaffe es dagegen eine Art Reservat, in dem sie ungehindert ihre Angriffe vorbereiten könne. Die russische Luftwaffe könne ungehindert aus eigenem Luftraum Gleitbomben auf die Grossstadt Charkiw abschiessen. Die USA und Deutschland haben Beschränkungen verhängt, weil sie hoffen, dass sich so eine Eskalation mit Russland vermeiden lässt.
USA: Russlands Umstellung der Verteidigungsspitze zeigt Putins Verzweiflung
Die Entlassung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu zeigt aus Sicht der USA die "Verzweiflung" von Präsident Wladimir Putin über die hohen Kosten des Kriegs in der Ukraine. "Unserer Ansicht nach ist das ein weiteres Anzeichen für Putins Verzweiflung, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzusetzen", sagte US-Aussenamtssprecher Vedant Patel am Montag.
Der Krieg gegen die Ukraine belaste die russische Wirtschaft stark, die russischen Truppen hätten schwere Verluste erlitten. Einige Schätzungen gingen von bis zu 315.000 Opfern aus, sagte Patel. Russland habe "diesen unprovozierten Krieg gegen die Ukraine begonnen". Putin könne ihn jederzeit beenden, "indem er seine Truppen aus der Ukraine abzieht".
Putin hatte den seit 2012 amtierenden Schoigu am Sonntag überraschend seines bisherigen Amtes enthoben und ihn stattdessen zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates ernannt, wie aus einem vom Kreml veröffentlichten Dekret zur Regierungsumbildung hervorging. Neuer Verteidigungsminister wird der Ökonom Andrej Beloussow.
Neue Rüstungszusagen aus dem Norden
Angesichts der russischen Offensive im Nordosten der Ukraine sagten Deutschland und die nordischen Länder weitere Waffen zu. "Wir sind geeint in unserer Unterstützung für die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen den russischen Angriff", versicherte Bundeskanzler
Finnlands Regierungschef Petteri Orpo sagte, die Lage auf dem Schlachtfeld sei kritisch und es sei an der Zeit, zu reagieren und mehr zu tun. "Wir wollen kein neues Mariupol in Charkiw sehen. Deshalb muss jedes einzelne Land im Westen, in der Europäischen Union sofort alles tun, was es kann." Konkrete neue Zusagen etwa für mehr Patriot-Flugabwehrsystemen gab es bei dem Treffen aber nicht. Die Bundesregierung versucht derzeit, weitere Patriot-Luftabwehrsysteme für die Ukraine zu organisieren.
Berlin schraubt Erwartungen an Friedenskonferenz herunter
Scholz dämpfte die Erwartungen an die Ukraine-Friedenskonferenz im Juni in der Schweiz. "Da sollte niemand überhöhte Erwartungen haben: Wir verhandeln dort nicht über das Ende des Krieges", sagte Scholz dem "Stern". "Bestenfalls ist es der Einstieg in einen Prozess, der zu direkten Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland führen könnte. Es wird in der Schweiz um die Sicherheit von Atomkraftwerken gehen, über Getreideexporte, über die Frage von Gefangenenaustausch und über das nötige Tabu, was einen Einsatz von Atomwaffen angeht. Noch mal: Das ist alles noch ein zartes Pflänzchen."
Über das Engagement der Europäer im Ukraine-Krieg zeigte sich der Sozialdemokrat nach seinen Appellen für mehr Waffenlieferungen enttäuscht. Es sei "offen gesagt noch nicht genug", resümierte er. "Das ist bedrückend, denn die Ukraine braucht dringend weitere Luftverteidigungssysteme. Putin will offensichtlich die Infrastruktur der Ukraine zerstören." (dpa/mbo)
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