- Russland verheizt täglich Munition an der Front, hat bereits Tausende Panzer verloren und ist vom Westen mit Sanktionen belegt.
- Aus welchen Quellen kommen die verbliebenen russischen Waffen? Welche Rolle spielen Staaten wie Iran, Syrien, Nordkorea und die Türkei?
- Militärexperte und Oberst a. D. Ralph Thiele gibt Antworten.
Wenn an der Front russische Panzer gesichtet werden, Details über russische Waffentransporte bekannt werden oder über Kiew Kamikaze-Drohnen niedergehen, werden Beobachter hellhörig. Denn eine Frage interessiert sie besonders: Mit welchen Waffen kämpfen die Russen?
Nach amerikanischen Schätzungen hat der Kreml bislang Tausende Panzer sowie gepanzerte Fahrzeuge im Ukraine-Krieg verloren. Berichten zufolge greift Moskau deshalb bereits auf veraltete T-62-Panzer aus Sowjetzeiten zurück, die den neuen schweren Waffensystemen weit unterlegen sind.
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Das Problem mit den Komponenten
Die westlichen Sanktionen sollen den Russen, die auf Kriegswirtschaft umgestellt haben, auch bei ihrer Waffenproduktion zusetzen. "Russland ist einer der führenden Waffenexporteure weltweit mit grosser Exzellenz", sagt Militärexperte und Oberst a. D. Ralph Thiele. In Teilen habe Russland den Westen sogar überholt, etwa bei Luftverteidigungssystemen und Überschallwaffen.
"Sie brauchen für ihre Waffen allerdings Hightech-Komponenten, zum Beispiel Spezialchips, von denen vor dem Angriffskrieg zwei Drittel aus den USA kamen", sagt der Experte. Solche Komponenten kämen auch aus Japan, Südkorea, Frankreich und Deutschland und seien beispielsweise wichtig, damit Waffen grosse Geschwindigkeiten erreichen könnten oder zielgenau seien.
Heimtückische Drohnen aus dem Ausland
"Es ist also die Frage, wo die Russen solche Komponenten nun herbekommen, um ihre Waffen weiterzuproduzieren", sagt Thiele. In vielen Bereichen könne man nur spekulieren. "Bei der Munition helfen vermutlich Staaten wie Nordkorea, bei Drohnen Staaten wie der Iran", weiss Thiele.
Der sanktionierte Nuklearstaat Nordkorea verfügt über einen grossen Bestand an Raketen und Artilleriegeschossen, mit denen er Russland bereits beliefern soll. Die Iraner sind für ihre heimtückischen Kamikaze-Drohnen bekannt, die mit knapp 200 Kilometern pro Stunde unterwegs sind und mit Sprengköpfen bestückt werden. Sie können enormen Schaden anrichten.
Unklare Rolle der Türkei
Mitte September soll das ukrainische Militär nach eigenen Angaben erstmals eine Drohne iranischer Herkunft abgeschossen haben. Bereits Ende August hatte Washington unter Berufung auf Geheimdienstinformationen berichtet, dass der Iran Russland mit Drohnen beliefern wolle. Dazu zählen Drohnen vom Typ Mohajer-6 und Schahed-136. Offiziell hatte Teheran eine Lieferung bestritten.
Im Gespräch waren auch türkische Bayraktar-Drohnen. Ende August betonten die Hersteller jedoch, sie würden keine Drohnen nach Russland liefern, weil sie die Ukraine unterstützen. Die Rolle der Türkei sei insgesamt nicht belegt, meint Thiele, es sei aber anzunehmen, dass sie in Teilen Exportkontrollbeschränkungen beispielsweise durch Umwege über die Vereinigten Arabischen Emirate umgehe.
"Selbst Deutschland gehört zu den grössten Schiffsbesitzern weltweit, lässt aber Schiffe unter anderer Flagge fahren – zum Beispiel Luxemburg. Was dann auf den Schiffen ist, kann man nicht immer sagen", erklärt der Experte.
Blick nach Nordkorea, Iran und China
Er ist sich sicher: "Russland ist bestimmt von Korruption und arbeitet gerne mit anderen korrupten Staaten zusammen." Korrupte unter sich würden Wege finden, wie sie fehlende Teile liefern könnten. Viel geschehe im Bereich von Grauzonen wie der Schmuggelei.
"Zu den Helfern Russlands zählen an dieser Stelle auch Indien und China, denn Russland braucht Chips", meint Thiele. Russland beziehe beispielsweise Hülsen für Munition aus China, ebenso Teile des Sprengstoffs in der Vorfertigung. "Russland greift ausserdem auf Geschosse zurück, die noch aus Beständen des Zweiten Weltkrieges stammen und blickt nach Nordkorea", analysiert Thiele.
Die Hilfe von Staaten wie Iran und Nordkorea dürfte für Russland nicht umsonst kommen. Der Iran könnte beispielsweise auf mehr Einfluss in Syrien spekulieren, Nordkorea derweil auf Beistand im Sicherheitsrat in puncto Nuklearwaffentests hoffen.
Schmuggel auf dem Seeweg
Auch Syrien soll zu den Quellen zählen, aus denen Russland nachrüstet. Medienberichten zufolge soll beispielsweise im Juli ein mit US-Sanktionen belegtes Schiff von Syrien über das Schwarze Meer zum Hafen der russischen Stadt Noworossiysk unterwegs gewesen sein. Weil es als kommerzielles Schiff gemeldet worden sei, habe es den Bosporus unkontrolliert durchqueren können – für sie ist die Meeresenge, anders als für russische Militärschiffe, nicht geschlossen. Das Schiff soll gepanzerte Militärfahrzeuge an Bord gehabt haben.
Durch das Umstellen auf die Kriegswirtschaft gäbe es zudem hohe Produktionskapazitäten, ergänzt Thiele. "Das ist so, als würden hierzulande Mercedes, BMW und Co. plötzlich nur noch Militärfahrzeuge, Waffen und Munition produzieren", erklärt der Experte.
Schon vor dem Krieg gehortet?
Der Verteidigungsnachrichtendienst "Janes" berichtet zudem, dass Russland höchstwahrscheinlich Mikrochips und andere für den Bau von Präzisionsraketen notwendige Technologien vor dem Einmarsch in die Ukraine im Februar gehortet hat. Mit Blick auf die abgekühlten Beziehungen zum Westen könnte Russland damit schon vor Jahren begonnen haben.
Der Nachrichtendienst geht davon aus, Russland wahrscheinlich schon vor der Invasion mit der Produktion einer grossen Anzahl von Iskander, Kalibr Raketen und Marschflugkörpern begonnen hatte. Westliche Beobachter mutmassen schon seit längerer Zeit, dass Russland eine Waffenreserve für den Fall eines Krieges mit der Nato bereithält.
Wie erfolgreich sind die Beschränkungen?
Thiele hält es vor all diesen Hintergründen für fraglich, ob die Beschränkungen durch die westliche Sanktionspolitik erfolgreich sind. Die Globalisierung habe dazu geführt, dass auch westliche Teile eigentlich überall auf der Welt zu finden seien. "Wir treffen unsere Komponenten immer wieder", sagt der Experte.
Das liege nicht zuletzt auch an der internationalen Arbeitsteilung. "Siemens hat beispielsweise die Chips-Produktion aufgegeben, weil es hierzulande zu teuer ist", erinnert er. Wenn in den USA Geräte von kriminellen Organisationen beschlagnahmt würden, würden die Behörden die Technik aufgrund deren Exzellenz teilweise für ihre eigenen Zwecke übernehmen. "Der Versuch, den Weg von Waffen zu kontrollieren, ist beinahe unmöglich", meint Thiele.
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