• Russland ist im Krieg gegen die Ukraine auf Nachschub über Eisenbahnen von Treibstoff, militärischen Fahrzeugen, Munition und sonstigem Kriegsgerät angewiesen.
  • Die Partisanengruppe "Stoppt die Waggons!" sabotiert nun diese wichtigen Transporte und ruft zum Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg auf.
  • In der russischen Öffentlichkeit ist die Gruppe bislang noch relativ unbekannt.

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Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist der von Kreml-Chef Wladimir Putin gewünschte schnelle Erfolg der Eroberung ausgeblieben. Die Ukraine verteidigt sich bislang mit Erfolg. Jüngst wurde die Region um Charkiw befreit und auch im Süden gewinnen die ukrainischen Soldaten Schritt für Schritt ihr Land zurück.

Die von Wladimir Putin verkündete Teilmobilmachung ist beendet und der Winter kommt. Der Militär-Experte Niklas Masuhr vom Center for Security Studies der Universität ETH in Zürich prophezeit im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: "Auch ohne Einwirkung der Ukrainer wird der Winter eine grosse Herausforderung für die Russen." Weitere Vorstösse Russlands seien eher unwahrscheinlich, die russische Offensivfähigkeit sei gebrochen, so der Wissenschaftler.

Partisanengruppe "Stoppt die Waggons!" stellt Russland vor Probleme

"Für die Russen geht es noch darum, sich über den Winter einzugraben. Die Truppen sind in so schlechtem Zustand, dass nicht klar ist, ob sie das schaffen," erklärt Masuhr. Die ohnehin schon am Boden liegende Moral der russischen Truppen werde durch die schwierigere Versorgungslage im Winter auch nicht besser. Vor diesem Hintergrund wiegen die Aktionen der Widerstandsgruppe "Stoppt die Waggons!" noch schwerer.

Diese Partisanengruppe, die auf russisch "Ostanowi wagony!" heisst, attackiert gezielt das Schienennetz in Russland, um so Militärtransporte, die in das Kampfgebiet in der Ukraine gehen, zu stören. Die Schienenpartisanen bekennen sich online für die Sabotageakte, rufen zu aktivem Widerstand auf und geben Anleitungen für jedermann. Wer hinter der Organisation dieser Anti-Kriegs-Gruppe steht, ist bislang nicht bekannt.

"Stoppt die Waggons!" – Geheimdienste haben Widerstandsgruppe auf dem Schirm

Die Aktionen der Partisanengruppe hatten nach Informationen der dpa bereits Anfang Oktober die Aufmerksamkeit des russischen Inlandgeheimdiensts FSB geweckt. Bei einem erfolglosen Versuch der Sabotage einer Bahnanlage im Nordkaukasus wurden zwei bewaffnete Männer bei der Installation eines Sprengsatzes erwischt und nach Widerstand getötet.

Nun hat es die Widerstandsgruppe auch in den täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geschafft. In dem Geheimdienst-Update heisst es, der Gouverneur der russischen Region Belgorod habe bekanntgegeben, dass ein Sprengsatz die Eisenbahn in der Nähe des Dorfes Nowosybkow, das sich 15 Kilometer von der russisch-belarussischen Grenze befindet, beschädigt hatte. Diese Strecke ist eine der wichtigsten Eisenbahnverbindungen zwischen Russland und dem südlichen Belarus.

Für die Aktion zeichne die Gruppe "Stoppt die Waggons!" verantwortlich. Der Journalist Alex Kokcharov verbreitet auf Twitter Fotos von der Zerstörung der Bahngleise. Nach seinen Informationen agiert die Gruppe seit Mai 2022. Auch beim britischen Journalisten Tim White finden sich Fotos der Zerstörung von Aktionen der Schienenpartisanen.

Britisches Verteidigungsministerium über "Stoppt die Waggons!": Teil eines Trends

Laut dem britischen Verteidigungsministeriums soll es mindestens der sechste Schienensabotageakt seit Juni 2022 sein, für den die Gruppe verantwortlich ist. In dem Bericht heisst es, die Sabotageakte seien "Teil eines umfassenderen Trends von Anschlägen auf Eisenbahnen sowohl in Russland als auch in Belarus."

Das russische Militär verlasse sich hauptsächlich auf den Schienentransport, um seine Streitkräfte in die Ukraine zu bringen. Das ca. 85.000 Kilometer umfassende Schienennetz (Laut Statistisches Bundesamt, Stand 2019) führe aber grösstenteils durch abgelegene Gebiete, die sehr schwierig gegen physische Bedrohungen zu sichern seien.

Aufgrund der im UK-Bericht beschriebenen geographischen Lage des Schienennetzes, kann theoretisch jeder Bürger zum Widerständler werden und Sabotage an den Schienen üben. Und genau das versucht "Stoppt die Waggons!" mit seiner Online-Anleitung zu erreichen.

"Stoppt die Waggons!" gibt Online-Anleitung für Sabotage an Bahngleisen

Auf der Website der Widerstandsgruppe und auf dem zugehörigen Telegram-Kanal, der mehr als 9000 Abonnenten hat, ruft die Gruppe zu entsprechenden Aktivitäten auf. Jeder vernünftige Russe verstehe, "dass das Putin-Regime einen Krieg gegen die brüderliche Ukraine entfesselt hat." Jeder Russe könne helfen, den Krieg zu stoppen. Der einfachste Weg sei die Blockierung oder Verlangsamung der Eisenbahn-Transporte.

Anhand von Bildern erklärt die Partisanengruppe auf ihrer Website, wie Gleise mit relativ wenig Aufwand so sabotiert werden können, dass sie blockiert sind und Material nicht mehr transportiert werden kann. Mit einem einfachen Draht, der auf beiden Seiten der Schiene angebracht wird, könne man die Gleise kurzschliessen und damit ein automatisches Signal auslösen, dass der Weg belegt ist. Die Ampel für die Eisenbahn leuchte dann rot.

"Indem du die Arbeit der Bahn sabotierst, rettest du Leben auf beiden Seiten der Front!", schreiben die Aktivisten dazu. Und sie raten dazu, Gummihandschuhe zu tragen, um sich zu schützen wie auch im Allgemeinen das eigene Wohl an erster Stelle zu stehen habe: "Vergiss nicht: Widerstand muss für dich sicher sein!"

Partisanengruppe "Stoppt die Waggons!" fordert Sabotageaktionen in ganz Russland

Darüber hinaus weisen die Aktivisten darauf hin, an welchen Stellen im Land die Sabotage der Eisenbahnlinien besonders wirkmächtig ist: "Zunächst einmal ist es wichtig, den Eisenbahnverkehr in den Regionen zu stoppen, aus denen militärische Ausrüstung in die Ukraine gelangt, Raketen abgefeuert und Bomber gestartet werden." Dazu hat die Widerstandsgruppe eine Karte der Flugplätze, von denen Kampfflugzeuge in die Ukraine fliegen entworfen.

Im Prinzip sei der Widerstand aber im ganzen Land wichtig, weil Treibstoff und Munition aus Militärdepots transportiert werden, die über das ganze Land verteilt sind. Dafür hat die Gruppe eine Liste mit besonders wichtigen Regionen und Eisenbahnknotenpunkten hochgeladen.

Dazu gehören die Moskauer und St. Petersburger Bahnknoten, die Schienenwege nach Belarus und die Regionen Belgorod, Wolgograd, Woronesch, Kaluga, Krasnodar, Rostow und die seit 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim.

Militärexperte: Russische Truppen weigern sich, in den Kampf zu ziehen

Nach Schätzung der Gruppe selbst, lässt die Häufigkeit der Attacken auf die Eisenbahnlinien auf mittlerweile 20 tätige Widerstandsgruppen schliessen. Eine Karte mit den bisherigen Aktionen verbreitet sich derzeit auf Twitter. Dieser Widerstand kommt der russischen Führung angesichts der jüngsten militärischen Rückschläge äusserst ungelegen. Wenn der Nachschub unterbrochen wird, kann das verheerende Auswirkungen auf die Front haben – militärisch und moralisch.

Denn trotz der jüngsten Raketen- und Drohnenangriffe zeigen sich die Ukrainer kaum eingeschüchtert. Der Militärexperte Niklas Masuhr spricht von täglichen Berichten von russischen Truppen, die sich weigerten, in den Kampf zu ziehen. Aufgrund der Zusammenwürfelung der Truppen – Masuhr redet von regulären Soldaten, Häftlingen, jungen und alten Zwangsrekrutierten – fehle es an Zusammenhalt: "Mit so einem Flickenteppich kann man sich verteidigen, aber Offensiven stellen höhere Anforderungen an Ausbildung und Zusammenhalt."

Konfliktforscher über Putin: Ihm stehen noch eine Menge Optionen zur Verfügung

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten des Kremls der vergangenen Woche umso beunruhigender. Aus Moskau waren diverse Warnungen zu hören gewesen – vom Verteidigungsminister bis zum Präsidenten selbst – die Ukraine wolle eine sogenannte schmutzige Bombe zünden, um dafür Russland verantwortlich zu machen. Die Frage, ob Putin seine Gegner damit einschüchtern will, stellt sich seither unter den Unterstützern der Ukraine.

Der Konfliktforscher Hein Goemans hat dem Spiegel dazu gesagt: "Die Debatte dient Putin vor allem dazu, in Westeuropa weiter Angst vor dem Einsatz russischer Atomwaffen zu schüren." Wenn Putin eine Atomwaffe beispielsweise in der Nähe der ukrainischen Grenze testen würde, käme es darauf an, wie sich der Westen verhält; Putin könnte so die Solidarität mit der Ukraine testen. "Ich fürchte, ihm stehen leider noch eine Menge Optionen zur Verfügung," resümiert Goemans.

Britisches Verteidigungsministerium über "Stoppt die Waggons!": Russische Führung zunehmend besorgt

Blickt man vor diesem Hintergrund auf die Frage nach innerrussischem Widerstand, sind Regimekritiker wie Superstar und Sängerin Alla Pugatschowa, ihr Mann und Komiker Maxim Galkin, der Oppositionspolitiker Maxim Resnik, oder auch der Musiker Juri Schewtschuk umso wichtiger, als sie einen Stein ins Rollen bringen können, der mit einem entsprechenden Klima in der Öffentlichkeit Aktionen wie die der Gruppe "Stoppt die Waggons!" weiter befördert.

Für das britische Verteidigungsministeriums ist die Bewertung klar: "Die russische Führung wird zunehmend besorgt darüber sein, dass selbst eine kleine Gruppe von Bürgern den Krieg so vehement ablehnt, dass sie zu physischen Sabotageakten greift."

Transparenzhinweis: Im neunten Absatz des Artikels war in einer früheren Fassung zu lesen, dass das russische Schienennetz insgesamt ca. 33.000 Kilometer Länge umfasst. Dies ist nicht korrekt, tatsächlich beträgt die Gesamtlänge des Streckennetzes nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ca. 85.000 Kilometer.

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Verwendete Quellen:

  • Deutsche Presse-Agentur
  • Spiegel.de: „Putin hat leider noch viele Optionen“
  • Twitter.com: Alex Komcharov
  • Twitter.com: Karte bisheriger Aktionen gegen die Eisenbahn
  • Twitter.com: Ministry of Defence UK
  • Twitter.com: Tim White
  • Website von Stoppt die Waggons!
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