Hitze, wolkenloser Himmel, Trockenheit: Für viele Menschen ist der Sommer die Erlösung von den tristen, kalten Wintertagen. Doch für Soldaten an der ukrainischen Front können genau diese Dinge Lebensgefahr bedeuten. Welche Hürden sie überwinden müssen, was ihnen aber auch helfen kann, erklärt Militärexperte Frank Sauer.
Der dritte Kriegswinter neigt sich in der Ukraine langsam dem Ende zu. Zwar ist nach Angaben von Quellen vor Ort die Frontlinie noch immer aktiv, doch es mache sich mittlerweile bemerkbar, dass sowohl die russische als auch die ukrainische Seite ihre nächsten Schritte planen. Seit Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist, hatten beide Seiten vor allem im Winter mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen. Doch wie sieht es im Sommer aus? Welche Hürden müssen die Soldaten überwinden? Was könnte sich im Positiven verändern? Frank Sauer, Politologe und Militärexperte bei der Münchener Bundeswehr-Universität, gibt einen Überblick.
Nach dem Schlamm die Trockenheit
„Der wesentliche Effekt des Sommers ist sicher, dass, nach Ende der Schlammperiode, der trockene feste Boden wieder mehr Mobilität erlaubt“, erklärt Sauer auf Anfrage unserer Redaktion. Aber was bedeutet das?
Mobilität kann für beide Seiten im Krieg sowohl positiv als auch negativ sein. Im Osten der Ukraine, das ist wichtig zu wissen, sind Mobilität und Infrastruktur ein grosses Thema, denn: Viele Jahre lang hatte die ukrainische Regierung ihren Fokus eher auf den Westen des Landes gelegt. Strassen wurden demnach vor allem in den Regionen um Kiew, Lwiw, Winnyzja und in ähnlichen Gebieten angelegt.
Im Donbas starteten Bemühungen im Strassenbau erst nach den Maidan-Protesten und den darauffolgenden Kampfhandlungen prorussischer Separatisten und der eigentlich ersten Invasion Russlands in die Ukraine, die mit Besatzungen in den Regionen Donezk und Luhansk endeten. Erst dann begann die ukrainische Regierung, die Region wieder in den Fokus zu nehmen. Doch die Strassen, vor allem in ländlichen Gebieten, sind bei Weitem nicht einfach befahrbar.
In der Schlammperiode ist es am schwersten. Sowohl für die Bevölkerung als auch für das Militär, das während der andauernden Kampfhandlungen seit der Invasion ständig gerade in diesen ländlichen Gebieten unterwegs ist.
Im Sommer kommen Truppenfahrzeuge natürlich wieder einfacher von A nach B – das ist ein Vorteil. Aber eben auch für die russische Seite. Denn auch sie hat es dementsprechend leichter, Truppen zu bewegen, Munition und Gerät zu liefern – oder im Zweifelsfall auch zu flüchten.
Drohnen sind vom Wetter abhängig
„Gutes Drohnenflugwetter“, sagt Frank Sauer, „ist sicherlich auch ein wichtiger Aspekt“. Drohnen sind im Krieg in der Ukraine ein wesentlicher Bestandteil der Kampfhandlungen geworden. Viele sprechen in diesem Zusammenhang sogar vom ersten Drohnenkrieg. Im Winter allerdings, bei schlechtem Wetter, bei Wind, Regen oder Schneefall, lassen sich Drohnen eher schwerer einsetzen. Es hängt natürlich immer vom Modell ab, aber grundsätzlich sind Drohnen vom Wetter abhängig. Zum einen wegen der Sicht – das ist insbesondere bei eher günstigeren Drohnen, die nicht mit Wärmebild arbeiten, wichtig. Allerdings auch, weil das stetige Ankämpfen gegen den Wind die Batterie stark belastet. Heisst: Die Reichweite wird verkürzt. So können Ziele, die weiter entfernt sind, seltener ausgespäht, seltener beschossen werden.
Im Sommer ist das gerade umgekehrt. Wenn das Wetter gut ist, kaum eine Wolke am Himmel, kaum Wind und dementsprechend gute Sicht herrscht, müssen sowohl Soldaten als auch Zivilistinnen und Zivilisten in Frontnähe ganz besonders vorsichtig sein.
Ebenso wie der Boden heizen sich Minen auf
Minen sind im gesamten Kriegsgebiet – und auch in den bereits befreiten Orten – ein grosses Problem. Ein ukrainischer Soldat, der nicht genannt werden möchte, berichtet auf Anfrage unserer Redaktion, dass seine Einheit bei jeder Rotation in die Schützengräben über ein Minenfeld rennen müsse. Zusätzlich zu dem anhaltenden Artilleriebeschuss, was dazu führe, dass seine Einheit bei fast jeder Rotation Verluste zu beklagen habe. Klar ist: Die ukrainischen Streitkräfte versuchen selbst an der aktiven Frontlinie, Minenfelder so gut es geht zu klären. Und gerade dort arbeiten sie meist mit Drohnen.
Militärexperte Sauer erklärt, dass dies insbesondere im Sommer erleichtert wird. Denn bei sommerlichen Temperaturen gebe es die Möglichkeit, tagsüber aufgeheizte Minen am Boden mit Infrarotkameras am Abend besser aufklären zu können.
Minen heizen sich genauso wie der Boden auf, wenn die Sonne darauf scheint. Am Abend, wenn die Temperaturen sinken, kühlt auch der Boden wieder ab. Ebenso wie die Minen – doch aufgrund ihrer Materialien in einer anderen Geschwindigkeit als Lehm, Erde oder Sand.
In schwerer Ausrüstung durch die Hitze
Der gleiche Soldat, der von den Minenfeldern berichtete, erklärt zudem, dass seine Einheit eben wegen der grossen Gefahr beim Schichtwechsel die Schichten auf mehrere Tage in die Länge zieht. „Dann trage ich lieber ein paar Flaschen Wasser mehr“, sagt der Soldat. Doch je wärmer es wird, desto mehr Wasser benötigen die Kämpfer.
Wer schon einmal im Leben Schutzweste und Helm getragen hat, kann sich vielleicht vorstellen, welches Gewicht Soldaten an der Front tragen müssen. Es gibt Unterschiede beim Gewicht, doch viele Soldaten müssen aufgrund finanzieller Probleme auf Stahlplatten unter ihren Westen zurückgreifen. Sie sind günstiger als etwa Keramikplatten, aber bieten denselben Schutz: vor Metallteilen (Schrapnelle), die im Falle von Beschuss durch die Luft geschossen werden und auch vor Langwaffenmunition. Doch im Vergleich zu vielen Keramikarten sind Stahlplatten besonders schwer. Zusätzlich zur restlichen Ausrüstung wie Erste-Hilfe-Sets, Werkzeug und Waffen tragen die Soldaten demnach besonders viel Gewicht am Körper.
Im Sommer kann das zur Gefahr werden. Vor allem in Kombination mit Wassermangel. Sauer erklärt auch, dass die Kämpfer beispielsweise in Fahrzeugen besonders ins Schwitzen geraten, da Panzer oder Personell Carrier in der Regel nicht mit einer Klimaanlage ausgestattet sind. „Die Hitze macht natürlich zu schaffen“, erklärt er, „in und ausserhalb von Fahrzeugen“.
Verwendete Quellen:
- Hintergrundgespräch mit Stadtbewohnern nahe der Front bei Bachmut (Kramatorsk)
- Gespräch mit einem ukrainischen Soldaten (Name ist der Redaktion bekannt)
- Schriftliche Anfrage an Frank Sauer
Über den Gesprächspartner:
- PD Dr. Frank Sauer ist Experte für internationale Politik. Er hat Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie und Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt studiert. Nach seiner Promotion in Frankfurt habilitierte er an der Universität der Bundeswehr München. Dort ist er seit 2023 Privatdozent. Sauer tritt regelmässig als Experte im Fernsehen auf und ist Co-Host des Podcasts "Sicherheitshalber".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.