• Der Krieg in der Ukraine hat bereits zahlreichen Menschen das Leben gekostet.
  • Die Angaben zu den getöteten Soldaten gehen allerdings weit auseinander – sie liegen zwischen 10.000 und weit über 100.000.
  • Woher kommen die Zahlen und welche Werte sind realistisch?
  • Politikwissenschaftlerin Margarete Klein hilft bei der Einordnung.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Wie viele Soldaten haben in der Ukraine seit Beginn des Krieges ihr Leben gelassen? Darüber gibt es höchst unterschiedliche Angaben. Manche beziffern die russischen Verluste auf knapp über 10.000, andere sprechen von weit über 100.000. Wie kann das sein?

"Die Zahlen kommen aus ganz unterschiedlichen Quellen. Es handelt sich zum Beispiel um Angaben westlicher Geheimdienste, des ukrainischen Generalstabs oder des russischen Verteidigungsministeriums", sagt Politikwissenschaftlerin Margarete Klein.

Auch Recherchekollektive, wie beispielsweise "Mediazona", das mit "BBC News Russian Service" zusammenarbeitet, veröffentlichen Zahlen. "Den Zahlen liegen unterschiedliche Zeitpunkte, Methoden, Definitionen und teilweise auch unterschiedliche Interessen zugrunde", sagt die Expertin weiter.

Tote oder "unwiederbringliche Verluste"?

Während manche Zahlen ausschliesslich tote Soldaten beziffern, geben andere "unwiederbringliche" Verluste an – beziehen also auch verwundete Soldaten oder Kriegsgefangene mit ein.

"Die niedrigste Zahl von allen ist die, die nur offiziell bestätigte Todesfälle angibt, beispielsweise durch Angehörige", sagt Klein. So geht zum Beispiel das Recherchekollektiv "Mediazona" vor. Es nennt auf russischer Seite 10.229 tote Soldaten (Stand 30. Dezember). Man gehe aber davon aus, dass man mit mindestens 40 bis 60 Prozent höheren Zahlen rechnen müsse, so Klein.

Bei Social Media bestätigte Todesfälle

"Mediazona" schreibt auf seiner Website selbst: "Diese Zahlen stellen nicht die tatsächliche Zahl der Todesopfer dar, da wir nur öffentlich verfügbare Berichte überprüfen können, einschliesslich Social-Media-Posts von Verwandten, Berichte in lokalen Medien und Aussagen der lokalen Behörden."

Man betrachte einen Todesfall nur dann als bestätigt, wenn es eine offizielle Veröffentlichung darüber gebe. Das kann etwa ein Social-Media-Beitrag eines Angehörigen sein, oder eine Veröffentlichung von lokalen Messaging-Gruppen, aber nur, wenn Fotos des Verstorbenen dabei sind oder Daten zu der Bestattung oder dem Grab geteilt werden. Verluste bei selbsternannten Streitkräften zählt "Mediazona" nicht mit.

Warum die Zahlen verschleiert werden

"Auch die Zahlen des russischen Verteidigungsministeriums muss man vermutlich als viel zu gering ansehen, allerdings aus Gründen der Propaganda", sagt Expertin Klein. Es gäbe ein politisches Interesse, sie gering zu halten. "Man will die Kosten des Krieges auf allen Ebenen verschleiern", analysiert Klein. Gleichzeitig sei es in Russland eine Straftat, Informationen über militärische Verluste zu publizieren, "deshalb kommen überhaupt nur wenige Zahlen ans Licht".

In der letzten offiziellen Erklärung aus Moskau von September hiess es, seit Beginn des Ukraine-Krieges seien 5.937 Soldaten getötet worden. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu widersprach Berichten über eine wesentlich höhere Zahl von Toten.

So sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Dezember in einer Videoansprache über die getöteten Soldaten aus Russland: "Bisher sind es knapp 99.000 Soldaten, in wenigen Tagen erhöhen sich die Verluste der Besatzer auf 100.000".

Noch höher sind die Zahlen, die US-General Mark Milley im November genannt hatte. Bislang seien insgesamt 200.000 Soldaten getötet oder verwundet worden, davon weit über 100.000 auf russischer Seite.

"Bei vielen Zahlen handelt es sich um aggregierte Daten, das heisst, ihnen liegt eine Kombination verschiedener Quellen zugrunde. Dazu zählen beispielsweise abgehörte Telefonate über Verluste", sagt Klein. Zu den Methoden der Geheimdienste zählen auch Analysen von Medienberichten, Satellitenbildern, Videomaterial sowie Angaben aus Russland und der Ukraine selbst. Um sich der Zahl der Kriegstoten zu nähern, werden zudem Berichte von Bestattungsunternehmen und Auszüge aus Leichenhallen herangezogen.

Demoralisierung der Truppe verhindern

Insgesamt seien die kursierenden Zahlen nur schwierig zu vergleichen. "Die ukrainischen Zahlen sind sehr konkret, unter Verluste zählt man hier aber auch Verwundete und Kriegsgefangene", merkt die Expertin an.

Es seien auf russischer und ukrainischer Seite lange keine offiziellen Zahlen herausgegeben worden, auch westliche Geheimdienste würden Informationen nur zurückhaltend teilen. Vor allem die ukrainische Armee hatte sich bislang bei Angaben zu Verlusten lange bedeckt gehalten und nur die Zahl angeblich getöteter russischer Soldaten genannt. "Da spielen Sicherheitsgründe eine Rolle, aber es ist auch ein Versuch, der russischen Propaganda keine Information zu liefern, die diese gegen die Ukraine verwenden kann, im Versuch, die ukrainischen Streitkräfte und Zivilbevölkerung zu demoralisieren", analysiert Klein. Auch Sicherheitsgründe spielen eine Rolle.

Denn die Verluste wirken sich unmittelbar auf die Kampfeffektivität der Einheiten aus. Eine Einheit gilt als kampfunfähig, wenn sie zehn Prozent ihrer Stärke verliert. Als Moskau etwa einen Monat nach Beginn des Krieges von knapp 500 Toten und Verwundeten sprach, machte US-Amerikaner Scott Berrier, Direktor des militärischen Nachrichtendienstes "DIA" bereits Angaben von 2.000 bis 4.000 getöteten Soldaten.

Lesen Sie auch:

  • Dutzende Menschen in Dnipro weiter vermisst - Die Lage im Überblick
  • Ukrainischer Botschafter Makeiev: "Deutsche Panzer sind überlebenswichtig"
  • Krieg in Ukraine läuft nicht nach Plan – Machtkampf in Putins Truppen

Propaganda aus dem Kreml

"Der Kreml propagiert höchstwahrscheinlich falsche Zahlen. Die eigenen Verluste werden heruntergespielt, die des Gegners übertrieben", glaubt die Expertin. Russland versucht, laufend neue Männer für den Krieg zu rekrutieren. Würden sie ein realistisches Bild der Lage kennen, ist anzunehmen, dass noch mehr als bisher versuchen würden, das Land zu verlassen. Dazu kommt, dass über die Verluste der russischen Söldnertruppen wie Wagner keine Zahlen vorliegen. Damit lässt sich das wahre Ausmass russischer Gefallenenzahlen weiter verschleiern.

Selenskyj kommentierte vor Kurzem: Die Verantwortlichen in Moskau führten Krieg und "verschwenden Menschenleben - das Leben anderer Menschen, nicht das ihrer Angehörigen, nicht ihr eigenes Leben, sondern das anderer".

Moskau berichtet von Einnahme von Soledar - Kiew dementiert

Die russischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben die vollständige Kontrolle über die seit Monaten heftig umkämpfte Stadt Soledar im Osten der Ukraine übernommen. Kiew bestritt die russischen Angaben umgehend.
An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fliessen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäss dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Verhältnis von Toten und Verwundeten

Ende des Jahres gab Selenskyjs eigener Berater, Mychajlo Podoljak, die Zahl der ukrainischen Gefallenen mit 13.000 an. Auch das könnte untertrieben sein. Russische Militärblogger auf Twitter und anderen Plattformen beziffern die "unwiederbringlichen Verluste" der Streitkräfte der Ukraine bis zum 20. Oktober mit 402.000 Menschen, davon 387.000 Getötete.

Ukrainischen Quellen beschreiben zumindest das Verhältnis von Toten im Verhältnis zu den Verwundeten als plausibel: Schwere Verwundungen bedeuten in der Ukraine oft den sicheren Tod, weil "Feldlazarette nur auf dem Papier existieren, und sich niemand um Verwundete kümmert".

Feststeht letztlich nur: Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich die Zahlen der Soldaten, die in der Ukraine ihr Leben lassen mussten, auf beiden Seiten nicht unabhängig prüfen.

Über die Expertin:
Dr. Margarete Klein leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Aussen- , Sicherheits- und Militärpolitik Russlands, Russlands Nahost- und Asienpolitik sowie Moskaus Verhältnis zur NATO.

Verwendete Quellen:

  • Mediazona: Russian casualties in Ukraine. Mediazona count, updated
  • ZDF: Verluste im Ukraine-Krieg : Selenskyj: 99.000 russische Soldaten getötet
  • Merkur.de: Verluste im Ukraine-Krieg: US-General nennt 200.000 getötete oder verwundete Soldaten
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.