In einer aktuellen Umfrage äussern sich Deutsche besonders zurückhaltend in puncto Ukraine-Hilfen. Deutschland landet weit abgeschlagen hinter Ländern wie Portugal und Litauen. Politikwissenschaftlerin Carolin Rüger erklärt, woran das liegt und welche Konsequenzen die Ampel-Regierung ziehen müsste.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Deutschland ist Schlusslicht: In der aktuellen Studie "Transatlantic Trends 2023" des "German Marshall Fund" zeigt sich Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders skeptisch, was die Ukraine-Hilfe betrifft. Während beispielsweise in Portugal 86 Prozent der Befragten die finanzielle Unterstützung für die Ukraine gutheissen, tun das in Deutschland nur 57 Prozent.

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Damit landet Deutschland auch weit hinter Litauen (79 Prozent), Schweden (75 Prozent) und Grossbritannien (74 Prozent). Zu den zögerlichen Ländern in Sachen Finanzhilfe zählen neben Deutschland auch die US-Bürger (57 Prozent) und die Franzosen (60 Prozent). Ein Bild, das sich auch in anderen Fragen der Unterstützung zeigt: Auch bei der Frage, ob der Ukraine eine EU- und Nato-Mitgliedschaft angeboten werden sollte, sind die Befragten in Deutschland besonders zurückhaltend.

Baerbock bekräftigt Unterstützung

In Deutschland sprechen sich nur 49 Prozent für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine aus – zum Vergleich: in Polen sind es 72 Prozent und in Kanada 70 Prozent. Noch abgeschlagener ist Deutschland in der Frage nach einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Hier zeigen sich nur 45 Prozent zustimmend, in Ländern wie Portugal (78 Prozent), Litauen (76 Prozent) und Grossbritannien (70 Prozent) liegen diese Werte deutlich höher.

Die Worte der Deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) klingen deutlich weniger skeptisch: Man werde nicht nachlassen "die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen Russlands Aggression zu unterstützen: wirtschaftlich, militärisch, humanitär", sagte sie bei einem Besuch in Kiew. Auch auf dem Weg in die EU sicherte sie Unterstützung zu: "So, wie sich die Ukraine vor uns stellt, kann auch sie sich auf uns verlassen", so Baerbock.

Narrative haben die DDR überlebt

Man begreife die Erweiterung der EU als "notwendige geopolitische Konsequenz aus Russlands Krieg" und werde den Ukrainern auf ihrem Weg in die Europäische Union "entschlossen unter die Arme greifen", sagte die Aussenministerin weiter. Den Kandidatenstatus hat Kiew bereits, Vorbereitungen für die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen laufen.

Was aber erklärt die im internationalen Vergleich skeptische Haltung Deutschlands? "In Deutschland ist das Bedrohungsgefühl geringer als beispielsweise in Polen und Litauen", sagt Politikwissenschaftlerin Carolin Rüger. Vor allem in Ostdeutschland werde Russland als Nachfolger der Sowjetunion noch von vielen als der grosse Bruder wahrgenommen. Glaubenssätze wie "Der Feind sitzt im Westen" oder "Die Nato und die USA sind das Problem" seien sehr langlebig.

Polarisierung der Gesellschaft

Das passt zu den Antworten der Deutschen auf die Frage, wie sie den Einfluss Russlands auf die Welt bewerten. Während in Deutschland diesen 70 Prozent als "negativ" oder "sehr negativ" einschätzen, tun das in Portugal 85 Prozent. Deutschland landet in dieser Frage auch hinter den Niederlanden, Grossbritannien, Kanada, Schweden und Polen.

Rüger betont allerdings: "Auch, wenn Deutschland Schlusslicht ist in allen drei Fragen (EU-Beitritt der Ukraine, NATO-Beitritt und finanzielle Unterstützung) äussern sich auch hier mehr Menschen zustimmend als ablehnend." Wenn man in die USA schaute, könne man sehen, dass niedrigere Unterstützungswerte auch mit einer Polarisierung der Gesellschaft zusammenhängen würden.

"Die Anhänger der Demokraten äussern sich deutlich häufiger unterstützend für die Ukraine als die Anhänger der Republikaner", sagt Rüger. Eine starke Polarisierung liesse sich auch in Deutschland festhalten. "Die Anhänger der AfD sind deutlich skeptischer, was die Unterstützung angeht, als die der SPD, Grünen und Union", so Rüger.

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Inflation spielt eine Rolle

Bei der deutschen Unterstützung würden auch die hohe Inflation und die ökonomische Lage eine Rolle spielen. Doch ein Punkt sei noch ausschlaggebender: "Die Angst, Kriegspartei zu werden, war hier von Anfang an ein grösseres Thema als in anderen Staaten", analysiert Rüger. Dies betreffe vor allem die Frage nach Waffenlieferungen. "Deutschland will militärisch zurückhaltender sein. Deswegen sind diese Werte geringer als etwa in Frankreich und Grossbritannien", erklärt die Expertin.

Deutschland auf Platz 3

Aber: Im internationalen Vergleich liegt Deutschland auf Platz 3, wenn man die absoluten Zahlen vergleicht – bislang leistete es Hilfe in Höhe von über 20 Milliarden Euro. Auf Platz 1 landen die EU-Institutionen mit fast 85 Milliarden Euro an finanzieller, humanitärer und militärischer Hilfe. Es folgen die USA mit knapp 70 Milliarden Euro an Regierungshilfen.

Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt sind Litauen, Estland und Norwegen Spitzenreiter (über 1 Prozent des BIP), Deutschland gibt deutlich weniger als 1 Prozent des BIP aus.

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Vor allem die USA mahnten die ukrainische Führung immer wieder zur Eile: Es brauche Erfolge an der Front, um den Rückhalt in der Bevölkerung nicht zu verlieren. Denn in den USA steht 2024 die Präsidentschaftswahl an und mit einem möglichen Einzug der Republikaner ins Weisse Haus könnte sich der Wind drehen. Laut Umfragen nimmt die dortige Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine ab, besonders bei republikanischen Wählern.

Während im März 2022 nur neun Prozent von ihnen die Unterstützung für die Ukraine als zu stark erachteten, waren es im Januar 2023 etwa 40 Prozent. Unter allen Wahlberechtigten stieg dieser Wert von 7 auf 26 Prozent.

Expertin: Zeitenwende muss gelebt werden

Um die Unterstützungsbereitschaft zu erhöhen, gibt es auch Sicht von Expertin Rüger nur ein Rezept: "Information, Information, Information", sagt sie. "Die Erklärleistung von Teilen der Regierung könnte besser sein. Kommunikation ist extrem wichtig – führen, aber auch mitnehmen", fasst Rüger zusammen. Die von Scholz ausgerufene Zeitenwende müsse gelebt und erklärt werden. "Das tun nicht alle Teile der Ampel-Regierung in ausreichendem Masse", meint sie.

Zum einen müsse die Zeitenwende am Kabinettstisch kommuniziert werden, etwa, wenn es um erhöhte Verteidigungsausgaben geht, aber sie müsse auch an den Küchentischen vermittelt werden. "Hier ist die Kommunikation der Ampel-Regierung nicht aus einem Guss, was hängen bleibt ist dann oft Streit und Uneinigkeit", sagt Rüger. Die SPD verhalte sich oft abwartend und hinke hinterher, der Kanzler kommuniziere recht sparsam.

"Das kann eine gute politische Taktik sein, in Krisenzeiten ist es das meistens nicht", sagt sie. Die Grünen, vor allem Habeck und Baerbock, erklärten an dieser Stelle mehr. "Das müssen sie aber auch: Denn die aktuelle Politik erfordert in vielen Teilen eine grosse Anpassungsleistung der Parteibasis", analysiert Rüger.

Es müsse allgemein deutlicher herausgestellt werden, dass es sich bei dem Krieg in der Ukraine nicht um einen regionalen Konflikt handelt, sondern um eine prinzipielle Frage, "ob die Stärke des Rechts gelten soll oder das Recht des Stärkeren", sagt Rüger.

Moskau setzt auf Spaltung

Schon seit Kriegsbeginn setze Putin darauf, dass der Westen die Unterstützung nicht durchhalten, sich Kriegsmüdigkeit breitmachen und ein gewisser Gewöhnungseffekt eintreten wird. "Vor allem dann, wenn der Krieg zu finanziellen Nachteilen führen wird, und das tut er für viele Bereiche der Gesellschaft", sagt Rüger.

Genau das sei Teil der russischen Strategie. "Russland setzt immer auf Spaltung. Das tut es bei den Sanktionen der EU, aber auch in den Gesellschaften. Das spielt Russland in die Karten", ergänzt sie. Mit einer massiv angekurbelten Desinformation in Wahlzeiten befeuere Moskau die Spaltung noch weiter.

Grosser Generationenunterschied

Einen Aspekt aus den Umfragen des "German Marshall Fund" hält die Expertin für besonders interessant: "Es gibt einen grossen Generationenunterschied: Während hierzulande 37 Prozent der 18- bis 24-Jährigen den globalen Einfluss von Russland als positiv erachten, tun das nur 7 Prozent der über 65-Jährigen", zeigt sie auf.

Das liesse sich nur zum Teil mit Kriegserfahrungen der älteren Generation erklären. Es sei lohnenswert, diesen Unterschied genauer unter die Lupe zu nehmen und zu fragen: "Muss mehr Geld in politische Bildung investiert werden?" Denn: "Wenn man aktuell nicht sieht, dass Russland einen negativen Einfluss auf die Welt ausübt – wann will man es dann sehen?", fragt Rüger.

Über die Expertin:

  • Dr. Carolin Rüger ist Associate Researcher am Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen transatlantische Beziehungen, die Aussenpolitik europäischer Staaten und die globale Rolle der EU.

Verwendete Quellen:

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