Ein Geschäftsmann aus Russland behauptet, die Grossväter von drei deutschen Politikern seien bekannte Nationalsozialisten gewesen. Die Behauptungen sind falsch. Der Mann dahinter steht unter Verdacht, die "Internet Research Agency" zu finanzieren – auch bekannt als "russische Trollfabrik".
Am 5. März veröffentlichte der Account "Pressedienst der Firma Concord" im sozialen Netzwerk VK ein Zitat des Russen Jewgeni Prigoschin. Er behauptete: Der Grossvater von Bundeskanzler
Binnen weniger Stunden tauchten im Internet die ersten Bildcollagen auf, die auf den Behauptungen von Prigoschin aufbauen – doch sie zeigen nicht die SS-Grossväter von Scholz, Lindner und
Wer ist Jewgeni Prigoschin?
Prigoschin leitet das Gastronomie- und Catering-Geschäft "Concord" und gilt laut dem FBI als Mann hinter der russischen Internet Research Agency (IRA). Am 16. Februar 2018 wurde in den USA ein Haftbefehl gegen Prigoschin ausgestellt. Er steht unter Verdacht, von 2014 bis 2018 an konspirativen Aktivitäten gegen die Vereinigten Staaten beteiligt gewesen zu sein.
Die IRA wurde vor einigen Jahren weltweit als "russische Trollfabrik" bekannt; sie arbeitet mit gefälschten Social-Media-Profilen, die sich in politische Debatten im Internet einmischen.
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1. Bild: Fritz von Scholz ist nicht der Grossvater von Bundeskanzler Olaf Scholz
Am 10. April teilte die pro-russische deutsche Influencerin Alina Lipp die drei Bildcollagen in ihrem Telegram-Kanal, wo immer wieder russische Desinformation über den Krieg in der Ukraine erscheint. Die erste Collage zeigt den SS-Mann Fritz von Scholz als angeblichen Grossvater von Olaf Scholz.
"Nein, das ist völliger Unsinn", schrieb ein Sprecher der Bundesregierung zu dem im Netz kursierenden Bild. Auf der Webseite von Scholz steht, sein Grossvater sei ein "Eisenbahner" gewesen. Dies bestätigt auch ein Eintrag im Archiv des biografischen Nachschlagewerks Munzinger, wonach Scholz’ Grosseltern in Hamburg lebten.
2. Bild: Es stimmt nicht, dass dieser SS-Mann der Grossvater von Karl Lauterbach war
Eine zweite Bildcollage zeigt den angeblichen Grossvater von Gesundheitsminister Karl Lauterbach: SS-Obergruppenführer Hartmann Lauterbacher. In deutschen Beiträgen wird sein Name oft falsch geschrieben – sie nennen ihn Hartmann Lauterbach. Doch die Behauptung ist falsch, schrieb das Gesundheitsministerium auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.
Ein Blick in die Lebensläufe von SS-Mann Lauterbacher aus Österreich und Gesundheitsminister Karl Lauterbach aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die Behauptung aus der Luft gegriffen ist. Ein Beispiel: Die Kinder von Hartmann Lauterbacher heissen laut einer Recherche der Braunschweiger Zeitung Jörg, Ilse und Klaus. Die Eltern von Karl Lauterbach heissen dagegen laut eines Berichts der TZ Wilhelm und Gertrud.
3. Bild: Laut Finanzministerium ist auch die Behauptung über Christian Lindners angeblichen Grossvater falsch
Auf Telegram und Facebook wird auch behauptet, der Grossvater von Finanzminister Christian Lindner sei "Brigadeführer bei der SS", Gerhard Lindner gewesen. Bei einer Internetrecherche fanden wir keine Hinweise darauf, dass er SS-Brigadeführer war. Gerhard Lindner diente offenbar als Oberst in der 17. SS-Panzer-Grenadier-Division "Götz von Berlichingen".
Doch die Männer sind nicht miteinander verwandt, wie ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums mitteilte. Aus Medienberichten über Christian Lindner und aus seinem Profil beim Deutschen Bundestag geht hervor, dass er am 7. Januar 1979 in Wuppertal in Nordrhein-Westfalen geboren wurde und seine Grosseltern dort eine Bäckerei hatten. Dasselbe steht auch im Munzinger-Archiv.
Kriegsbegründung der "Entnazifizierung" wird auf Europa ausgeweitet
Ob die IRA oder eine andere Trollfabrik hinter den Bildcollagen der angeblichen Grossväter von deutschen Politikern steckt, lässt sich nicht sicher sagen. Belegt ist nur die Verbindung des Narrativs zu Prigoschin, worüber CORRECTIV hier ausführlich berichtete.
Was sollen diese Bilder bewirken? "Die hier verbreitete Desinformation zu angeblichen Vorfahren deutscher und europäischer Politiker dient vor allem der Diskreditierung eben dieser Politiker, aber baut auch das Argument einer vermeintlichen notwendigen Entnazifizierung der Ukraine aus und überträgt es auf Europa", schrieb Josef Holnburger CORRECTIV.Faktencheck.
Holnburger arbeitet als Forscher für das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das die Verbreitung von Desinformation analysiert. "Mit Beiträgen wie diesen werden Feindbilder konstruiert und manifestiert – das Feindbild wird dabei oft als extrem böse überzeichnet, was wiederum besonders harte Massnahmen gegen den vermeintlichen Feind rechtfertigen soll: An diesem Beispiel auch kriegerische Handlungen."
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