Am Anfang berichteten die Medien über den Krieg in der Ukraine noch ausführlich. Mittlerweile aber ist es um den Militärkonflikt im Osten des Landes still geworden. Zu Unrecht. Denn entlang der 600 Kilometer langen Frontlinie leben rund zwei Millionen Menschen, darunter eine halbe Million Kinder. Für diese Menschen bleibt der Krieg weiterhin grausamer Alltag.
Im Dezember 2013 begannen die Proteste auf dem Majdan in Kiew, im April 2014 die Revolte in der Ostukraine. Seitdem kommt das Land nicht mehr zur Ruhe.
Zwei Jahre Krieg haben die Menschen im umkämpften Kohlerevier Donbass stark geprägt. Die meisten, die dort bleiben, sind alt, krank, mittelos und verzweifelt, ihre Gesichter vom Krieg gezeichnet.
Tausende Tote, Hunderttausende auf der Flucht
Die Zahl der Todesopfer in diesem Konflikt nähert sich der Marke von 10.000. Nach UNO-Angaben sind über 800.000 Menschen auf der Flucht.
Seit Vereinbarung der ersten Waffenruhen 2015 wurden diese immer wieder gebrochen. Von beiden Seiten. Insbesondere nachts wird geschossen. Viele Bewohner schlafen in ihren Kleidern, um rechtzeitig in den Keller fliehen zu können. Tagsüber trauen sie sich nicht auf die Strassen: Scharfschützen sind auf beiden Frontseiten aktiv und fordern Todesopfer.
Die ukrainische Armee und die von Russland unterstützten Rebellen geben sich gegenseitig die Schuld für die anhaltende Gewalt. Der Friedensprozess stockt: Russland und die Ukraine können sich über die Umsetzung des Minsker Abkommens nicht einigen.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko fordert die Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze. Russlands Präsident
Der jüngste Vorstoss Deutschlands, das seit diesem Jahr den Vorsitz bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehat, ist die Entflechtung der Konfliktparteien. Der Abzug der Kämpfer und der schweren Waffen von der Frontlinie soll der erste Schritt zum Frieden sein, so der Plan. Jedoch ist das Misstrauen auf beiden Seiten gross, und es entsteht der Eindruck, als würde jede Bewegung des Gegners mit Feuer beantwortet.
Die ukrainische Seite scheint in letzter Zeit ihre Strategie geändert zu haben. Noch im Sommer brachen die prorussischen Milizen den Waffenstillstand häufiger als die Regierungstruppen. Kurz vor einem Gipfel der Staatschefs aus Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich am 19. Oktober in Berlin war es umgekehrt.
Verstösse gegen die Waffenruhe
Vor allem an strategisch wichtigen Frontabschnitten bei der Hafenstadt Mariupol sowie nordwestlich der Rebellenhochburg Donezk hielten drei OSZE-Gefechtsfeldkameras 1.030 Fälle fest, in denen ukrainische Regierungstruppen den Waffenstillstand brachen. Bei den prorussischen Rebellen lag die Zahl der dokumentierten Verstösse bei 79.
Auch der Abzug der schweren Waffen wurde von beiden Seiten teilweise umgangen, 260 Mal auf ukrainischer Seite und 82 Mal auf dem Rebellengebiet. Die Behinderung der OSZE-Mission und geringere Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wurden vorwiegend den Separatisten vorgeworfen.
Der aussenpolitische Chefberater Poroschenkos stellte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" den OSZE-Bericht allerdings in Frage. Seine Begründung: Die Gefechtsfeldkameras seien nicht verlässlich. Was genau er bemängelte, liess er offen.
Die Nervosität der Parteien wird auch durch Gerüchte über eine Offensive des Gegners verstärkt.
Ende Oktober teilten die Separatisten mit, dass die Ortschaften Alexandrowka und Sajzewo westlich von Donezk, der Hochburg der Rebellen, unter starkem Beschuss der ukrainischen Seite stünden. Dabei wurde ein Zivilist verletzt sowie zehn Wohnhäuser zerstört. Die ukrainische Armee berichtete im Gegenzug über ein vierstündiges Gefecht mit einem Invasionsversuch der Separatisten.
Jüngst hatten sich die Aussenminister Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs erneut wegen des Konflikts in Donbass getroffen. Aber das vierstündige Gespräch in der weissrussischen Hauptstadt Minsk führte zu keinem nennenswerten Fortschritt.
Lage unübersichtlich, Perspektive düster
Unterdessen hat sich die Situation eher verschlechtert. "Wir haben in den letzten Wochen eine steigende Zahl von Verletzungen des Waffenstillstands zu verzeichnen", erklärte Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier im Anschluss an das Treffen.
Die Lage bleibt unübersichtlich, die Perspektive düster. Nur eines ist offensichtlich: Das Leid der Zivilbevölkerung. Ein grosser Teil der Infrastruktur um Donezk und Lugansk ist zerstört. Strom und Trinkwasser gibt es nur stark eingeschränkt.
Die Versorgung ist nahezu vollständig zusammengebrochen, nicht zuletzt durch die Lebensmittelblockade der ukrainischen Regierung gegen die sogenannten Volksrepubliken in Lugansk und Donezk. Die humanitäre Unterstützung aus Russland ist unzureichend.
Gleb Kornilow, Gründer der Hilfsorganisation "Nicht im Stich lassen", erklärte in einem Interview der russischen Zeitung "MKRu": "Insgesamt haben wir 47 humanitäre Konvois in die Volksrepubliken geliefert. Das Gros fiel auf die Jahre 2014 und 2015, aber im Jahr 2016 konnten wir praktisch fast nichts sammeln."
Kornilow führt dies auf "die Wirtschaftskrise und die Kriegsmüdigkeit" in Russland zurück. Dabei fehle es den Menschen in Donbass an allem. Medikamente und Lebensmittel seien kaum zu bezahlen.
Die Resignation der Zivilbevölkerung wächst. Die Hoffnung auf Autonomie, Frieden und humanitäre Hilfe schmilzt. Der Konflikt schwelt unter der Wahrnehmungsschwelle der Europäer, obwohl es direkt vor ihrer Haustür brennt.
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